nach anglo-amerikanischer Manier auch Super Ego genannt, für die Psychoanalyse die dritte »Instanz« der Seele, die sich jedoch erst im Laufe des Lebens entwickelt und dann dem Es wie dem Ich gegenübertritt. Es entsteht gegen Ende der frühkindlichen Sexualentwicklung, nach der phallischen Phase, und im Zusammenhang mit der Oedipus-Situation. Um diese Zeit werden die Gebote und Beispiele der Eltern verinnerlicht (introjiziert) und wirken fortan als Gewissen, das die eigenen Handlungen auch dann überwacht, wenn niemand anders sie beobachten könnte. Insoweit vertritt das Über-Ich die Moral, wie sie schon die Eltern aus den Sitten ihres Volkes, ihrer Religion und ihrer Schicht übernommen hatten. Aber anders, als es das Wort »Gewissen« andeutet, weiß der Mensch nicht immer, was ihm sein Über-Ich gebietet, und warum es so urteilt. Es reicht tief ins Unbewußte. Das hat mit den Verdrängungen zu tun, die sich aus dem Oedipus-Konflikt ergaben: Der Knabe, der in seiner begehrenden Liebe zur Mutter den Vater »weghaben« (töten) wollte, aber auch dessen Schutz und Liebe braucht, und sich nach dessen Vorbild richtet, identifiziert sich jetzt mit ihm, indem er dessen Geboten folgt. Da der Konflikt des Mädchens zwischen Vater und Mutter eine etwas andere Geschichte hat und nicht ebenso scharf ist, bildet sich das weibliche Über-Ich meist nicht so stark aus wie das des Mannes. Das Vorbild der Eltern wird durch andere Autoritäten, etwa in der Schule, aber auch durch das Beispiel der Mitmenschen verstärkt und modifiziert. So kann es zu einem Widerstreit zwischen den Geboten aus verschiedenen Wertordnungen kommen. Es bilden sich Vorstellungen davon, was man selbst für wert halten sollte. Sie richten sich auch nach der Einschätzung der eigenen Möglichkeiten. So bestimmt der Über-Ich auch das »Ich-Ideal«, das man zu erfüllen trachtet. Die Strenge des Über-Ich wiederholt nicht einfach die Strenge der gelehrten Verbote. Die rebellischen Gefühle, die ein Kind auch gegen liebevolle Eltern manchmal hat, werden gerade der erfahrenen Liebe wegen als schuldhaft erlebt. Daraus ergibt sich ein Strafbedürfnis, das nun von einem umso strengeren Über-Ich befriedigt wird. Jede Aggression, die jemand nach außen richten möchte, die man sich aber als böse versagt, wird nach innen abgelenkt und verstärkt die Aggression des Über-Ich gegenüber den Triebwünschen des Es. Das Gewissen kann so rigoros werden, daß die Befriedigungen nicht mehr ausreichen, um das Leben zu meistern, und daß die Kontrolle des Ich überwältigt wird. Denn das Ich hat nicht nur die Aufgabe, das Es nach den Möglichkeiten der Realität zu lenken, sondern auch das Über-Ich zu kontrollieren. Dazu gehört, seine unbewußten Anteile bewußt zu machen.Bereits J.Ch. Heinroth, ein von 1773 bis 1843 lebender Nervenarzt, gebrauchte den Ausdruck «Über-Uns» für das menschliche Gewissen. Es ist nicht bekannt, ob S.Freud davon Kenntnis hatte, als er den Begriff des Über-Ich prägte. Er wurde dazu von verschiedenen Beobachtungen veranlaßt, die alle darauf hinwiesen, daß der Mensch unserer Kultur häufig nicht nur weit triebhafter ist, als es seinem bewußten Ich zur Kenntnis kommt, sondern auch weit moralischer. In den Träumen und unbewußten Phantasien spricht sich oft auch ein gegen das Ich gerichtetes Straf- und Rachebedürfnis aus; dessen wichtigste Äußerung, in der das Über-Ich ganze Bereiche des Ich in Beschlag nimmt und für seine Zwecke verwertet, ist die Depression (in der das Ich sich selbst gegenübertritt und Anklagen, Vorwürfe, sogar bis zum Selbstmord gesteigerte Strafwünsche gegen das Selbst richtet). Das Über-Ich entsteht durch Identifizierung mit den Eltern (in der Regel mit dem gleichgeschlechtlichen Elterntcil) gegen Ende der phallischcn Phase. Vorstufen der Gcwisscnsbildung lassen sich schon früher nachweisen. Oft zeigen sie sich in einer Art Rollenspiel wie in diesem, von H.Zullingcr belauschten Dialog eines vierjährigen Mädchens unter dem Zwctschgcn-baum: «Ich will die Zwetschgen essen» - «Du darfst nicht, sie sind noch grün, du kriegst Bauchweh!» (Packt eine Zwetschge und ißt sie). Das Über-Ich orientiert sich häufig nicht an den ganzen Persönlichkeiten der Eltern, sondern wiederum an deren Über-Ich, daß heißt es kann weit strenger sein, als es die Eltern bewußt sind. Die unbewußte Strenge und Härte des Über-Ich drückt sich in vielen neurotischen Symptomen aus, zum Beispiel in Depressionen, psychosomatischen Leiden, Arbeitsstörungen oder bestimmten Lebensschicksalen (Scheitern am Erfolg, Verbrecher aus Strafbedürfnis Kriminalität). Die Überprüfung und Milderung des Über-Ich ist ein wichtiges Teilstück der Psychotherapie: Der Patient soll den wohlwollenden, die Triebwünsche akzeptierenden Therapeuten ein Stück weit an Stelle seines bösen, kritischen Über-Ich verinnerlichen.
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