das Vergehen gegen die Gebote einer Religion (Sünde), gegen die Gesetze einer Gemeinschaft, gegen die ungeschriebenen Regeln einer Moral und dann auch gegen die Ideale, die das Gewissen (Über-Ich) setzt. Die Schuld verlangt nach einer Sühne, als Strafe, als Opfer, als Wiedergutmachung. Aufgelöst ist sie erst, wenn sich der Schuldige mit denen versöhnt hat, gegen deren Forderungen er verstieß, und ihre Vergebung erlangt hat. Man kann aber auch gegen die eigene Person schuldig werden, wenn man Neigungen nachgegeben hat, die im Widerspruch zu Idealforderungen stehen. Eine solche Schuld mag sonst niemandem bekannt geworden sein, und dann könnte man sie auch nur sich selbst verzeihen. Die katholische Kirche hat mit der Beichte und der Absolution des Priesters eine Möglichkeit geschaffen, auch solche Schuldvorwürfe zu löschen. Angehörige der protestantischen (evangelischen) Glaubensgemeinschaften sind mit ihren Gewissensnöten auf sich selbst angewiesen. Der Richter im eigenen Über-Ich ist oft sehr viel strenger, als ein fremder Richter sein könnte. Er verlangt nach Sühne sogar für die Taten, die nur in Gedanken vollzogen worden sind. Oft liegen diese Gedankensünden lange zurück. Man hat sie seither so kraß abgelehnt, daß man sie »vergessen«, ins Unbewußte verdrängt hat. Mit der Schuld ist aber auch das Schuldgefühl unbewußt geworden. Es äußert sich als unbestimmte Angst, in unbegreiflichen Hemmungen, oder verbindet sich mit neuen Vergehen, die das Maß der Selbstvorwürfe ihretwegen allein nicht erklären könnten. Manches Verbrechen wird unbewußt »absichtlich« begangen, um das Gefühl aus einer alten Schuld mit der Strafe auslöschen zu können, die die neue Schuld nach sich ziehen soll. Das Schuldgefühl wird zum Strafbedürfnis. Im Mittelpunkt der unbewußten Schuldgefühle stehen die Vergehen gegen die gelehrten Einschränkungen der Sexualität und gegen die Verbote der Aggression. Beides war miteinander verknüpft in der Oedipus-Situation des Kindes. Der Knabe begehrt zu jener Zeit die Mutter und rebelliert gegen den Vater. Ähnlich, wenn auch nicht ganz so scharf, ist der Konflikt des Mädchens in der Liebe zum Vater und der Rivalität zur Mutter (Elektra-Komplex). Das Verbot der sinnlichen Liebe zum entgegengesetzten Elternteil (Inzest) färbt fortan alle sexuellen Regungen so ein, daß sie Schuldgefühl auslösen können. Die Neigung zur Aggression gegen den gleichgeschlechtlichen Elternteil muß eingedämmt werden, weil das Kind weiter dessen Schutz braucht; aber unbewußt bleibt die Rivalität erhalten und mit ihr das zugehörige Schuldgefühl. Konflikte zwischen Trieb und Anpassungan die Gemeinschaft sind im Leben des Menschen unvermeidlich. Mit dem Bewußtsein, das ihn zu seinen besonderen Leistungen befähigt, hat er auch die Zweifel erworben, aus denen sein Schuldgefühl stammt. Das Tier kann nicht »sündigen«; es handelt nach seinem Instinkt. Die »Erbsünde« des Menschen stammt nicht daher, daß seine Vorfahren einmal gesündigt hätten und die Strafe dafür die Nachkommen »bis ins dritte und vierte Glied« treffen müßte, sondern liegt im Wesen des Menschen als eines bewußten Geschöpfes und seiner Abhängigkeit von der Gemeinschaft begründet. Er kann seinen Konflikten nicht dadurch entfliehen, daß er Schuld aus dem Bewußtsein verdrängt, denn aus dem Unbewußten wirkt das Schuldgefühl nur noch gefährlicher. Entscheidungen lassen sich nur treffen, wenn man bereit ist, Fehler in Kauf zu nehmen, mit der Schuld daraus sich zu versöhnen und die Folgen zu tragen. In diesem Sinne rief Goethe den Göttern zu: »Ihr führt ins Leben uns hinein, / Ihr laßt den Armen schuldig werden, / Dann überlaßt ihr ihn der Pein; / Denn alle Schuld rächt sich auf Erden !«
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