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Psychologielexikon

Überarbeitete Ausgabe

Psychologielexikon

Aggression

Autor
Autor:
Katharina Weinberger

der Angriff und die Angriffslust, besonders feindselige Handlungen gegen andere Menschen – zum Unterschied von der Destruktion, der Zerstörung von Sachen. Freud sah Aggression und Destruktion in einem besonderen Trieb begründet, der sich den lebenserhaltenden Trieben (Eros) entgegenstellt, sich aber auch mit ihnen auf vielfache Weise vermischt. Die Aggression kann sich auch gegen die eigene Person wenden. Freud meinte sogar, dies sei das ursprüngliche Verhältnis, und die Aggression nach außen nur eine Ablenkung zum Schutz des eigenen Lebens. In letzter Konsequenz wäre der Zerstörungstrieb also ein Todes-trieb (»Thanatos«). Diese Auffassung Freuds ist nahezu allgemein abgelehnt worden. Damit ist aber ein Urteil über die Existenz eines Destruktionstriebes noch nicht gesprochen. Heute erklären viele Psychologen die Aggression nicht als ursprüngliche Triebäußerung, sondern als Reaktion auf Entbehrungen und Enttäuschungen. Danach wird sie herausgefordert, wenn man Menschen etwas versagt, und sie wird vermieden, wenn man ihnen Frustrationen erspart. Damit scheint jede Schuld an Aggressionen ausgeschaltet zu sein. Auch scheint sich ein Weg zu eröffnen, die Aggressivität einzudämmen, indem man Bedingungen schafft, unter denen nichts mehr versagt zu werden braucht. Es ist aber offenkundig, daß es ein Paradies der Wunscherfüllungen nicht geben kann. Gewiß wird mancher aggressiv aus Rache, um sich schadlos zu halten, oder um seine Macht zu beweisen. Aber es gibt Aggressionen ohne solchen Anlaß. Auch ist Aggression nicht ohne weiteres dem »sogenannten Bösen« gleichzusetzen. Sie kann auch unvermeidlich oder nützlich sein, wie etwa die Aggression des Schnitters, der das Getreide mäht, und des Metzgers, der das Vieh schlachtet. Innerhalb jeder Gesellschaft gibt es gewisse Freiräume für die Aggression. So galt lange die Grausamkeit als erlaubt, ja geboten im Zusammenhang mit der Kindererziehung, der Arbeitsdisziplin von Sklaven oder Gesinde, der juristischen Strafe und sogar der Ehezucht. In modernen Gesellschaften werden solche Rechte mehr und mehr infrage gestellt. Die Menschen leben heute noch enger beieinander, so ärgern sie sich öfter aneinander, und dürfen doch ihre Aggressionen nicht ausleben, wenn sie ihr Zusammenleben nicht unerträglich machen wollen. So werden ihre Gegengefühle teils kanalisiert (etwa als Rivalität im Wettbewerb), teils auf eine Feindgruppe abgelenkt. Es werden Formen geschaffen, in denen sich Aggression geregelt äußern kann, etwa im Kampfsport. Eigene Aggressivität wird durch die Schaulust an fremden Aggressionen ersetzt: das reicht vom Gladiatoren-oder Stierkampf über die Berichterstattung von Krieg und Bürgerkrieg bis zum modernen Kriminalroman. Es ist umstritten, ob die Darstellung von Gewalt die Aggressivität der Zuschauer oder Leser anstachelt, oder ob sie sie eher auf ungefährliche Weise absättigt. Eine Gefahr bildet sie wohl nur bei Menschen, die infolge ihrer eigenen Entwicklung bereits anfällig waren. Die Bedenken gegen die Schaustellung von Grausamkeiten wirken nicht sehr überzeugend, solange aus politischen Gründen die Feindseligkeit gegen fremde Staaten, andere Gesellschaftsordnungen und ihre Verfechter im eigenen Lande immer wieder angereizt wird. Denn dabei soll doch offenbar eine Bereitschaft zum Kriege wachgehalten werden, der eine Aggression bis zur Selbstvernichtung freisetzen würde. Die Verbote, die die Erziehung meist gegen die Aggression aufgebaut hat, werden verinnerlicht. Das Gewissen oder Über-Ich empfindet jede Aggressionslust als Schuld. Das Schuldgefühl drängt nach Strafe, die es als Sühne auflösen könnte. Da die Gedankenschuld niemandem bekannt ist, muß sie der Mensch mit sich selbst abmachen. Die Aggression, die nach außen nicht gewendet werden darf, wendet sich nach innen, äußert sich als Grübelei oder sogar in einem Verhalten, das Schäden heraufbeschwört und so das unbewußte Strafbedürfnis befriedigt. So leiden oft gerade die sanftesten Menschen, die Wohltäter und Heiligen, an der Aggression, deren Äußerung sie sich versagt haben.Verhalten, das einen anderen Menschen unmittelbar (durch Körperverletzung) oder mittelbar (seelische Kränkung) schädigt. Aggression kann offensiv sein (Angriff) oder defensiv (Verteidigung). Die von manchen Autoren eingeführte Unterscheidung zwischen konstruktiver (aufbauender) und destruktiver (zerstörerischer) Aggression ermöglicht eine weitere Klärung. Der Kampf gegen eine korrupte Diktatur - auch unter Gewaltanwendung - ist zweifellos aggressiv, doch kann er durchaus konstruktive Züge tragen, während ein gewalttätig ausgetragener Rassenhaß nur zerstörerisch ist. Andererseits läuf aber ein Ausdruck wie konstruktive oder «gerechte» («natürliche») Aggression Gefahr, die prinzipiellen Schwierigkeiten einer konstruktiven Verwendung von Gewalt zu verdecken.

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