die Fähigkeit der Menschen, sich untereinander durch Worte zu verständigen. Die artikulierte und differenzierte Sprache war die entscheidende Voraussetzung zur Gemeinschaftsbildung, zur Arbeitsteilung und damit zur Entwicklung der Kultur. Wie andere Fähigkeiten, die den Menschen auszeichnen (Aufrechtgang, Bewußtsein, Gewissen, Scham usw.), wird auch die Sprache von jedem Kinde neu gelernt, und zwar vor allem durch das Beispiel. Die einzelnen Wörter sind im Grunde nur Zeichen (Symbole), deren genaue Bedeutung sich jeweils erst aus dem Zusammenhang ergibt. Allmählich verknüpfen sich die Vorstellungen von einem Ding oder Vorgang mit den zugehörigen Worten. Gedankenverbindungen (Assoziationen) laufen weitgehend an sprachlichen Zusammenhängen entlang. Die gesprochene Sprache setzt zunächst die unmittelbare Nachbarschaft voraus. Die Mitteilung durch die Worte wird durch den Klang der Stimme, durch Gesten und Mimik ergänzt und modifiziert. Diese sinnliche Wahrnehmung wird in der Schrift, der »Sprache des Abwesenden«, vermindert. Das gedruckte Wort hat sich auch noch von dem letzten körperlichen Ausdruck gelöst, wie er sich in der Handschrift niederschlägt. In den Mitteilungen der Wissenschaft und Technik mit ihren Zahlen und Formeln erreicht die »Sprache« ein Höchstmaß der Abstraktion. Hier wird zugleich eine internationale Verständigung möglich, an der freilich nur die fachlich Eingeweihten teilnehmen können. Da Sprache durch das Beispiel entwickelt wird, haben sich viele Sprachen nebeneinander gebildet. Ihre Struktur und ihr Wortschatz hängen offenkundig von dem Charakter der Völker ab, in denen sie gelten. Die Verwandtschaft einiger Völker miteinander spiegelt sich in der Verwandtschaft ihrer Sprachen. Jede Sprache verändert sich mit den Lebensverhältnissen im Sprachraum. Eine jede bildet sich entsprechend so eigentümlich, daß sie etwas ausdrückt, was sich nicht wirklich in eine andere Sprache übersetzen läßt. Zu jeder Sprache gehören mehrere Dialekte, die so nur in einzelnen Gegenden und bei einzelnen Stämmen des betreffenden Volkes verstanden werden. Darüber hinaus gibt es Schichtsprachen. In niederen Schich ten bieten Eltern und Lehrer dem Kinde nur einen begrenzten Wortschatz an und geben ihm nur ein begrenztes Beispiel für den freien Umgang mit Sprache. Selbst Alters oder Berufsgruppen sind durch eigentümlichen Sprachgebrauch gekennzeichnet. Hieraus ergeben sich Verständnis-Barrieren zwischen den Schichten und Gruppen. Sprachliche Unsicherheit vermindert die Chancen zum sozialen Aufstieg. Die Verfügung über die Sprache hängt aber auch von Hemmungen anderer Art ab, etwa von einer psychischen Unsicherheit, wie sie sich ähnlich in der Scheu zeigt, sich überhaupt zu äußern, etwa mit Gesten oder durch ein irgendwie auffälliges Verhalten. Ein Mensch, der in einem überdurchschnittlichen Maße über Sprache verfügt, kann die anderen tief beeinflussen. Dann ist es, als könne er für diese anderen sagen, wofür sie keine Worte haben. Hier wird die Sprache fast zur Magie. Sie gibt Wirklichkeit nicht einfach wieder, sondern beschwört eine neue, seelische Realität. Zu einer solchen persönlichen Sprache gehören Worte und Wortverbindungen, die sonst nicht üblich sind; diese Eigenheiten kennzeichnen insbesondere den Dichter. Die Literatur lebt ebenso wie von ihren Inhalten von der jeweils besonderen Sprache. Sie teilt außer Sachverhalten auch Gefühle mit oder erregt sie. Die Nähe der Sprache zum Gefühlsleben hat sich in dem Ausdruck »Muttersprache« niedergeschlagen. Freilich darf man über der Mitteilung mithilfe des Wortes nicht die »wortlosen Sprachen« der Zeichen, Gesten, Mienen und anderen Signale vergessen.Die Sprache ist sicher ein entscheidendes Merkmal der psychologischen Situation des Menschen. Sie wird, indem sie die meisten kulturellen Normen vermittelt, zur Trägerin der Sozialisation, leiht den verinnerlichten Verhaltensvorschriften die «Stimme des Gewissens». Weiter erlaubt sie die kathartische Abfuhr (katharti-sche Methode) von Gefühlen, was sich die Psychotherapie zunutze macht, ermöglicht eine innere Verbindung zwischen verschiedenen Abschnitten des Erlebens und überliefert (zusammen mit der Schrift) dem Menschen seine Geschichte.
Das derzeit am meisten untersuchte und umstrittene Problem der Sprachpsychologie sind die Sprachbarrieren. Hier unterscheidet man den «eingeengten Kode» der Unterschicht (ungelernte Arbeiter, Facharbeiter) vom «ausgearbeiteten Kode», den die Mittel- und Oberschichten (höhere Angestellte, Beamte, Akademiker) sprechen. Unter Kode versteht man dabei, welche Teile aus der gesamten Welt sprachlicher Zeichen ein Mensch auswählt. Merkmale des eingeengten Kodes sind einfache, oft unvollständige Sätze in Aktivform, starrer Satzaufbau, kurze Befehle und Fragen, sehr beschränkter Wortschatz. Der ausgearbeitete Kode der oberen Schichten entspricht der literarischen Schriftsprache. Er wird im Bildungswesen (vor allem an den Gymnasien) vorausgesetzt. Daraus ergeben sich geringere Chancen für Unterschichtkinder, die durch ihren eingeengten Kode benachteiligt sind, den Wissensstoff der höheren Schulen aufzunehmen. Problematisch und umstritten an dieser Sprachbarrierentheorie ist vor allem ihre Auffassung der sozialen Schichten und ihre Neigung, bei der Auswahl der geprüften Sprachmerkmale die Norm des ausgearbeiteten Kodes (also die Norm der Mittel- und Oberschicht) anzulegen.
Gegenstand
Die Sprachpsychologie beschäftigt sich mit allen psychologischen Aspekten, die mit Sprache zu tun haben, also z.B. mit hinter sprachlichen Äußerungen stehenden Kognitionen und Motivationen, Verarbeitungsmechanismen bei der Analyse sprachlicher Äußerungen und Texten, der Entwicklung von Sprache im Verlauf des Lebens oder in der Menschheitsgeschichte und mit Sprachstörungen. Der Begriff Psycholinguistik war ursprünglich vor allem dem Bereich des Spracherwerbs und der psychischen Verarbeitung sprachlicher Strukturen vorbehalten, wird heute jedoch weitgehend synonym mit Sprachpsychologie verwendet. Die Sprachpsychologie ist keine eigene Disziplin, sondern faßt alle für sprachliche Phänomene relevanten Erkenntnisse der Psychologie zusammen unabhängig davon, ob sie direkt an sprachlichen Äußerungen oder anderweitig gewonnen wurden. Sie hat auch keine eigene Methodik entwickelt, sondern nutzt die in der Psychologie und angrenzenden Wissenschaften (Linguistik, Ethnologie, Ästhetik usw.) üblichen Methoden. Besonders häufig sind Lern- und Gedächtnis-, Wahrnehmungs- und Assoziationsexperimente, Zuordnungsversuche, Interferenzuntersuchungen, physiologische Methoden, Analyse der Wahrscheinlichkeiten sprachlicher Einheiten, Untersuchungen des Zusammenhangs zwischen linguistischen und psychologischen Realitäten in den verschiedensten Kulturen usw. (Sprechen, Lernen, Gedächtnis, Kognition, Informationsverarbeitung).
Forschungsbereiche und -methoden
Die Sprachursprungsforschung hat wesentliche Anregungen vor allem aus drei Bereichen erhalten: a) Analysen der Sprachen dieser Erde: Versuche, Sprachverwandtschaften durch Clusteranalysen weniger in allen Sprachen vorkommender zentraler Begriffe (wie 1, 2, 3, Kopf, Auge, Ohr usw.) zu klären, haben zu erstaunlich plausiblen Klassifikationen geführt, die mit linguistischen Annahmen großenteils übereinstimmen. Wie die Befunde von Greenberg nahelegen, habt sich am frühesten eine afrikanische von einer nordeurasischen Gruppe getrennt, der auch die Berbersprachen und die südwestasiatischen Sprachen anzugliedern sind. Ähnliche Klassifikationen findet Cavalli-Sforza bei der Klassifikation genetischer Merkmale. Unter Hinzuziehung weiterer, archäologischer Erkenntnisse deutet dies auf eine Entwicklung der Sprachen der Menschheit ebenso wie der Menschheit insgesamt aus dem zentralafrikanischen Raum hin. b) Erkenntnisse der Lautsymbolik: Die Frage nach der Entstehung der Sprachen und den hierbei gültigen Prinzipien ist untrennbar mit der bereits bei Plato gestellten Frage nach der Existenz der Lautsymbolik verbunden. Besteht jenseits der Lautmalerei (Onomatopöie) ein systematischer Zusammenhang zwischen der Lautgestalt eines Wortes und dem durch das Wort Bezeichneten? De Saussure vermutete, die Zuordnung von Lautgebilden zu Gegenständen und Bereichen der Realität sei willkürlich (arbiträr). Die Sprachpsychologie geht hingegen schon immer von einem systematischen Zusammenhang aus. Dieser hat sich vor allem in Zuordnungsexperimenten erhärten lassen (Experiment). Dabei werden den Versuchspersonen Wortpaare einer ihnen nicht bekannten Sprache mit Übersetzungen geboten, die in 50% der Fälle in der richtigen Reihenfolge zugeordnet sind, in 50% in der falschen. Daß die Zuordnungen den Vpn in dieser Versuchsanordnung zumeist gelingen, bei der Zuordnung zweier fremder Sprachen hingegen nicht, verweist auf die Relevanz der Kenntnis der Bedeutung (aufgrund der muttersprachlichen Übersetzung) und damit auf die Wirksamkeit der Lautsymbolik bei der Sprachentstehung. Zu c) Einzelbeobachtungen an Kindern: Erkenntnisse an Kindern, die ohne sprachlichen Kontakt aufgewachsen sind (Wolfskinder, Kinder taubstummer Eltern; Taubheit), sind aufgrund möglicher organischer Vorschädigungen, Unklarheiten über die Umstände vor dem Auffinden, unterschiedlichem Gesundheitszustand und unterschiedlicher Pflege und Dokumentation nach dem Auffinden nur schwer zu beurteilen. Sprachphysiologische Untersuchungen beschäftigen sich überwiegend mit dem Zusammenwirken einzelner Gehirnregionen bei den verschiedensten sprachlichen Leistungen, insbesondere mit der Bedeutung der beiden Hemisphären (Hemisphärendominanz) hierbei und der Bedeutung evozierter Potentiale. Dabei stellt sich heraus, daß selbst für kleinste sprachliche Produktionen z.B. eines Konsonanten das Zusammenspiel unterschiedlicher Gehirnregionen nötig ist, daß andererseits für ein und dieselbe Produktion oder Rezeption die zugrundeliegende physiologische Konstellation variabel ist. Generell sind sprachliche Leistungen eher linkshemisphärisch angesiedelt (Spracherwerb, Entwicklungspsychologie, Zentralnervensystem).
Sprache und Denken
Im Anschluß an die sog. Sapir-Whorf-Hypothese der Linguistik ergab sich eine Vielzahl unterschiedlicher psychologischer Experimente sowie anthropologischer und linguistischer Untersuchungen, um den Zusammenhang zwischen Sprache und Denken zu klären. Die Psychologie hat vor allem Untersuchungen zur Auswirkung des sprachlichen Repertoirs auf die nonverbalen Verhaltensweisen der Farbwahrnehmung und Gruppierung von Gegenständen (z.B. Plastikblättchen) je nach von der Sprache der Vpn favorisierten Aspekten (z.B.Form,Farbe,Zahl) geliefert. Die Bedeutung der sprachlichen Assoziationen zugrundeliegenden kognitiven Verknüpfungen wird in Reiz-Reaktions-Versuchen ermittelt, wobei ein auslösendes Wort genannt wird, auf das die Vp das ihr zuerst einfallende bzw. die ihr zuerst einfallenden Wörter nennen soll.
Berücksichtigt man die Aufmerksamkeit, die dem Thema Sprache und Denken gewidmet wurde, so verwundert die spärliche Behandlung des Bezugs der Sprache zu Motivation und Emotion. Ansätze zeigen sich in den Untersuchungen Osgoods zur rigideren sprachlichen Ausdrucksweise in den Briefen suizidaler Personen und in Untersuchungen zur Sprache bei der Beschreibung von angenehmen und unangenehmen Emotionen durch Collier. Die Auswirkung der Kontaktsituation bzw. der Nähe zwischen Kontaktpartnern auf die Sprache wird im Index der verbalen Nichtunmittelbarkeit von Wiener und Mehrabian erfaßt. Unpersönliche Ausdrucksweise ist dabei gekennzeichnet z.B. durch automatische Phrasen (du weißt ja, ich möchte noch einmal betonen), Über- und Untergeneralisierung (niemand kann ihn leiden, statt ich kann ihn nicht leiden), räumliche und zeitliche Trennung (jene Leute, statt diese Leute) usw. (Sprachentwicklung, Sprachentwicklungstheorien).
Eng verbunden mit der Frage der Beziehung zwischen Sprache einerseits und Denken, Motivation und Emotion andererseits ist die Beziehung zwischen der Zugehörigkeit zu bestimmten Nationalitäten und auch der Veränderung dieser Zugehörigkeit und der Auswirkung auf die Sprache. Dabei sind der Effekt der Sprache und der Effekt der Kultur nicht immer leicht zu trennen. Die bevorzugte Methode, um die Einstellung zu bestimmten Sprachen zu untersuchen, ist die sog. matched-guises-technique von Lambert und Mitarbeitern, die darauf abzielt, den Einfluß der Stimme und der Persönlichkeit des Sprechers zu eliminieren. Dabei zeigt sich, daß auch unabhängig von dieser Versuchsanordnung die Einstellung zur Sprache immer dem Sprecher persönlich attribuiert wird. Ferner tendieren Personen diskriminierter Sprachen bei diesen Versuchen selbst zur Abwertung ihrer Sprache bzw. der diskriminierten Sprachmerkmale. Untersuchungen über den Zusammenhang zwischen nationalen Einstellungsmustern und Sprachgepflogenheiten stammten zunächst eher von linguistischen Autoren und zeigen sich etwa in Vermutungen über die Rationalität des Französischen, die Dynamik des Deutschen oder die Pragmatik und Konkretheit des Englischen. Neben australischen und amerikanischen Sprachabweichungen vom englischen bzw. spanischen oder portugiesischen Mutterland und ihrem Bezug zu Abweichungen in der Mentalität finden sich in jüngster Zeit gehäuft empirische Untersuchungen zu den Sprachabweichungen des afrikanischen Amerikanisch. Hierbei zeigen sich Merkmale afrikanischer Kulturen etwa im holistischen Denken sowie Überbleibsel der Sklaverei in Form von Unterdrückungserwartung und passiver Opposition. Dies wird belegt damit, daß sich Produktionsschwierigkeiten englischer Laute auf der rezeptiven Ebene in keiner Weise wiederfinden.
Die Untersuchung von Synonyma in verschiedenen Sprachen zeigt, daß Sprachverwandtschaften sich über die lexikalische und grammatikalische Ebene hinaus in bestimmten assoziativen Gewohnheiten widerspiegeln. In dieser Form läßt sich die psychologische Nähe zwischen Sprechergruppen beschreiben.
Bilingualität wurde lange als Beeinträchtigung für die Identitätsentwicklung der betreffenden Personen gesehen, empirisch läßt sich dies jedoch nicht verifizieren. Vielmehr zeigen sich Vorteile Bilingualer im Bereich der Reflexion über sprachliche Strukturen (Metalinguisitk), überwiegend auch in kognitiven Fähigkeiten allgemein und in Lebenseinstellungen wie z.B. im Demokratieverständnis.
Sprachliche und schriftliche Produktionen lassen sich auch zur differentiellen Diagnose verwenden. Dabei werden formalanalytische und inhaltsanalytische sprachdiagnostische Methoden unterschieden. Bei formalanalytischen Verfahren wird die Häufigkeit bestimmter syntaktischer und grammatikalischer Merkmale berücksichtigt (z.B. Verben, Substantive, Nebensätze), bei den inhaltsanalytischen Methoden wird der sachliche Bezug beachtet (z.B. Häufigkeit von Ausdrücken, die auf Angst hindeuten).Wünschenswert wäre, daß die Textproben unter standardisierten Bedingungen gewonnen wurden und den für Tests gültigen Gütekriterien (Objektivität, Reliabilität, Validität) genügen.
Sprachpathologie
Die relevantesten sprachpathologischen Abweichungen stellen Stottern, Aphasie und die Sprache Schizophrener dar. Beim Stottern handelt es sich überwiegend um psychisch bedingtes Geschehen, bei der Aphasie um organisch bedingte Probleme der Sprachproduktion (Broca-Aphasie) oder Sprachwahrnehmung (Wernicke-Aphasie), und die schizophrenen Sprachabweichungen werden eher als Denk-, Kommunikations-, Gefühls- und Motivationsstörung gesehen, weniger als reine Sprachstörung.
Literatur
Grimm, H. & Engelkamp, J. (1981). Sprachpsychologie, Handbuch und Lexikon der Psycholinguistik. Berlin: Schmidt
Herrmann, T. (19952). Allgemeine Sprachpsychologie: Grundlagen und Probleme. Weinheim: Beltz, Psychologie-Verl.-Union
Hörmann, H. (19913)..Einführung in die Psycholinguistik. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft
Kainz, F. (1954-1969): Psychologie der Sprache. Stuttgart: Enke
Langenmayr, A. (1997). Sprachpsychologie. Ein Lehrbuch. Göttingen: Hogrefe
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