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Psychologielexikon

Überarbeitete Ausgabe

Psychologielexikon

Expertiseforschung

Autor
Autor:
Werner Eberlein

befaßt sich mit dem Experten, einer Person, die auf einem bestimmten Gebiet dauerhaft Leistungsexzellenz zeigt. Die untersuchten Gebiete sind recht vielfältig und umfassen u.a. akademische (z.B. Mathematik), berufliche (z.B. Flugzeugpilot), künstlerische (z.B. Musizieren), motorische (z.B. Fußballspiel), spielerische (z.B. das Schachspiel) Aktivitäten. Allerdings kann Expertise zumeist nur in einem Fach erworben werden, so daß Personen in einem Gebiet Experten, in anderen Gebieten Novizen sind. Typischerweise wird dem Experten in einem Kontrastvergleich der Novize gegenübergestellt und untersucht, welche besonderen Eigenschaften seines Informationsverarbeitungssystems ihn zu seinen Höchstleistungen befähigen. Diese Vergleiche gestalten sich allerdings recht schwierig, da keine allgemein akzeptierten Kriterien verfügbar sind, ab wann jemand Expertenstatus erreicht hat. Als Folge dieser Schwierigkeit lassen sich auch nur unter Vorbehalt Ergebnisse zu verschiedenen Expertisegebieten vergleichen und eine Einteilung der verschiedenen Zwischenstadien zwischen Novizen und Experten vornehmen.

Querschnittsvergleiche erlauben nur vermittelten Aufschluß, wie dieser Übergang verläuft. Trotz dieser ungünstigen Forschungsvoraussetzungen hat die Expertiseforschung mittlerweile viele wichtige Befunde gesammelt. Als erklärungsmächtigster Faktor von Expertise hat sich in vielen Untersuchungen eine wohlorganisierte Wissensbasis herausgestellt, die die Informationsaufnahme, Informationsverarbeitung sowie das Lösungsverhalten von Experten in einzigartiger Weise prägt. In bezug auf die Informationsaufnahme befähigt sie Experten dazu, in ihrem Gebiet mehr sinnvolle Muster zu erkennen, was für die verschiedensten Informationsmodi wie visuelle oder verbale Information gilt. Obwohl Experten problemrelevante Information effizienter erkennen und selektieren, investieren sie im Vergleich zu Novizen bei der Problemlösung (Problemlösen) am Anfang sehr viel Zeit für die Problemrepräsentation. Die Informationsverarbeitung von Experten zeichnet sich zunächst durch ihre überragenden Gedächtnisleistungen aus. Dies betrifft nicht nur Informationen im Langzeitgedächtnis (Gedächtnis), sondern auch das Einprägen kurzzeitig präsentierter Informationen. So vermag ein Schachexperte eine Schachstellung, die er nur wenige Sekunden gesehen hat, nahezu fehlerfrei zu reproduzieren. Ein Schachnovize kann sich hingegen nur an wenige Figuren erinnern. Diese verblüffenden Reproduktionsleistungen basieren auf der Fähigkeit, Wissen prinzipienbasiert abzuspeichern, wobei Experten sich vielfältiger elaborierter, fallbasierter Wissensschemata (sogenannte Chunks) zur funktionellen Einordnung neuer Information bedienen können. Ferner besitzen sie ein reichhaltiges Repertoire an Problemlösestrategien, die sie ebenfalls prinzipienorientiert gemeinsam mit den entsprechenden Problemen, auf die sie angewendet werden können, abspeichern (Problem-Strategie-Einheiten). Wo also der Novize mühsam neue Lösungswege konstruieren muß, kann der Experte zumindest für Teilschritte der Problemlösung auf bewährte Lösungsmuster zurückgreifen. Sein Lösungsverhalten ist durch Geschwindigkeit und geringe Fehlerraten gekennzeichnet. Er geht typischerweise datengesteuert vor, während der Novize zumeist eine Rückwärtssuche anwendet und dabei einen direkten Weg für die Lösung des Gesamtproblems anstrebt. Eine datengesteuerte Problemlösung erweist sich jedoch meist als besser geeignet, schlecht definierte Probleme in mehrere gut definierte Teilprobleme zu zerlegen. Schließlich verfügen Experten über bessere Selbstbeobachtungsfähigkeiten, was sie dazu befähigt, den eigenen Problemlöseprozeß zu kontrollieren und zu steuern.

Erklärungsansätze, weshalb Experten über diese Informationsverarbeitungscharakteristika verfügen und somit herausragende Leistungen zeigen können, lassen sich grob in Begabungsansätze und Lernansätze unterteilen. Begabungsansätze postulieren angeborene Unterschiede in der Informationsverarbeitungskapazität, beispielsweise Wahrnehmungs- oder Intelligenzunterschiede. Dagegen haben Lernansätze überzeugend nachweisen können, daß Leistungseminenz in einem sehr langwierigen Lernprozeß erworben werden muß, der mindestens zehn Jahre intensive Praxis erfordert. Daß Höchstleistungen nur auf einem Gebiet gezeigt werden können, verweist auf die Bereichsspezifität dieses Lernprozesses.

Literatur

Gruber, H. & Ziegler, A. (Hrsg.). (1996). Expertiseforschung. Theoretische und methodische Grundlagen. Opladen: Westdeutscher Verlag.


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