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Psychologielexikon

Überarbeitete Ausgabe

Psychologielexikon

Ausdruck

Autor
Autor:
Irene Roubicek-Solms

ein äußeres Zeichen für einen seelischen Zustand oder Vorgang. So wird der Körperbau, die Körperhaltung, die Art der Bewegung und der Gesichtsschnitt (Physiognomie) oft als Ausdruck des Charakters verstanden. Bis zu einem gewissen Grade hängen körperliche und seelische Konstitution tatsächlich miteinander zusammen. Jedoch lassen sich die Beziehungen im einzelnen nicht sicher erkennen. Gemütsbewegun gen zeigen sich oft in physiologischen Vorgängen wie Atemnot, Schweißausbruch, Zittern, Erröten, Gesichtsflecken, Weinen. Vor allem spiegeln sich Gefühle in Gesten und Mimik. Doch der Eindruck, den solche Erscheinungen machen, beruht zum Teil auf den Erwartungen des Beobachters, auf Klischee-Vorstellungen und Konventionen. Deshalb kann man einen Ausdruck auch absichtlich annehmen, um ein Gefühl anzuzeigen, das die anderen erwarten, wie dies der Schauspieler berufsmäßig tut. Indem man einen bestimmten Ausdruck annimmt und die entsprechende Vorstellung in sich hervorruft, wird sich am Ende auch oft das zugehörige Gefühl einstellen. Andererseits drückt jeder von uns manchmal unwillkürlich seelische Regungen aus, deren er sich selbst nicht bewußt ist. Man spricht hier von »Symptomhandlungen«. So mag ein Mensch, dessen Ehe in eine Krise geraten ist, scheinbar zufällig und absichtslos an seinem Trauring spielen und damit die Widersprüchlichkeit seiner Empfindungen verraten, obwohl er den Zusammenhang vielleicht im guten Glauben ableugnen würde.Die Ausdruckspsychologie untersucht den seelischen Gehalt spontaner (Gesichtsausdruck, Stimmklang) oder mittelbarer (ein handschriftlicher Text oder eine Zeichnung) menschlicher Äußerungen. Sie läßt sich in zwei große Bereiche einteilen: Ausdrucks- und Eindrucksforschung - warum blickt Herr A. zornig, und was veranlaßt Herrn B., diesen Blick als zornig zu empfinden ? Die Bedeutung des Ausdrucks für die menschliche Kommunikation ist kaum zu überschätzen. In allen Beziehungen zwischen Menschen wird häufig die Bedeutung sprachlicher Mitteilungen erst durch die begleitenden Ausdruckszeichen festgelegt. Eine Mutter, die zu ihrem Kind sagt: «Versuch’s doch, Liebling», kann das so sagen, daß das Kind ermutigt wird und mit aller Kraft etwas versucht, oder auch so, daß das Kind kraftlos wird und darauf verzichtet, sich einzusetzen (Doppelbindung). Der im Hören mit dem «dritten Ohr» geübte, auf Botschaften des Unbewußten wartende Psychotherapeut achtet deshalb oft mehr auf den Ausdruck, mit dem etwas gesagt wird, als auf den Inhalt des Gesagten. Biologisch gesehen ist die Mitteilung sozialer Botschaften durch den Ausdruck des Körpers, durch Miene, Gesten, Stimmklang, Körperhaltung weit älter als die abstrakte sprachliche Aussage. Tierische Kommunikationen laufen vorwiegend oder ausschließlich auf der Ebene des körperlichen Ausdrucks ab. Ein in den Erbanlagen vorgegebenes Verstehen der artspezifischen Verhaltensweisen, die einen Signalwert haben, wurde durch Versuche mit isoliert aufgezogenen Tieren bestätigt. Sie ziehen sich zum Beispiel, ohne jemals schlechte Erfahrungen mit einem drohenden Artgenossen gemacht zu haben, doch vor diesem zurück. Beim Menschen wird beides - Ausdruck wie Eindruck - zum größten Teil von erlernten Vorgängen umgestaltet und überformt.

Die Abstandnahme vom eigenen Verhalten, die der Mensch durch die Spaltbarkeit seines Bewußtseins vornehmen kann (ich kann mich selbst beobachten), ermöglicht es ihm auch, sich zu verstellen, bestimmte Ausdrucksformen bewußt darzubieten und dahinter ganz andere Absichten zu verbergen (obwohl es leichter ist, ein Gefühl mit Worten abzuleugnen als im Ausdruck zu unterbinden). Darüber hinaus sind die menschlichen Ausdrucksformen in ihrer Bedeutung oft kulturell bestimmt. Weinen drückt manchmal Trauer, manchmal Freude aus, kann aber auch, ähnlich dem Händedruck hierzulande, zur Begrüßung eines Freundes schicklich sein. Kopfnicken heißt in manchen Kulturen »Ja», in anderen «Nein». Andererseits hat Darwin sicher richtig gesehen, daß im Ausdruck von emotionalen Vorgängen auch beim Menschen zahlreiche Relikte aus seiner Stammesgeschichte aufzufinden sind. Das intuitive Verständnis für feine Nuancen des

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