wissenschaftlich geplanter und kontrollierter Versuch, der eine theoretische Annahme bestätigen, berichtigen oder widerlegen soll. Ein Experiment gilt nur dann als beweiskräftig, wenn sein Ergebnis sich unter gleichartigen Bedingungen wiederholt. In der »verstehenden« oder Tiefen-Psychologie sind Experimente in diesem strengen Sinne kaum möglich, weil sich zwischen dem psychologischen Beobachter und der Versuchsperson ein persönliches Verhältnis (in der Art der Übertragung) entwickelt, das den Vorgang individuell einfärbt. Die Beobachtungen selbst werden gedeutet oder interpretiert nach Maßstäben, die mit denen keines anderen Beobachters völlig identisch sein können. Dennoch gibt es tiefenpsychologisch orientierte Experimente, so im Zusammenhang mit der Assoziation oder mit Hilfe der Hypnose. Auch die sogenannten Projektions-Teste lassen sich als tiefenpsychologische Experimente verstehen. Wegen der geringen Möglichkeiten, psychoanalytische Einsichten experimentell nachzuprüfen, hat man manchmal der Psychoanalyse den Rang einer Wissenschaft abgesprochen. Aber auch andere Wissenschaften entziehen sich dem Experiment. Zudem lassen sich die wesentlichen Behauptungen der Psychoanalyse in so unendlich vielen Einzelfällen trotz aller individuellen Unterschiede wiederfinden, daß die Summe dieser Bestätigungen durchaus beweiskräftig ist. Eine große Rolle spielt das Experiment in der an den Reflexen orientierten Psychologie und für den Behaviorismus. Doch hier zeigen sich auch die Grenzen der experimentellen Forschung für die Einsicht in das Seelenleben. Oft überträgt man die Ergebnisse von Tier-Versuchen allzu unkritisch auf Verhältnisse beim Menschen und übersieht zugleich, daß sich auch das Tier auf den beobachtenden Menschen (und auf die künstlichen Bedingungen des Labor-Versuchs) anders einstellt als in seinem natürlichen Lebensraum. Der Einfluß einer Versuchssituation auf das Verhalten und Empfinden von Menschen sei an zwei Beispielen skizziert: 1. Man hat Versuchspersonen aufgefordert, einer Reihe von Leuten Aufgaben zu stellen und sie mit der Auslösung elektrischer Schocks zu »bestrafen«, wenn sie die Aufgaben nicht korrekt lösen. Die Schocks konnten in unterschiedlicher Stärke ausgelöst werden, und die Bestraften litten hinter Glasscheiben sichtlich unter dem Schmerz. In Wahrheit wurden die Schocks nicht wirklich ausgelöst, und das Leiden wurde nur gespielt. Es stellte sich bei dem Experiment heraus, daß die Versuchspersonen mit der Zeit immer mehr dazu neigten, die größtmögliche Stärke der Schocks auszunützen. Daraus hat man geschlossen, daß die Grausamkeit des Menschen leicht bis zum Extrem angestachelt werden kann, wenn sie im Zusammenhang mit einer sozial gebilligten Aufgabe zu stehen scheint. Trotz ähnlicher Beobachtungen im realen Leben ist die Folgerung nicht schlüssig, weil den Versuchspersonen von vornherein klar gewesen sein muß, daß sie sich in einer Art Spiel-Situation befinden, auf die man anders reagiert als im Bewußtsein einer vollen Realität. 2. Hat hier das Experiment die Triebtendenzen stärker freigesetzt, als sie sonst zur Geltung kommen, erwies sich bei der experimentellen Traum-Forschung, daß die Beobachtung im Labor neue Hemmungen aufbaut. Man gewann durch Versuchsreihen und Kontrollexperimente zwar den Beweis dafür, daß jeder Mensch mehrmals in der Nacht träumt, und daß die Verhinderung dieser Traum-Perioden über längere Zeit den Menschen krank macht, auch wenn er ausreichend Zeit zum Schlafen erhält. So wurde Freuds Einsicht in die große Bedeutung der Träume für unser Seelenleben labormäßig bestätigt. Aber unter den Träumen, die man sich von den Schläfern im Traumlabor unmittelbar nach der Traumperiode erzählen ließ, gab es keinen einzigen Angst-und keinen einzigen Sexualtraum. Nach psychoanalytischer Auffassung gehen die meisten Angstträume auf sexuelle Regungen zurück, die von der Traum-Zensur abgeblockt werden. Daß sich diese Träume der experimentellen Beobachtung entzogen, liegt daran, daß die Schläfer auch in ihre Träume hinein den Beobachter nicht vergaßen, vor dem sie ihre Triebwünsche glaubten verbergen zu müssen. Auch für die Psychologie kann das Experiment ein wichtiges Hilfsmittel sein, aber man muß seine Ergebnisse durch andere Mittel der Erkenntnis berichtigen und ergänzen und sich seiner Irrtumsquellen bewußt bleiben.Wissenschaftlich geplante Form der Beobachtung, welche es erlaubt, die meisten (im Idealfall alle) Einflüsse auf ein Geschehen gezielt zu verändern beziehungsweise gleichmäßig zu halten. Ziel des Experiments ist es, ursächliche, gesetzmäßige Abhängigkeiten eindeutig aufzuzeigen, was durch bloße Empirie (Erfahrungswissenschaft) nicht immer möglich ist, da man hier nur Beobachtungen sammelt, ohne die Einflüsse auf das Beobachtete planmäßig zu verändern und zu prüfen, welche Folgen diese Veränderungen auf das Geschehen haben. Das Experiment ist eine wichtige Methode der Psychologie und aus allen Bereichen der Forschung, wo problemlos mit Menschen experimentiert werden kann (Wahrnehmung, Denken), nicht mehr wegzudenken. Andererseits schmälert es die Aussagekraft, wenn keine unmittelbaren Ergebnisse, sondern nur Vergleichsergebnisse gewonnen werden, zum Beispiel wenn Tierversuchen Erklärungen für menschliches Verhalten zugrunde gelegt werden. In den zahlreichen besonders schwerwiegenden Fragen, in denen sich experimentelle Ansätze aus Gründen der Moral verbieten (man kann nicht experimentell nachprüfen, ob die Prügelstrafe für Kleinkinder schädlich ist), bleibt die Psychologie auf Beobachtung angewiesen, die durch Kontrolle (objektive Aufzeichnungen mit Hilfe von Tonbändern und Bildkonserven; Beurteilung durch mehrere, voneinander unabhängige Auswerter; Erfassung möglichst aller beteiligten Einflüsse) zusätzliche Genauigkeit gewinnen kann.
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