Rückentwicklung; Abnahme der biologischen Funktionstüchtigkeit. Der Begriff stammt ursprünglich aus der Medizin, und zwar aus der Nervenheilkunde: Wird ein Nerv durchtrennt, dann degeneriert er sowohl diesseits wie jenseits der Schnittstelle, das heißt er verliert seinen funktionstüchtigen Aufbau. Über diese engere Bedeutung hinaus wurde der Begriff vor allem von französischen Nervenärzten des 19. Jahrhunderts (zum Beispiel Charcot) verwendet, um die erbliche Neigung zu Neurosen (vor allem zur Hysterie) zu erklären. Degeneration sollte demnach durch Verwandtenehen oder auch spontan durch eine ungünstige Mischung von Erbanlagen entstehen und alle erdenklichen Nervenleiden vorbereiten (noch Freud vermutete in einer Erkrankung eines Elternteils an Syphilis eine Teilursache von Neurosen). Von dieser Seite her wurde der Begriff in die Literatur aufgenommen. Thomas Mann stellt in den Buddenbrooks glänzend dar, wie eine Familie schrittweise «verfällt», immer krankheitsanfälligere, daneben aber sensiblere und mehr künstlerisch befähigte Mitglieder hervorbringt. Heute gilt Degeneration als veraltetes Erklärungsmodell. Seelische Krankheiten sind nur in Ausnahmefällen auf Inzucht zurückzuführen. Die Erklärung der Neurosen durch seelische Konflikte und Folgen mangelhafter Erlebnisverarbeitung (Abwehrmechanismus) durch S. Freud erledigte die frühere Annahme der Degeneration als Ursache. Auch die angebliche Degeneration der Nachkommen von Alkoholikern erklärt sich eher aus der Vielfalt ungünstiger Kindheitserlebnisse in solchen Familien.
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