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Psychologielexikon

Überarbeitete Ausgabe

Psychologielexikon

Verbrechen

Autor
Autor:
Katharina Weinberger

ein Verhalten, das schroff gegen die Gesetze der jeweiligen Gesellschaft verstößt. So läßt sich Verbrechen nicht eindeutig nach den Maßstäben einer übergeordneten Ethik bestimmen, wie sie etwa in den biblischen Zehn Geboten festgelegt worden ist. Sokrates und Jesus sind als Verbrecher hingerichtet worden, nach den Auffassungen ihrer Zeit wohl zu Recht, nach einem späteren Urteil als Märtyrer. Umgekehrt haben die Männer, die am Tode von Millionen in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern direkt beteiligt waren, den Befehlen ihres Staates gehorcht, und erst im nachhinein müssen sie als Mörder gelten. Im Kriege nennt jede Partei nur das, was die andere tut, ein Verbrechen. Innerhalb einer Gesellschaft sind die Auffassungen über Recht oder Unrecht von Schicht zu Schicht unterschiedlich. Holzdiebstahl, Wilddieberei und Schmuggel gelten bei den »kleinen Leuten« vielfach als gerechtfertigte Form der Selbsthilfe gegen Armut und Behördenschikane. Straßenräuber wie Robin Hood oder Schinderhannes konnten zu Volkshelden werden, denen man nachsagte, daß sie mit den Armen teilten, was sie den Reichen stahlen. Unter Leuten mit Geld werden dagegen betrügerische Geschäftsmethoden oder Steuerhinterziehungen teilweise als »Kavaliersdelikte« betrachtet. Diese »Weiße-Kragen-Kriminalität« läßt sich ja auch mit den üblichen Polizeimethoden kaum fassen. So sagt das Sprichwort: »Kleine Diebe hängt man, große läßt man laufen.« Andererseits ist offenkundig, daß in den ärmsten Schichten die Versuchung zur Kriminalität am größten ist, weil sich hier oft kaum ein Weg zeigt, das Leben mit Arbeit ausreichend zu sichern. Hier bieten die Familien und Wohnverhältnisse nicht das Gefühl der Geborgenheit in den gegebenen Regeln. Es wird vielfach auch nicht die Erziehung zur selbstverantwortlichen Disziplin vermittelt. Der Gehorsam scheint nicht mehr belohnt, sondern eher durch Not bestraft zu werden. Die Kriminologie als Zweig der Soziologie hat bestimmte Formen des Verbrechens als typisch für gewisse Schichten, Altersgruppen oder eines der beiden Geschlechter ermittelt. Soweit sie Psychologie ist, zeigt sie auch die Abhängigkeit der Vergehen von der Lebensgeschichte der Täter, besonders von deren Erfahrungen in früher Kindheit. Das einzelne Verbrechen ist ein Symptom der sozialen wie der individuellen Konflikte. Man könnte es geradezu als Ausbruch einer seelischen Krankheit betrachten. Das spiegelt sich auch in dem Erfahrungssatz: »Verbrechen zahlen sich nicht aus«, der freilich nicht immer gilt. Manche Verbrecher scheinen es geradezu darauf angelegt zu haben, daß man sie faßt und bestraft, weil sie so eine unbewußte Schuld sühnen könnten, die dem offenkundigen Verbrechen voranging (Strafbedürfnis). Sehr oft erweist sich, daß sich bei jemandem verbotene Triebwünsche so angestaut haben, daß sie gegen alle Gefahren durchbrechen mußten. Die Untaten der Mörder aus sexuellen Motiven wecken in der Öffentlichkeit einen Schauder, der mit Faszination gemischt ist. Ein uneingestandener Neid auf die Verwirklichung von Wünschen, die jedermann einmal überkommen könnten, drückt sich als Forderung nach einer besonders grausamen Strafe für den Sündenbock aus. Doch auch sonst wecken Verbrechen ein sehr ambivalentes Interesse. Die Flut an Kriminal-Romanen und -Filmen und die Anziehungskraft der Verbrechensberichte in den Zeitungen spricht für eine widerwillige Bewunderung derer, die es gewagt haben, den Verboten zu trotzen, die wir doch alle als Beschränkung der Freiheit erleben. Solange es eine Zivilisation gibt, die solche Beschränkungen auferlegen muß, wird es auch Verbrechen geben. Emile Durkheim, der Begründer der modernen Soziologie (t 1917), prägte das scheinbare Paradox, ein gewisses Maß an Verbrechen sei »ein integrierender Teil einer jeden gesunden Gesellschaft«.

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