die »Sittlichkeit«, ein System von Vorstellungen darüber, was »richtig« und »gut« oder aber »falsch« und »schlecht« sein soll. Neben unverzichtbaren Geboten und Verboten gehören zur Moral auch viele eher nebensächliche Anweisungen, deren einziger Sinn darin besteht, Gehorsam gegenüber dem zu erzwingen, was »man« tut. Aber selbst die Grundsätze der Ethik sind wandelbar. So wird das Gebot »Du sollst nicht töten« im Kriege in sein Gegenteil verkehrt, und auch im Frieden gilt es weithin nicht für den Henker. In ganz besonderer Weise regelt die Moral die Ausdrucksformen der Sexualität, indem es sie vor allem drastisch einschränkt. Lange Zeit galt die Sexualität als erlaubt nur in der Ehe, und im Extrem sogar nur dann, wenn sie die Fortpflanzung zur Folge haben konnte. Alles andere war »Unzucht«. Aber natürlich konnte eine so rigorose Auffassung nie wirklich durchgesetzt werden. So entstand ein Freiraum für Dinge, die stillschweigend geduldet wurden, obwohl man sie öffentlich verdammte. Es entwickelten sich Entlastungssitten wie der Karneval und Entlastungsinstitutionen wie die Prostitution. Hier wurde doch wieder irgendwie geregelt, was den offiziellen Regeln spottete. Doch was auf diese Weise widerwillig geduldet werden mußte, geriet in einen Bannkreis von Heimlichkeit und Scham, der es weiter erniedrigte. Die Übertretung der strengen Moral hatte ein Schuldgefühl zur Folge, mit dem der Einzelne für seine »Sünden« büßte. Die offizielle wie die stillschweigende Moral gilt niemals für alle Mitglieder der Gesellschaft in gleicher Weise. Den Frauen werden zum Teil auch heute noch sehr viel härtere Beschränkungen auferlegt als den Männern. Einer Elite war früher erlaubt, was dem Bürger verwehrt war. Der Künstler genoß in der Boheme Son derrechte, in anderer Weise auch der Soldat oder der Seemann. Die Unterschicht, das Proletariat, wurde »moralisch« kaum gegängelt, oft in der Überzeugung, das diese Menschen ohnedies nicht erzogen werden könnten, vor allem aber in Hinblick auf die Tatsache, daß wirtschaftliche Not, unaufhörlicher Arbeitszwang und erbärmliche Wohnverhältnisse einen freieren Ausdruck der Sexualität ohnehin nicht erlaubten. Was einem Bürgersohn im Verhältnis zu Mädchen und Frauen seines Standes verboten war, war ihm in Beziehung zu Frauen einer niedrigeren Schicht durchaus gestattet. Mit anderen Worten, die Moral war (und ist) immer Klassenmoral. Ungerecht war sie auch insofern, als sie die Unterschiedlichkeit der sexuellen Konstitution nicht anerkannte und alle Menschen unter die gleiche Norm zwingen wollte. Wer seiner Anlage gemäß in diesem Rahmen keine Erfüllung finden konnte, sollte überhaupt kein Recht auf Glück mehr haben. Von diesen Übertreibungen hat uns der Bewußtseinswandel der letzten Jahrzehnte zwar befreit, aber auch in der heutigen Moral sind viele Ungerechtigkeiten und Uneinsichtigkeiten übriggeblieben. Die feierlich verkündete Moral wandelt sich langsamer als das, was wirklich Sitte ist. Die Differenzen zwischen Recht, verkündeter Moral und den tatsächlichen Bräuchen wurden durch die statistischen Ermittlungen Kinseys weltweit offenkundig. Seit her ist man in vielen Staaten darum bemüht, das Gesetz dem wirklichen Verhalten in der Gesellschaft anzupassen. Man will sich auf solche Gebote und Verbote beschränken, die für das Zusammenleben unerläßlich sind, jedoch in die Intimsphäre von einverständigen Erwachsenen nicht mehr eingreifen. Dieser Wandel hat auch damit zu tun, daß in einer modernen pluralistischen Gesellschaft nicht mehr eine einzige Religion oder Weltanschauung für alle verbindlich sein kann. Die verkündete Moral beruft sich ja meist auf eine Religion oder Ideologie. In Wirklichkeit sind viele Moralvorstellungen im christlichen Kulturkreis mit dem, was Jesus lehrte, kaum vereinbar. Man wollte den Eindruck erwecken, Gott selbst werde bestrafen, was doch nur Menschen für strafbar erklärt hatten. Man verließ sich nicht auf die Strafen, mit denen der Staat die Übertretung seiner Gesetze bedrohte. Die Regeln, die man für das Verhalten in der Gemeinschaft vorschrieb, wurden dadurch geschützt, daß jeder, der sie offenkundig brach, der Ächtung verfiel. Er sah sich isoliert und von der Liebe der Mitmenschen ausgeschlossen. Aber auch diese Drohung hätte noch keinen Gehorsam gesichert. So werden die Regeln der Moral dem Menschen von Kindheit an vorgehalten. Die bewußte Erziehung wird ergänzt durch das Vorbild, das vor allem die Eltern geben, und mit dem sie ihrerseits der Moral folgen. Der Gehorsam des Kindes wird mit der Liebe be lohnt, der Ungehorsam mit Strafe und Liebesentzug geahndet. Das Kind nimmt sich an den Eltern ein Beispiel, identifiziert sich mit ihnen, verinnerlicht ihre Gebote. So bildet sich in der Seele eine besondere Instanz, das Gewissen oder Über-Ich, das fortan über die Einhaltung der Moral auch dann wacht, wenn Übertretungen von niemandem sonst beobachtet werden könnten. Nicht nur Taten, sondern auch bloße Gedanken stehen jetzt unter Kontrolle. Selbst das, was man sich entgegen der erlernten Moral in bewußter Entscheidung freigibt, ist dann noch von einem unbewußten Schuldgefühl eingefärbt. Die Moral, obwohl ein Produkt der Kultur und Erziehung, wirkt wie eine innerseelische Kraft, die beinahe ebensowenig ignoriert werden kann wie ein Trieb.Jede Gesellschaft kennt Verhaltensvorschriften, die für ihre Mitglieder gelten. Die Vorschriften, welche das soziale Verhalten betreffen, nennt man Moral; das in Europa wichtigste Beispiel für solche moralischen Gebote und Verbote sind die Zehn Gebote des Alten Testaments. Manche moralischen Vorschriften sind in allen Kulturen gültig; so ist es nirgends erlaubt, seine Mutter zu heiraten oder seinen Bruder zu erschlagen. Inzesttabu, Über-Ich, Gewissen
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