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Psychologielexikon

Überarbeitete Ausgabe

Psychologielexikon

Leistung

Autor
Autor:
Sonja Margarethe Amstetter

Eine Anstrengung, die auf ein bestimmtes Ziel ausgerichtet ist und mit einem Erfolg abschließt. Leistung ist etwas, das von uns verlangt wird. Durch diese Anforderung und ihre Zweckbestimmung unterscheidet sie sich vom Spiel, bis zu einem gewissen Grade auch von der freien Kunst. Mit der Leistung tun wir etwas für andere, auch wenn das Entgelt dafür in unserem eigenen Interesse liegt und wir die Anerkennung unserer Arbeit für unsere Selbstbestätigung brauchen. Man hat unsere heutige Lebensordnung als »Leistungsgesellschaft« bezeichnet, weil es für unseren sozialen Status entscheidend auf unseren Beitrag zur Arbeitsteilung und unseren Platz in der Arbeitskonkurrenz ankommt. Die Kritik an dieser einseitigen Ausrichtung geht auf das Unbe hagen in einem Leben zurück, das uns zu wenig Möglichkeiten der Muße, der Besinnung und des zweckfreien Spiels übriggelassen hat. Wir vermissen einen Freiraum für Tätigkeiten, die wir um unser selbst willen, aus »Spaß an der Sache« vollziehen könnten. Besonders schmerzlich wirkt sich dieser Mangel für unsere Schulkinder aus, die dem Leistungszwang in einem Alter ausgesetzt werden, in dem sie auf Anerkennung in Liebe mehr angewiesen wären als auf Anerkennung einer Leistung, und in dem sie auch der Freiheit des Spiels noch dringend bedürfen. Der Schul-Streß, der heute so oft seelische Störungen zur Folge hat, dürfte nicht zuletzt in der einseitigen Anstachelung von Leistungen im Zusammenhang mit dem Mangel an Gefühlsbefriedigungen und Zweckbefreiung begründet sein. Doch zeigt sich hier nur besonders kraß ein Ungleichgewicht, das auch das Leben der Erwachsenen beeinträchtigt.

Von besonderem Interesse für die Psychologie ist seit jeher die Analyse und Optimierung der psychischen Voraussetzungen und Bedingungen menschlicher Leistungen. Sowohl grundlagenbezogen in der Allgemeinen Psychologie, der Sozial-, Entwicklungs- oder der Persönlichkeitspsychologie als auch im angewandten Bereich der Pädagogischen, Sport-, Klinischen und Arbeits- und Organisationspsychologie spielen Konstrukte personaler Leistungen eine zentrale Rolle. Dies verwundert nicht, denn physische (wie etwa sensorische, muskuläre oder kardiopulmonale) wie auch kognitive Leistungen (wie Intelligenz, Wissen) sowie deren Zusammenwirken mit affektiven und motivationalen Faktoren ermöglichen erst eine aufwandsökonomische und problemadäquate Aufgabenbewältigung in den unterschiedlichsten Bereichen menschlicher Tätigkeit. Gezielte Diagnostik und Intervention bei personalen Leistungsbedingungen helfen Über- und Unterforderungssituationen zu vermeiden, Entwicklungsmöglichkeiten zu sichern und Potentiale zu fördern.

In einem allgemeinen, mehr physikalischen Sinne ist Leistung eine in einer bestimmten Zeit(einheit) erbrachte Arbeit und stellt das sichtbare Ergebnis bei der Bewältigung einer Aufgabe dar. Dabei sind vom Einzelnen Energien aufzuwenden, und es wird das Vorhandensein psychophysischer Merkmale vorausgesetzt. "Leistungsvoraussetzungen" bezeichnet die Gesamtheit der körperlichen und geistigen Bedingungen habitueller und aktueller Art, die zum Erfüllen von Aufgaben eingesetzt werden können (Hacker, 1998). Körperliche Leistungsvoraussetzungen beziehen sich auf die Funktionen des Bewegungsapparates, des Zentralnervensystems, der Sinnesorgane und des Herz-Kreislaufsystems. Mit psychischen Leistungsvoraussetzungen werden Fähigkeiten, Fertigkeiten, Wissen, Einstellungen usw. beschrieben; sind diese habitueller Art (gewohnheitsmäßig), spricht man von Persönlichkeitsmerkmalen.


Variabilität von Leistungsvoraussetzungen

Durch genetische Determination und soziale Normierungsprozesse weisen Menschen in hohem Maße gemeinsame Merkmale auf und sind damit in vielerlei Hinsicht vergleichbar. Andererseits entwickeln sie inter- und intraindividuelle Unterschiede in bezug auf diese Merkmale, deren Beschreibung zu den Kernaufgaben der Differentiellen Psychologie gehört. Dadurch erhofft man sich z.B. Antworten auf die Frage, ob die Variabilität in der Intelligenz größer ist als die in der Motivation oder des Temperaments. Beeinflußt wird die Leistungsdifferenz auch von emotionalen und motivationalen Faktoren (Jerusalem & Pekrun, 1999). Untersucht wurde u.a. die Wirkung von Stimmungen auf Gedächtnis- und Urteilsleistungen, die Entwicklung basaler leistungsrelevanter Emotions- und Motivsysteme (wie Neugier, Bindung oder Angst), der Zusammenhang von Leistungen und Wohlbefinden. Auswirkungen emotionaler Zustände auf kognitive Leistungen sind komplexer Art und lassen keine monokausalen Interpretationen zu, wonach gute oder schlechte Stimmung allgemein zu besseren oder schlechteren Leistungen führt. Eher ist von "Interaktionseffekten" auszugehen, d.h.: Gute Stimmung verbessert die Leistung bei einigen Aufgaben, bei anderen wiederum verschlechtert sie die Leistung. Solche Interaktionseffekte finden sich auch bei der Erklärung von Motivationswirkungen auf Leistung. Mit vielen Vorurteilen versehen - aufgrund unkritisch akzeptierter Befunde - ist das Thema der Leistungsveränderungen mit zunehmendem Alter. Ältere Querschnittsstudien scheinen dafür zu sprechen, junge Erwachsene seien intellektuell leistungsfähiger und lernten leichter als ältere. Ohne genaue Differenzierung ist diese Meinung allerdings nicht haltbar. Vielmehr kann aus Längsschnittstudien der Schluß gezogen werden, daß Geschwindigkeit und Beweglichkeit elementarer kognitiver Prozesse und wenig erfahrungsabhängiger kognitiver Leistungen (fluid intelligence) bereits ab dem dritten Lebensjahrzehnt langsam aber stetig abnehmen. Allerdings erhalten zunehmende allgemeine Lebenserfahrung ("Weisheit") und erworbene Kompetenzen auf speziellen Gebieten (Expertise, crystallized intelligence) die Gesamtleistungsfähigkeit lange Zeit aufrecht.



Anforderungen und Leistungsvoraussetzungen

Ausgangspunkt einer psychologischen Beschreibung von Leistungsvoraussetzungen sind Anforderungen, die an das Individuum gestellt werden. Anforderungen ergeben sich bei der Bewältigung und Durchführung von Aufgaben. Bekanntlich unterscheiden sich Menschen bei der Durchführung einer Aufgabe bei objektiv gleichen Anforderungen. Begründet liegt das in der "Redefinition" objektiver Gegebenheiten und festgelegter Ziele durch den Einzelnen. Wichtige personale Determinanten (Leistungsvoraussetzungen) der individuellen Interpretation objektiver Bedingungen bei der Aufgabenbewältigung sind z.B.

- das Ausmaß des "Verstehens bzw. Mißverstehens" der Aufgabe,

- das Ausmaß des "Akzeptierens" der Aufgabe und der Bereitschaft, die Aufgabe auszuführen,

- spezielle Bedürfnisse, Ansprüche und Wertvorstellungen, die der Einzelne in die Aufgabe einbringt, oder

- der Einfluß früherer Erfahrungen mit ähnlichen Aufgaben.

Aus dem Bezug von Anforderungen auf die individuellen Leistungsvoraussetzungen ergibt sich der Schwierigkeitsgrad einer Tätigkeit und damit Beanspruchung (Anstrengung). Entsprechen sich Leistungsvoraussetzung und Anforderungen nicht ("misfit"), liegen Fehlbeanspruchungen vor. Folgen von Fehlbeanspruchung des Menschen sind zweifach bestimmt. Sie können als positive Beanspruchungsfolgen im Sinne eines Anregungseffektes (Aufwärmeffekt und Aktivierung) oder als negative Beanspruchungsfolgen mit spezifischer Symptomatik, wie Monotonie, Ermüdung, psychische Sättigung oder Streß angesehen werden (Frieling & Sonntag, 1998). Bei den Ansätzen zur Bewältigung oder Vermeidung negativer Beanspruchungsfolgen kommt der Ressourcenforschung eine zentrale Rolle zu (Ressourcen).

Zugänge zur Beschreibung und Kategorisierung menschlicher Leistungsvoraussetzungen bei der Aufgabenbewältigung ermöglichen arbeitsanalytische Verfahren. Diesen Ansätzen zur Kategorisierung menschlicher Leistungen lassen sich die meisten der gängigen Arbeitsanalyseverfahren zuordnen (Sonntag, 1996, 1999). Schwierig ist es aber, zu begründeten Annahmen über Strukturen und Inhalte kognitiver Prozesse bei der Aufgabenbewältigung zu kommen. Die herkömmlichen psychologischen Anforderungsanalysen sind hierfür unzureichend und bedürfen der Ergänzung durch wissensanalytische Methoden (wie z.B. "Lautes Denken", "Struktur-Lege-Techniken" usw.).



Leistungsdiagnostik und -beurteilung bei Mitarbeitern

Bezieht sich die Einschätzung auf vergangenes Leistungsverhalten, so kommen insbesondere formalisierte Leistungsbeurteilungsverfahren, wie z.B. Einstufungs- oder Rangordnungsverfahren zum Einsatz. Soll dagegen das Förder- und Entwicklungspotential von Mitarbeitern eingeschätzt werden, so sind als Methoden das Mitarbeitergespräch, psychologische Testverfahren (Tests), biographische Fragebogen, Arbeitsproben und Assessment Center zu präferieren. Speziell zur Leistungsdiagnose finden vor allem Tests zur allgemeinen Intelligenz und ihrer Komponenten, Tests zur Prüfung allgemeiner Fähigkeiten wie Aufmerksamkeit und Konzentrationsleistung, Tests sensorischer und motorischer Funktionen sowie Tests, die spezielle Leistungen wie z.B. technisches Verständnis erfassen, Anwendung. Dazu kommen Persönlichkeitstests, zu denen auch Interessen- und Motivationstests gerechnet werden, in der Mehrzahl in der Form von Fragebogenverfahren, seltener als projektive Methoden. Um den methodischen, inhaltlichen und ökonomischen Ansprüchen an systematische Verfahren zur Leistungsbeurteilung möglichst umfassend zu genügen, wird ein Drei-Ebenen-Ansatz empfohlen: Das Day-to-day-Feedback, i. S. einer Steuerung und Entwicklung zielentsprechenden Verhaltens im alltäglichen Arbeitsprozeß; die regelmäßig stattfindende Leistungsbeurteilung als Grundlage für die Förderungsplanung und schließlich die Potentialbeurteilung mit ihrem prognostischen Charakter zur Einschätzung künftiger Fähigkeiten und erfolgsrelevanter Eigenschaften. Generell müssen Leistungs- und Potentialbeurteilung in einem sozialen Rahmen stattfinden und durch vertrauensbildende Maßnahmen gestützt werden, um Enttäuschungen und Kränkungen zu vermeiden und Leistungszufriedenheit bei den Mitarbeitern zu bewirken.



Förderung und Erhalt von Leistungsvoraussetzungen

Fördermaßnahmen personaler Leistungsdispositionen beziehen sich auf Wissensvermittlung, Verhaltensmodifikation und Persönlichkeitsentwicklung. Sie dienen der Erweiterung beruflicher Handlungskompetenz ebenso wie der Bewältigung und Prävention negativer Beanspruchungsfolgen bei der Aufgabenbewältigung. Die Zunahme leistungskritischer Tätigkeiten in vernetzten und komplexen Systemen, wie sie z.B. bei der Realisierung ganzheitlicher und gruppenorientierter Gestaltungsoptionen im Fertigungs- und Verwaltungsbereich vorliegen, erfordern verstärkt Interventionen, die planendes und methodisches Denken, selbständiges Problemlösen sowie kooperative Verhaltensweisen und soziale Unterstützung fördern. Zukünftig werden beratungs- und betreuungsorientierte Ansätze an Bedeutung gewinnen. Mittels Coaching oder Mentoring werden leistungskritische Verhaltensweisen rückgemeldet, reflektiert und gefördert. Diese Ansätze stellen allerdings hohe Anforderungen an die fachliche und moralische Dimension der Persönlichkeit des Coaches. Noch stärker als "gezielte" Trainings- und Fördermaßnahmen wirken allerdings die aktuelle Arbeitssituation auf die Förderung und Erhaltung von Leistungsvoraussetzungen. Längsschnittliche Befunde zeigen eindeutig, daß die Entwicklung kognitiver Leistungen und Intelligenz positiv durch gering ausgeprägte Arbeitsrestriktivität beeinflußt wird. Als besonders förderliche Dimensionen der Arbeit werden u.a. Problemhaltigkeit, Abwechslungsreichtum und Handlungsspielraum angeführt (Job Enlargement, Job Enrichment, Job Rotation).

Literatur

Frieling, E. & Sonntag, Kh. (1999). Lehrbuch Arbeitspsychologie. Bern: Huber.

Hacker, W. (1998). Allgemeine Arbeitspsychologie. Bern: Huber.

Jerusalem, M. & Pekrun, R. (Hrsg.). (1999). Emotion, Motivation und Leistung. Göttingen: Hogrefe.

Sonntag, Kh. & Schaper, N. (1999). Personale Verhaltens- und Leistungsbedingungen. In D. Frey, C.G. Hoyos & D. Stahlberg (Hrsg.), Lehrbuch der Arbeits-, und Organisationspsychologie (S.298-312). Weinheim: PVU.

Sonntag, Kh. (1999). Ermittlung tätigkeitsbezogener Merkmale: Qualifikationsanforderungen und Voraussetzungen menschlicher Aufgabenbewältigung. In Sonntag, Kh. (Hrsg.), Personalentwicklung in Organisationen (S. 159-179). Göttingen: Hogrefe.

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