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Psychologielexikon

Überarbeitete Ausgabe

Psychologielexikon

Krieg

Autor
Autor:
Katharina Weinberger

Krieg ist die gewaltsame Auseinandersetzung zwischen Staaten oder Staatengruppen. Sein Ziel kann die Eroberung neuer Gebiete, die Rückgewinnung verlorener Macht, die Ausbreitung eines Glaubens oder einer politischen Weltanschauung oder auch die Abwehr einer Gefahr sein. Wenn ein Land einer solchen, viel leicht nur angeblichen Gefahr durch einen Präventivkrieg vorbeugt, wird die Verteidigung zum Angriff. Immer wieder hat man von den verschiedensten Standpunkten aus versucht, einen »gerechten« Krieg von einem ungerechten zu unterscheiden. Aber es ist offenkundig, daß damit nur ein subjektives Urteil gefällt wird, das der Gegner geradeso in Anspruch nehmen könnte. Die Entwicklung der Kriegstechnik hat dazu geführt, daß der Unterschied zwischen Front und Heimat, zwischen Soldaten und Zivilbevölkerung unwesentlich wird. Der »totale Krieg« erfaßt die ganze Gesellschaft. Da er zur totalen Zerstörung führen kann, läßt er sich nicht mehr als »Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln« (Clausewitz) bezeichnen. Dennoch hat die Atombombe den Kriegen kein Ende gesetzt; man ist nur von Weltkriegen zu regionalen Kriegen zurückgekehrt. Es scheint, daß Krieg eine unvermeidliche Begleiterscheinung der Menschheitsgeschichte bleibt. Noch immer preist man ihn manchmal als »ultima ratio«, als »Vater aller Dinge«, als Bewährungsprobe für Heldentum und Kameradschaft. Dem steht entgegen, daß jeder Krieg eine teilweise Umkehr der üblichen Ordnung und Moral mit sich bringt. Familien werden auseinandergerissen, die eheliche Treue ist nicht mehr verpflichtet, den Raub nennt man Beute und sogar »im Zeichen des Kreuzes« wurde das Gebot »du sollst nicht töten« in sein Gegenteil verkehrt. Es wird der Aggressionstrieb freigesetzt und sogar angestachelt, den man sonst so mühsam unterdrückt. Plötzlich scheint erlaubt und tugendhaft, was dem Durchschnittsmenschen im Frieden als Verbrechen verboten ist. Eben darin liegt aber schon ein Teil der Erklärung dafür, daß so viele Menschen sich von den Kriegsreden der Demagogen aufhetzen lassen und den Befehlen ihrer politischen Führer und ihrer ordenssüchtigen Generäle in die Schlacht folgen. Noch im letzten Weltkrieg konnten einfache Soldaten eine Art Befreiung aus dem alltäglichen Trott, eine unerhörte Herausforderung ihrer Leistungsfähigkeit und so etwas wie Abenteuer erleben. In vielen Büchern und Filmen, die uns an diese Zeit erinnern sollen, verbindet sich mit der Schilderung des Grauens noch dieser Geschmack nach Freiheit und Erlebnis. Freilich ist die Erlaubnis zur Befriedigung sonst verdrängter Triebwünsche im Krieg an die Forderung nach Gehorsam, bis zur bedingungslosen Untertänigkeit, gebunden. Raub und Mord sind dem Einzelnen nur erlaubt, weil sie allen erlaubt sind. Darin liegt der entscheidende Unterschied zwischen dem Krieg und dem Bürgerkrieg, der ja eine Rebellion gegen die Obrigkeit ist. Die Einordnung in den Gehorsamsverband löscht jedoch nicht nur jegliches Gefühl einer persönlichen Schuld, sondern befreit auch von all den Zweifeln, die eine eigene Entscheidung so schwer machen. Gerade die gemeinsame Gefahr stärkt die Kameradschaft, die fast wie die Nestwärme des Kindes in der Familie empfunden werden kann. Die Kameraden verhalten sich zueinander wie Brüder, und ihre Vorgesetzten treten an die Stelle der Eltern. Freilich unterscheidet sich die Soldatengemeinschaft als Männerbund von der Familie und entspricht so dem Drang zur Ablösung von familiärer Abhängigkeit. Das Bewußtsein der Männlichkeit wird gestärkt. Daheim gewinnen auch die Frauen neue Bedeutung. Ohne entsprechende individuelle Bereitschaften wäre kein Krieg möglich. Oft läßt sich erkennen, daß eine Staatsführung zum Krieg treibt, weil sie mit den Konflikten im Inneren nicht fertig wird, weil sie einen äußeren Erfolg braucht, um ihre Autorität zu wahren, weil sie die Unzufriedenheit auf einen äußeren Feind ablenken will. Sie folgt damit bewußt oder unbewußt der Einsicht, daß sich eine Gruppe nur zusammenhalten läßt, wenn man sie einerseits an ein gemeinsames Ziel, gleichsam eine gemeinsame Liebe bindet, und andererseits für die schwelenden Rivalitäten und Haßgefühle ein Ventil bietet, indem man ihr eine Feindgruppe vor Augen stellt. Dies äußert sich nirgends so kraß wie in der Kriegspropaganda, die letztlich schon mit dem Kriegsspielzeug für Kinder beginnt.

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