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Psychologielexikon

Überarbeitete Ausgabe

Psychologielexikon

Denken

Autor
Autor:
Manuela Bartheim-Rixen

das verstandesmäßige Erfassen von Eindrücken und Zusammenhängen, das zu Schlußfolgerungen und Urteilen führt. Denkvorgänge lassen sich bereits beim Werkzeuggebrauch der Menschenaffen erkennen. Das kleine Kind geht bei seinem Denken unmittelbar von der Anschauung aus, durchsetzt sie mit seinen bildhaften Phantasien, kann dabei aber äußere Realität und inneres Erleben nicht sicher trennen. Ähnlich vollzieht sich das Denken der Naturvölker, zu deren Weltbild es gehört, daß alles sich auf alles bezieht, die Vorgänge in der natürlichen Umwelt nach dem Maßstab menschlichen Handelns erlebt werden und durch Magie auch beeinflußt werden könnten (Animismus). Durch die Entwicklung entfernt sich das Denken allmählich von der konkreten Anschauung, bleibt aber weitgehend an Zeichen, an Symbole und dann an die Sprache gebunden. Durch ihre vielen bildlichen Ausdrücke (Metaphern) erinnert noch eine vermeintlich theoretische Sprache an die Anschauung, wie etwa »Erfahrung« sich auf das Umherfahren und »Entwicklung« sich auf das Auseinander-wickeln beziehen. Wie alles, was der Mensch tut, wird auch das Denken zunächst in den Dienst des Lustprinzips gestellt, ehe es zur Erkenntnis der Realität durchdringen kann. Die Anerkennung des Realitätsprinzips bleibt aber weiter durch die Versuchung zum Wunschdenken gefährdet. Die Intelligenz befähigt den Menschen sogar, für die Befriedigung der Wünsche anscheinend vernünftige Gründe zu finden: die sogenannte Rationalisierung. Weil das Denken die Bindung an das Wunschleben überwinden muß, wird es als Gegensatz zum Fühlen empfunden. Es gibt viele Themen, die sich denkerisch nicht ohne weiteres durchdringen lassen, sodaß man meint, man sollte sie der Intuition, dem Gefühl, überlassen. Sie gelten als irrational. Zwar spielt sich der größte Teil des Denkens im Bewußtsein oder im »Vorbewu ßten« ab, aber es reicht auch ins Unbewußtehinein. Das zeigt sich an den »plötzlichen Einfällen«, die uns wie aus der Fremde überkommen, vielleicht sogar im Traum. Sie gehen meist auf eine lange Beschäftigung mit einem bestimmten Problem zurück, die aber bewußt an eine zunächst unüberwindbare Grenze gestoßen ist. Im Unbewußten geht die Arbeit weiter, und irgendwann ist die Hemmung so weit abgebaut, daß die Lösung als »Einfall« bewußt werden kann. Freud hat das Denken als Probehandeln mit vermindertem Aufwand verstanden. Ganz ähnlich faßt es der Behaviorismus als »implizierte (eingeschlossene) Bewegung« auf. Schon William James sah darin eine Einschaltung von Zwischengliedern zwischen Reiz und Reaktion, zwischen Eindruck und Handeln. Das alltägliche Denken, das den durchschnittlichen praktischen Bedürfnissen dient, ist weitgehend automatisch. Es folgt eingefahrenen Mustern und »Vorurteilen« und schließt nur selten mit unabhängiger, verantwortlicher Entscheidung. Das produktive Denken schöpferischer Menschen führt manchmal zu völlig neuen Einsichten. Auch diese Einfälle gehen auf eine lange Kette der Verstandesarbeit von Vorgängern zurück, nur daß eben noch niemand zuvor die Freiheit gefunden hatte, »so weit zu denken«.Im Denken wird die wahrgenommene Welt geordnet und in ihren Veränderungen planmäßig erfaßt. Auf diese Weise ermöglicht das Denken ein einsichtiges Probehandeln (Bewußtsein). Dieses Ordnen vollzieht sich an konkreten Gegenständen (eine Stufe, auf der die frühen Denkprozesse der Kindheit ablaufen), aber auch an Vorstellungen und endlich an abstrakten Beziehungen zwischen Vorstellungen und an Begriffen, die mit keiner konkreten Vorstellung mehr zu verbinden sind. Wird die Wirklichkeit gemäß persönlicher Wünsche geordnet, liegt das «primärprozeßhafte» Denken vor (S.Freud); ein Beispiel dafür wäre die Geschichte vom Milchmädchen, das überlegt, wie es vom Erlös einer Kanne Milch ein Kälbchen, eine Kuh, endlich einen ganzen Bauernhof erwerben wird. Erst kritische Prüfung und rationaler Vergleich mit der Wirklichkeit lassen die sekundären Denkvorgänge entstehen, welche die Anpassung des Erwachsenen an das Realitätsprinzip kennzeichnen. Eine Sonderform des primär-prozeßhaften Denkens ist das magische Denken (Magie). Hier werden Gegenstände, Tiere und Pflanzen nach dem Modell des erlebenden Menschen gedacht. Man unterstellt ihnen Absichten, versteht das, was ihnen geschieht, als Entsprechung zu dem, was einem menschlichen Wesen geschieht. Die verschiedenen Denkvorgänge sind von den einzelnen psychologischen Schulen sehr unterschiedlich interpretiert worden. Während die Vertreter der Assoziations-Lehre glaubten, alles Denken lasse sich von der Ordnung konkreter Vorstellungen ableiten, haben die Versuche der «Würzburger Schule» (O.Külpe, N.Ach, O.Selz) gezeigt, daß Denkvorgänge sehr oft keine anschauliche Grundlage haben und daß die Aufgabenstellung, also das Ziel des Denkvorgangs, bestimmt, welche Art von Ordnungsrichtung vorliegt. Die ~> Gestaltpsychologie hat vor allem das «produktive» Denken erforscht, das heißt das Problem untersucht, auf welche Weise Denkprozesse bisher unbeantwortete Fragen klären können. Es zeigte sich, daß sich solche Vorgänge nicht durch isolierte Verbindungen zwischen einzelnen Denkschritten oder durch die Assoziation von Vorstellungen erklären lassen, sondern durch die innere Wahrnehmung einer Struktur oder eines Feldes (Feldtheorie), in dem eine bestimmte Spannung herrscht. Die Klärung erfolgt oft durch einen ziemlich raschen Schritt, durch den das ganze Problem ein verändertes Aussehen gewinnt («Aha-Erlebnis»). So behält das Problem, eine Krebsgeschwulst im Körperinneren zu bestrahlen, ohne das umgebende Gewebe mit einer gleichhohen Strahlendosis zu schädigen, so lange seine gespannte, unlösbare Struktur, wie man von einer einzigen Strahlenquelle und einem statisch daliegenden Kranken ausgeht. Es verändert seine Struktur mit einem Schlag, wenn man erkennt, daß die Strahlen dann die Geschwulst voll und das restliche Gewebe abgeschwächt treffen, wenn die Geschwulst im Brennpunkt einer verteilten Strahlenquelle liegt. Ist dieser Denkschritt vollzogen, dann werden mehrere Möglichkeiten deutlich, das Problem zu lösen. Man kann entweder den Kranken so um eine feste Strahlenquelle drehen, daß die Strahlung in der Geschwulst die höchste Konzentration erreicht, oder man kann um den festliegenden Körper des Kranken mehrere Strahlenquellen so gerichtet anbringen, daß sich die Strahlen im Geschwulstgebiet schneiden. In jüngster Zeit ist die Denkpsychologie durch die Kybernetik wesentlich angeregt worden. Der Versuch, Denkoperationen in elektronischen Maschinen (Computern) nachzuvollziehen, hat für das Verständnis der Eigenarten des schöpferischen, problemlösenden Denkens neue Anregungen erbracht. Lernen

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