wie Versprechen, Verhören, Verlesen, Vergessen und Verlieren sind keine zufälligen, sinnlosen Entgleisungen, sondern ebenso determiniert, also durch das Widerspiel der psychischen Kräfte bedingt, wie jeder andere seelische Akt. Zwar treten sie besonders häufig in einer Phase der Ermüdung oder Ablenkung auf, aber diese äußeren Umstände erleichtern nur ihr Zustandekommen. In den Fehlleistungen kommt eine unbewußte Strebung zum Ausdruck, die die bewußte Absicht stört. Besonders beim Versprechen, Verhören und Verlesen treten die widersprüchlichen Ziele oft zu einem Kompromiß zusammen. Wenn jemand sagt: »Wir wollen auf das Wohl unseres verehrten Chefs aufstoßen« (statt »anstoßen«), dann kreuzt sich seine Pflicht zur Höflichkeit und Dankbarkeit mit seinen rebellischen Gefühlen gegen den mächtigen Mann, die er eigentlich nicht ausdrücken dürfte und nun doch als »Versprecher« bekundet. Manche Versprecher wirken wie absichtliche Witze, und gelegentlich kann man das eine vom anderen nicht sicher unterscheiden. Dabei kommen in Versprechern recht häufig verbotene sexuelle Motive zum Ausdruck. So meinte einmal eine Frau, ihr Geschlecht müßte sich so anstrengen, um anziehend zu wirken, ein Mann dagegen habe es leicht, er brauche »nur seine fünf geraden Glieder«. In dieser Vermischung zwischen den Floskeln von den »vier geraden Gliedmaßen« und den »fünf gesunden Sinnen« entlarvt sich hier der Gedanke an das eregierte Geschlechtsglied des Mannes. Dieser Versprecher könnte durchaus ein gezielter unanständiger Witz sein. Beim Verlesen verführt uns ein Wunsch, in einen gegebenen Text etwas anderes hineinzulesen, so bei einem Manne, der bei einem Weg durch die Stadt dringend einen Abort suchte und dann bei der Aufschrift »Klosetthaus« Hoffnungen schöpfte, bis er erkennen mußte, daß auf dem Schild in Wahrheit »Korsetthaus« stand. Ein vorübergehendes Vergessen, etwa von Eigennamen, von Terminen, von Teilen eines sonst geläufigen Zitates und dergl., soll eine unangenehme Erinnerung unterschlagen. So konnte sich eine junge Dame im Gespräch mit Männern nicht an den Titel des Buches erinnern, von dem doch sie sprach, weil es auf sie einen so großen Eindruck gemacht hatte. Es handelte sich um den Roman »Ben Hur«, dessen Titel ihr wegen der Klangähnlichkeit zu »Hure« allzu peinlich war. Alle diese Beispiele stammen aus dem Werk »Psychopathologie des Alltagslebens«, das Freud zum ersten Mal 1901 vorlegte und bis zur Auflage von 1924 ständig erweiterte, unter anderem durch Beiträge seiner Schüler. Neben der freien Assoziation und der Deutung der Träume ist die Deutung der Fehlleistungen das wichtigste Mittel zur Demonstration und Erhellung unbewußter Vorgänge. Die Deutungsarbeit ist oft so kompliziert, daß sie sich nur in großer Ausführlichkeit darstellen ließe. Ohnedies stellt sich die Überzeugung von der Bedeutung der Kräfte, die sich in einer Fehlleistung offenbaren und zugleich verstecken, wohl erst dann ein, wenn man nach den Methoden, die Freud angab, seine eigenen Fehlleistungen untersucht und die Kette der Assoziationen erlebt, die oft gegen große Widerstände zur Lösung führt. Am wenigsten leuchtet ein, daß ein Verlieren, wie es doch so schmerzlich sein kann, von einer unbewußten Strebung »beabsichtigt« sein kann. Ein Beispiel aus eigenem Erfahrungsbereich mag zeigen, wie »geschickt« die Abneigung gegen einen Besitz über die Schätzung seines Wertes obsiegen kann. Eine Frau erhielt von einer Freundin statt eines Geschenkes einen Fünfzig-Mark-Schein und fühlte sich durch diese bequeme Abfertigung beleidigt. Sie ließ das Geld mit dem Brief, der ihr ebensowenig behagte, im Umschlag und nahm ihn erst einmal auf eine Reise mit. Unterwegs gab es im Restaurant ein zu großes Stück Fleisch. Sie schnitt etwas davon ab, um es dem Hund einer Bekannten am Ort mitzubringen, und steckte es in den Umschlag, weil kein anderes Papier zur Hand war. Der Bekannten übergab sie dann mit ein paar erklärenden Worten den ganzen Umschlag. Das Fleisch wurde herausgenommen, der Umschlag weggeworfen mitsamt dem Geldschein. Erst viel später fiel der Frau ein, wie sie den peinlichen Besitz losgeworden war. Übrigens können auch Druckfehler, die Fehlleistungen eines Setzers, unfreiwillig aufschlußreich sein. In einem Zeitungsartikel über eine ver tuschte Korruptionsaffäre entschuldigte man sich für eine frühere Darstellung mit einem »Dreckfehler« !
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