heißt zunächst nur, daß wir etwas im Augenblick nicht wissen oder wahrnehmen. Wir sind zahllosen Eindrücken ausgesetzt, die irgendwie auf uns wirken, obwohl wir ihnen keine Aufmerksamkeit schenkten. Wir nehmen sie auf, ohne es eigentlich zu wissen. Auch verfügen wir über einen großen Schatz an Erinnerungen, die nicht immer bereitliegen, die aber in einem neuen Zusammenhang leicht wieder geweckt werden können. Ein Beispiel dafür sind Vokabeln einer fremden Sprache, die wir einmal gelernt haben, und die uns doch erst wieder einfallen, wenn wir dieser Sprache, etwa in ihrem Lande, neu begegnen. Was uns im Augenblick nicht bewußt ist, aber leicht wieder bewußt werden kann, nennt die Psychoanalyse vor-bewußt. Die Inhalte des Vorbewußten unterscheiden sich nicht wesentlich von denen des Bewußtseins. Das eigentlich Unbewußte liegt tiefer und hat einen anderen Charakter. Für immer unbewußt bleiben die Regungen der Triebe im Es. Sie lassen sich nur aus ihren Äußerungen erschließen. Ins Unbewußte sinken aber auch viele Erfahrungen ab, die einmal bewußt erlebt worden sind. Konflikte, die peinlich waren, werden verdrängt. Ein heftiger Widerstand gegen die Erinnerung daran hält sie in dieser Verdrängung fest. Hier sind sie gegen jede Veränderung abgeschirmt. Sie bleiben so erhalten, wie sie ursprünglich erlebt worden sind, auch wenn die äußeren Verhältnisse inzwischen ganz andere geworden sind, so daß der Konflikt real längst nicht mehr die Bedeutung zu haben brauchte, die er im Unbewußten noch immer einnimmt. Zugleich aber drängt das Vergessene ständig nach oben. Da der Widerstand es daran hindert, ins Bewußtsein zu dringen, muß es sich auf eine andere, versteckte Weise äußern. Es meldet sich in zunächst unverständlichen Assoziationen, in Fehlleistungen und Träumen, in Symptomen einer seelischen Störung, zum Beispiel einer Neurose. Diese Botschaften des Unbewußten sind nicht nur der Beweis dafür, daß es in der Tiefe der Seele wirklich Vorgänge gibt, von denen wir nichts »wissen«, sondern sie lassen sich mit den Mitteln der Psychoanalyse auch entschlüsseln. So konnte sie zur Wissenschaft vom Unbewußten werden. Auf ihren Wegen läßt sich ein gut Teil der Widerstände überwinden, die meist den Zugang zu den unbewußten Seelenschichten versperren. Auch in bestimmten seelischen Zuständen, der Hypnose, dem Rausch, der Meditation, vor allem aber im Schlaf sind diese Widerstände vermindert. Die Eigentümlichkeiten des Traumes spiegeln am deutlichsten das Wesen des unbewußten Denkens und den Unterschied zu den Vorgängen im Bewußtsein. Das Unbewußte ist zeitlos, es kennt keine Vergänglichkeit. Hier bleibt alles erhalten, was einmal war. Neue Eindrücke überlagern die alten, ohne sie zu zerstören. Das Unbewußte ist weitgehend an Bilder gebunden. Es verknüpft sie nicht logisch miteinander, sondern reiht sie so aneinander, wie es dann in Assoziationen geschieht. Es wertet sie nicht nach ihrer äußeren Bedeutung, sondern nach ihrem gefühlsmäßigen Gewicht. Hier ist alles auf die eigenen Wunschregungen bezogen. Das Unbewußte folgt dem Lustprinzip und will Unlust vermeiden. Es richtet sich nicht nach der äußeren Realität, son dern deutet sie nach dem Prinzip des Wunschdenkens. Zwar bleiben auch Unlust-Erfahrungen erhalten, die sich im Wiederholungszwangäußern. Das Unbewußte kennt vor allem keine Unvereinbarkeit der Gegensätze; in ihm herrscht die totale Ambivalenz. Da gewisse Grunderfahrungen in jedem Leben ähnlich sind, seit es Menschen gibt, hat sich ein Schatz von unbewußten Inhalten angesammelt, die in jeder Generation von vornherein bereitliegen. Die persönliche Erfahrung ruft sie gleichsam nur auf und gibt ihnen den besonderen Gehalt. Freud sprach von einer »Urverdrängung«, und was der Einzelne dann zu vergessen sucht, wird nachgedrängt. Typisch für die Konflikte, die sich immer neu nach ähnlichem Muster ereignen, ist die Oedipus-Situation im Zusammenhang mit dem Kastrations-Komplex. Zu dem seelischen Vorrat, den wir unbewußt von unseren Ahnen übernommen haben, gehört weiter die »Ursprache« der Symbole, die wir (zum Beispiel im Traum) verwenden können, ohne sie bewußt zu verstehen. Diese Inhalte verstand C. G. Jung als einem besonderen Teil, dem »kollektiven Unbewußten« zugehörig. Darin sah er Urmuster, Archetypen, wirksam, von denen einige speziell aus der Geschichte des Volkes oder der Rasse stammen sollen. Es ist nicht zu bestreiten, daß es kollektive Bereitschaften der Psyche gibt, aber ihre Bedeutung erhalten sie erst in der individuellen Entwicklung. Das Unbewußte ist nicht, wie man oft liest, »unterbewußt«, sondern dem Bewußtsein fremd. Georg Groddeck, einer der eigenwilligsten Vertreter der Psychoanalyse, urteilte zu Recht, »daß Leute, die den Ausdruck >Unterbewußt< benutzen, niemals auch nur das geringste von Freud verstanden haben«.
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