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Psychologielexikon

Überarbeitete Ausgabe

Psychologielexikon

Tiere

Autor
Autor:
Klaus-Dieter Zumbeck

sind die nahen Verwandten des Menschen, und in seinen fundamentalen Lebensvoraussetzungen gehört er selbst zu ihnen. Er hat Tiere nicht nur zu seiner Beute gemacht oder sie planmäßig zu seinem Nutzen aufgezogen; er hat ihnen nicht nur einen Teil seiner Arbeit aufgebürdet; er hat sie auch zu seinen Gefährten gemacht. Die Gefühlsbeziehungen, die er zu seinem Hund, seiner Katze, seinem Pferd und anderen Tieren in seiner häuslichen Umgebung herstellt, werden oft intensiv erwidert. Der Unterschied zwischen dem Verhältnis zum Hund, der zu einem absoluten Gehorsam erzogen werden kann, und dem zur Katze, die bei aller Anschmiegsamkeit doch immer eigen willig bleibt, zeigt beispielhaft die Spannweite unserer Beziehungen zum Tier. Wir erwarten einerseits, daß wir es vollkommener behmschen und besitzen können als einen anderen Menschen, und so liegt in der Tierliebe ein gut Teil Machtgier und Aggression. Andererseits bewundern wir am Tier dessen Freiheit von den Hemmungen des Bewußtseins und der Moral. Hierin liegt das Motiv für die Vorstellungen von Tiermenschen wie den Kentauren, den Faunen und Satyrn, denen man noch die ungezügelte Kraft und besonders die schuldlose Sexualität der Tiere zuschrieb, aber zugleich schon eine menschliche Intelligenz und die Fähigkeit zu bewußtem Genuß. Der oberste Gott der Antike, den die Griechen Zeus und die Römer Jupiter nannten, konnte nach Belieben die Gestalt eines Tieres annehmen, um sein Gelüst an einem menschlichen Weibe zu befriedigen. In frühen Kulturen nahmen Menschen die Gestalt von Tieren an, um sie in einem magischen Ritual zu beschwören und ihre Kraft auf sich zu ziehen. Im Totem-Kult wurde ein Tier zur Verkörperung des verehrten wie des gehaßten Vaters. So werden dem Menschen tierische und dem Tier menschliche Eigenschaften zugeschrieben. Nur zu gern nennt man dabei tierisch, was man beim Menschen als böse einzuschätzen gelernt hat, obwohl doch ein Wesen ohne Bewußtsein, ohne Gewissen, gar nicht böse sein kann. Die vielbeschworene »Bestie in Men schengestalt« ist nicht nur ein Unmensch, sondern auch ein Untier. Die Verwandtschaften zwischen Mensch und Tier haben die Verhaltensforscher veranlaßt, Beobachtungen bei Tieren auf die Psychologie des Menschen zu übertragen. So lassen sich etwa Formen des Sexualverhaltens bei Tieren in menschlichen Sitten wiederfinden. Aber während die eine Tierart promiskuitiv ist, eine andere lebenslange Partnertreue bewahrt, es bei der einen ein Vorrecht des Männchens, bei einer anderen eines des Weibchens gibt, haben sich beim Menschen die verschiedensten Verhaltensweisen nebeneinander entwickelt, und zwar offenkundig im Zuge einer bestimmten kulturellen Prägung. Freilich hat schon unser Körperbau, besonders die Entwicklung des ständigen Aufrechtganges, Bedingungen und Möglichkeiten geschaffen, die bei keiner Tierart vorkommen. Deutlicher noch ist die Entwicklung des Bewußtseins, das weitgehend an die Stelle der Instinkte getreten ist. Vielleicht entscheidend war dann die Notwendigkeit, größere Gruppen zu bilden und damit eine Gesellschaft zu schaffen, deren Gesetze das individuelle Verhalten begrenzen und geradezu vorbestimmen. In seinen Gemeinschaften hat sich der Mensch eine künstliche Umwelt geschaffen, an die er sich so anpassen muß, wie sich das Tier an seine natürliche Umwelt anpaßt. Die Bedeutung des Einschnittes, den die Zivilisation schuf, läßt sich an ei nem Beispiel aus dem Tierreich gut demonstrieren. Freud meinte zwar, die Neurose sei ein »Vorrecht« des Menschen; doch läßt sich Hysterie (bis zur Scheinschwangerschaft) bei Haustieren wie Hund und Katze beobachten. Sobald eine Tierart unmittelbar in die alltägliche Kulturwelt des Menschen aufgenommen ist, kann sie also auch an den Konflikten leiden, die sonst nur den Menschen betreffen.

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