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Psychologielexikon

Überarbeitete Ausgabe

Psychologielexikon

Realität

Autor
Autor:
Werner Eberlein

die gegebene Wirklichkeit, vor allem im Verhältnis zu ihrer subjektiven Deutung und im Gegensatz zu Wunschdenken und Illusion. Es scheint einen markanten Unterschied zu geben zwischen der äußeren Wirklichkeit, also allem, was nicht Ich ist, und dem innerseelischen Geschehen. Aber selbst die äußere Realität wird entweder in Beziehung zur eigenen Person aufgefaßt oder aber als unwesentlich, beziehungslos erlebt. Niemand weiß, wie die Welt aussehe ohne ihn, der sich unvermeidlich als ihr Mittelpunkt fühlt. Deshalb können wir uns auch den eigenen Tod nicht wirklich vorstellen. Ein jeder erlebt und erfaßt nur einen Teil der äußeren Wirklichkeit. Aus einer begrenzten Erfahrung ist er zu Fehlschlüssen und Vorurteilen geneigt. Mehr noch ist er versucht, die Außenwelt mit den Vorgängen in der eigenen Seele zu vermischen und zu verwechseln. Es gibt eine Reihe von Zuständen und Vorgängen, in denen die Grenze zwischen äußerer und innerer Realität verwischt wird: den Traum, die Halluzination, die Hypnose, die Verliebtheit, den Rausch (Ekstase), die Projektion, die Identifikation. Das kleine Kind kann überhaupt noch nicht zwischen Ich und Nicht-Ich unterscheiden. Dieser Gegensatz wird später oft als Belastung empfunden, und dann möchte man in diesen infantilen Zustand zurückehren (Regression). Doch ist das Leben nur zu bestehen, wenn man sowohl die äußere Wirklichkeit und ihre Macht erkennt als auch die eigenen Möglichkeiten, sich darin einzurichten. Dies meinte Freud, als er die Reifung des Menschen als Abkehr vom Lustprinzip, und Anerkennung des Realitätsprinzips beschrieb. Das heißt nicht nur, daß man das Lustverlangen zurückstellen muß, wenn seine Befriedigung Schaden einbringen würde. Es bedeutet auch, daß man lernen muß, die Welt nicht mehr so zu sehen, wie man sie sich wünscht, sondern die Realität auch dann zu erkennen, wenn sie den eigenen Liebes und Größenvorstellungen widerspricht. Es heißt nicht, wie man oft gemeint hat, daß man die äußere Realität bedingungslos »anerkennen« und sich ihr total anpassen müsse. Zur Erkenntnis der Wirklichkeit gehört vielmehr auch die Einsicht, wo und wie sie verändert werden könnte, und welche Kräfte man einsetzen kann, um dies zu erreichen. Nur wenn beides, die äußeren Gegebenheiten und die inneren Möglichkeiten wie Notwendigkeiten, in ihrem realen Verhältnis zueinander erkannt wird, kann das Realitätsprinzip doch noch dem Lustprinzip dienen, nämlich die Befriedigungen schaffen, die erreichbar sind ohne Flucht in Illusionen und ohne Gefahr der Selbstzerstörung.

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