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Psychologielexikon

Überarbeitete Ausgabe

Psychologielexikon

Film

Autor
Autor:
Anneliese Widmann-Kramer

das »lebende Bild«. Der Eindruck der Bewegung beruht auf einer optischen Täuschung: Einzelbilder, die sich nur geringfügig voneinander unterscheiden, werden ruckweise so schnell vorgeführt, daß das menschliche Auge die Sprünge nicht wahrnimmt, sondern die Veränderung als fließend empfindet. Als »Film« bezeichnet man sowohl den Zelluloid-Streifen, auf dem die Bilder festgehalten sind, als auch den gesamten Inhalt, oder sogar das ganze Film-Wesen. Die Film-Technik hat es nicht nur möglich gemacht, »Leben« zu konservieren, sondern sie kann uns auch Vorgänge zeigen, die man nie zuvor gesehen hatte (Zeitlupe, Zeitraffer, Trickfilm). Der Film ist ein Medium, ein Mittel, das für sehr verschiedene Zwecke eingesetzt werden kann, und eine Vermittlung (Kommunikation) zu sehr vielen Menschen, das erste der modernen Massenmedien. Trotz der Bedeutung der Lehr und Dokumentarfilme (in Art der früheren Wochenschauen) ist entscheidend geworden der Spielfilm, der Fiktionen eine zuvor nie erreichte Schein-Realität verleiht. Anders als die weitaus meisten Mittel der Kunst sind der Film und seine Verbreitung von der Zusammenarbeit vieler Menschen abhängig. Nur ausnahmsweise hat ein Künstler wie Chaplin seine Filme zum Ausdruck seiner Persönlichkeit machen können. Mehr als jede andere Kunst wurzelt der Film in der Technik, und seine Herstellung wie Verbreitung ist nur dank einer komplizierten Organisation möglich. Sie setzt beträchtliche materielle Mittel voraus. Damit wird der Film auch vom Geschäft mit dem Durchschnittsgeschmack abhängig. Meist soll er Unterhaltung und Ablenkung bieten. Vor allem aber kann er Träume, das heißt Wunsch und Angstphantasien »verwirklichen«. Man spricht geradezu von einer »Traumfabrik«. Wie sehr die Bilder, die er vorgaukelt, der Realität nahe kommen, zeigt eine Feststellung Kin seys: während literarische und bildnerische Darstellungen erotischen Inhaltes hauptsächlich auf Männer stimulierend wirken, Frauen aber auf solche Phantasie-Reize nur wenig reagieren, ist der Eindruck der Erotik im Film so realistisch, daß er beide Geschlechter gleich stark anspricht. Die Möglichkeit, mit Spielfilmen die Gefühle sehr vieler Menschen zu beeinflussen, führte zum Einsatz des Mediums Film im Interesse der politischen Menschenführung. Meist wird die Tendenz der Filmproduktion nicht so direkt und einheitlich gesteuert. Sie ergibt sich aus vielen Signalen, die den jeweiligen Trend des zahlenden Publikums anzeigen. Oft sollen Filme mit der Illusion des Heiteren und Sentimentalen von bitteren Realitäten ablenken. In neuerer Zeit hat sich der Film wegen der Konkurrenz durch das Fernsehen besonders der Themen angenommen, die das Fernsehen wegen seiner offiziellen Abhängigkeiten und mit Rücksicht auf sein viel weniger gegliedertes Publikum nicht aufgreifen mag: dazu gehören »heikle« politische und psychologische Themen ebenso wie Pornographie, Gewalttätigkeit und Horror. Dennoch sind die Beziehungen zwischen Film und Fernsehen sehr eng. Beide Medien bieten Vorbilder für Lebensformen und Menschentypen. Die Stars des Films wurden vor allem zu erotischen Idealen. Männer wie Frauen ahmten sie nach oder trafen ihre Liebeswahl nach dem Muster, das sie geschaffen hatten. Die Stars andererseits wurden von ihren Regisseuren, Produzenten nach einem Image gemodelt, von dem man annehmen konnte, daß es latenten Wünschen entsprechen würde. Dieses Image bezog sich nicht nur auf die mehr oder weniger gleichartigen Rollen, die einem bestimmten Star zugeteilt wurden, sondern auch auf das »Privatleben«, das er vor Reportern und »Fans« zu führen hatte. Diese Stilisierung des Filmstars gehört der Vergangenheit an; die Popularität der Fernseh-Lieblinge, die beinahe wie Familienmitglieder empfunden werden, aber auch der Glanz der Musik-Stars hat dem Ruhm der stärker erhöhten Film-Idole den Rang abgelaufen. Zur Wirkung des Films hat viel der Ort seiner Vorführung, das Kino, beigetragen. Seine Dunkelheit und die Einbettung des Zuschauers in eine schweigende, unbekannte Menge schafft andere psychische Voraussetzungen, als sie in der eigenen Wohnung vor dem Fernsehschirm bestehen. Das dunkle, anonyme Kino wurde unter anderem zu einem Zufluchtsort für Liebespaare, die ihre eigenen Beziehungen zueinander oft genug mit denen des Liebespaares auf der Leinwand und dessen Schicksalen »gleichgerichtet« haben. Alles in allem bietet der Film ein reiches Ersatzleben zum Ausgleich für die Gefühlsentbehrungen in der modernen, technisierten und organisierten Welt, trägt aber auch zum Eindruck der Entfremdung wesentlich bei.

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