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Psychologielexikon

Überarbeitete Ausgabe

Psychologielexikon

Persönlichkeit

Autor
Autor:
Sonja Margarethe Amstetter

Während «Person» das menschliche Individuum als solches betrifft («Es waren drei Personen an Bord»), meint man mit Persönlichkeit die bei jedem Menschen besondere Ausprägung seelischer Eigenschaften. In der psychologischen Forschung sucht man dabei den wertenden Beiklang, den «Persönlichkeit» im sozialen Raum oft hat, beiseite zu lassen («Dynamische Persönlichkeit als Abteilungsleiter gesucht»). In der - Psychoanalyse gilt die Persönlichkeit als Ausdruck der Anpassungsleistungen des Ich nach innen und außen. Sie wird nach diesem Modell vorwiegend aufgebaut aus: 1. den Identifizierungen mit den frühen Bezugspersonen in der Primärgruppe; 2. den Folgen von gewohnheitsmäßig angewandten Abwehrmechanismen; 3. den Niederschlägen späterer Objektbeziehungen und 4. den ererbten Grundlagen der Entwicklung (wie Triebstärke). In den vom Behavio-rismus ausgearbeiteten Persönlichkeitsmodellen spielen vor allem zu Gewohnheiten gewordene Verbindungen von Reizen und Reaktionen eine Rolle, die durch Bekräftigung erworben werden. Die meisten Persönlichkeitstheorien unterscheiden zwischen den intellektuellen und emotionalen (motivationalen, triebhaften) Seiten der Persönlichkeit.

Zum Verständnis der menschlichen Persönlichkeit existiert eine Fülle von Theorien und methodischen Zugangsweisen, denen ihrerseits unterschiedliche wissenschaftstheoretische Positionen und Menschenbildannahmen zugrunde liegen. Vor dem Hintergrund eines transaktionalen Konzepts des Person-Umwelt-Bezugs werden menschliche Individuen als evolutionär entwickelte psychophysische Lebewesen gesehen, die in aktiver Auseinandersetzung mit den jeweils aktuell wirkenden natürlichen und sozio-kulturellen Lebensbedingungen die konkrete Ausformung ihrer Persönlichkeit und deren Entwicklung selbst gestalten. Die individuelle Persönlichkeit eines einzelnen Menschen kann dabei aus einer strukturellen und prozessualen Perspektive betrachtet werden. Die Struktur der individuellen Persönlichkeit ist das zu jedem Entwicklungszeitpunkt eines bestimmten menschlichen Individuums einzigartige Gesamtsystem a) seiner grundlegenden physischen und psychischen Merkmale, b) seiner charakteristischen Anpassungsweisen in der Auseinandersetzung mit personinternen und personexternen Gegebenheiten sowie c) seines Selbst- und Welterlebens. Die individuelle Persönlichkeit als Prozeß bezieht sich auf die Entwicklung des Gesamtsystems der Persönlichkeit eines bestimmten menschlichen Individuums über die gesamte Lebensspanne. Aus der Dynamik des Zusammenwirkens des für dieses Individuum charakteristischen Persönlichkeitssystems und der jeweiligen personexternen Gegebenheiten ergibt sich der unverwechselbare Verlauf seiner individuellen Persönlichkeitsentwicklung.

Intra- und extrapersonale Bedingungen der Persönlichkeitsentwicklung

Die individuelle Persönlichkeitsentwicklung läßt sich auf dem zeitlichen Kontinuum von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verorten. Dabei können zu jedem beliebigen Zeitpunkt hinsichtlich der personinternen Entwicklungsvoraussetzungen folgende drei miteinander in Beziehung stehende Variablenklassen unterschieden werden:

a) grundlegende Merkmale und Dispositionen. Hierzu gehören die genetische Ausstattung der Person, ihre physischen Merkmale (z.B. Geschlecht, Alter, äußeres Erscheinungsbild, Gesundheitszustand), allgemeine und spezifische kognitive Fähigkeiten (z.B. Intelligenz, Kreativität, Wahrnehmungs- und Denkstile; Wahrnehmung, Denken), generelle Motiv- und Interessendispositionen (z.B. Bedürfnis nach Wirksamkeit, Kontrolle, Bezogenheit; person- und sachbezogene Interessen), generelle Temperaments- und Persönlichkeitseigenschaften (z.B. Emotionalität, Soziabilität, Aktivität sowie die als Big Five Persönlichkeitsfaktoren: Neurotizismus, Extraversion, Gewissenhaftigkeit, Verträglichkeit und Erfahrungsoffenheit).

b) Charakteristische Anpassungsweisen. Diese umfassen tägliche Routinen, Gewohnheiten sowie spezifische Fähigkeiten und Fertigkeiten in der Auseinandersetzung mit herausfordernden bzw. belastenden Situationen. Im einzelnen lassen sich folgende sechs Klassen von dynamischen Prozessen der Persönlichkeit unterscheiden:

– Informationsverarbeitungsprozesse (z.B. Wahrnehmung, klassisches und operantes Konditionieren, implizites Lernen, deklarative und prozedurale Wissensschemata),

– Bewältigungs- und Abwehrprozesse (z.B. Strategien der Handlungsregulation und Emotionskontrolle, problem- bzw. emotionsfokussierte Formen der Belastungsbewältigung, generalisierte Abwehrmechanismen),

– volitionale Prozesse (z.B. Belohnungsaufschub, rationale Wahlentscheidungen, Planungs- und Handlungsinitiierung),

– Emotionsregulationsprozesse (z.B. emotionale Reaktionen bei Kampf bzw. Flucht, Ausdruck bzw. Unterdrückung von Affekten, hedonistische Anpassung),

– interpersonale Prozesse (z.B. Bindungs- und Beziehungsformen in engen bzw. formellen persönlichen Beziehungskontexten, Strategien der Nähe-Distanzregulation, Formen der Autonomiebehauptung und Machtdurchsetzung, Kommunikations- und Konfliktlösungsfertigkeiten),

– Identitätsbildungsprozesse (z.B. Selbstentdeckung, Sinnsuche, Selbstkonsistenz und Selbstveränderung, persönliche Ziele und Projekte).

c) Selbst- und Welterleben. Hierzu gehört bezüglich des Selbst das individuelle Selbst- und Identitätserleben wie es sich u.a. im Erleben des eigenen Selbstwerts, des Selbstkonzepts und der Selbstkohärenz, in der subjektiven Erfahrung von personaler Kontrolle und Selbstwirksamkeit, in der besonderen Art der privaten und öffentlichen Selbstpräsentation oder Selbstüberwachung, in der Konzeption möglicher Selbstentwürfe oder in der biographisch verankerten Selbst- und Identiätskonstruktion in Form “persönlicher Mythen” manifestiert (Identität). Hinsichtlich des Welterlebens sind diesem Bereich auch subjektive Sichtweisen und Bedeutungszuschreibungen von Situationen und Umwelten zuzuordnen wie sie etwa in Form interner Repräsentationen von leistungs- oder beziehungsthematischen Situationen, in der Wahrnehmung sozialer Klimata im Kontext von Familie, Beruf und Freizeit oder in der subjektiven Sicht unterschiedlicher Formen gesellschaftlicher Opportunitäten, Gleichheit und Gerechtigkeit zum Ausdruck kommen.

Neben seiner Verortung auf dem zeitlichen Kontinuum ist das individuelle Persönlichkeitssystem und dessen Entwicklung auch im Kontext seiner personexternen Entwicklungsbedingungen zu sehen. In ihrer Gesamtheit umfassen sie die objektive Lebenslage einer Person, wobei sich externe Umwelteinflüsse und biographische Ereignisse unterscheiden lassen. Zu den externen Umwelteinflüssen, die von personinternen Umweltrepräsentationen zu unterschieden sind, gehören z.B. situationsbedingte Einschränkungen und Opportunitäten, die Einbindung in familiäre, berufliche und sonstige soziale Netzwerke, die Verfügbarkeit finanzieller Ressourcen, die Art der Wohnung und die Besonderheiten der Wohnumgebung, die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Kultur bzw. Subkultur sowie die gesellschaftlichen Gegebenheiten in einer bestimmten geschichtlichen Epoche.

Neben den externen Umwelteinflüssen stellen biographische Ereignisse all jene Aspekte der Umwelt dar, mit denen eine Person sich im Laufe ihres bisherigen Lebensganges auseinanderzusetzen hatte und die über die oben genannten charakteristischen Anpassungsweisen der Person zur je individuellen Ausgestaltung ihres Persönlichkeitssystems beigetragen haben. Hierzu gehören Erziehungs- und Sozialisationseinflüsse im Kontext von Herkunftsfamilie (Familie), Gleichaltrigengruppe, Paarbeziehungen, Freundschaften, Schule, Beruf und Medien (Erziehung, Sozialisation). Daneben spielen aber auch traumatische und kritische Lebensereignisse von mehr oder minder nachhaltiger Chronizität (z.B. Krieg, Umweltkatastrophen, Unfälle, Krankheiten, Personenverluste, Trennung und Scheidung etc.) eine wichtige Rolle für die Entwicklung und Verfestigung des individuellen Persönlichkeitssystems (Psychotraumatologie).

Obwohl die Konfrontationen mit Umwelteinflüssen in manchen Fällen (z.B. Krieg, Umweltkatastrophe) als von der Person nicht zu verantwortende Widerfahrnisse zu verstehen sind, trifft dies nicht für alle biographischen Ereignisse zu. So können etwa Unfälle oder Krankheiten durch den spezifischen persönlichkeitsbedingten Lebensstil einer Person von ihr selbst hervorgerufen werden (z.B. aufgrund einer Vorliebe für Risikosportarten – Risiko, Alkoholabusus (Sucht), ungesunde Ernährungsweise – Ernährungspsychologie) und somit die weitere Persönlichkeitsentwicklung entscheidend mit beeinflussen. Dies gilt gleichermaßen für dysfunktionale wie funktionale Formen der Persönlichkeitsentwicklung. Insofern lassen sich das individuelle Persönlichkeitssystem einer Person und die für ihren Lebensgang charakteristischen Umwelteinflüsse und biographischen Ereignisse als ein übergreifendes Person-Umwelt-System begreifen, in dem sich die Person und ihre Umwelt im Sinne eines sich wechselseitig beeinflussenden koevolutionären Prozesses entwickeln.

Mechanismen und Phasen der Persönlichkeitsentwicklung

Vor dem Hintergrund der bisherigen Ausführungen erfolgt die Persönlichkeitsentwicklung des Einzelnen auf dem Wege eines aktiven Aneignungsprozesses. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Frage, wie dieser Aneignungsprozeß im einzelnen abläuft. Erneut kommen hier auf der personinternen Seite die bereits angesprochenen charakteristischen Anpassungsweisen einer Person ins Spiel, soweit sie sich in der bisherigen Lebens- und Erfahrungsgeschichte einer Person entwickelt haben. Diese fließen generell in die als primäre Motoren der Entwicklung anzusehenden proximalen Prozesse ein, die als reziproke Interaktionen einer Person mit konkreten Personen, Objekten und Symbolen ihrer unmittelbaren Umwelt zu verstehen sind. Damit proximale Interaktionsprozesse mehr oder minder nachhaltige Entwicklungseffekte hervorbringen, müssen sie im allgemeinen mit einer gewissen Regelhaftigkeit und Dauerhaftigkeit erfolgen. Proximale Prozesse ereignen sich in proximalen Settings (z.B. Familie, Schule, Gleichaltrigengruppe, Arbeitsplatz), die ihrerseits Bestandteil übergeordneter distaler Umweltkontexte (z.B. soziale Schicht, ökonomisches, sozio-kulturelles und religiöses Gesellschaftssystem) sind.

Die Realisierung und Wirksamkeitsentfaltung proximaler Prozesse vollzieht sich für die einzelne Person häufig im Rahmen primärer und sekundärer Entwicklungskontexte. Dabei sind primäre Entwicklungskontexte dadurch gekennzeichnet, daß Personen, die in bestimmten Lebensbereichen erfahrener sind als die lernende Person, diese in einer ihrem Entwicklungsstand angemessenen Weise in einen neuen Erfahrungsbereich einführen. Sekundäre Entwicklungskontexte sind hingegen solche, in denen die lernende Person die zuvor unter Anleitung erfahrenerer Personen vermittelten Kompetenzen ohne deren Anwesenheit eigenständig konsolidiert und weiterentwickelt. Auf diese Weise werden zunehmend Prozesse der Selbstentwicklung bzw. Selbstsozialisation in Gang gesetzt. Eine genauere Analyse proximaler Prozesse zeigt, daß in Anlehnung an entsprechende Überlegungen, die im Bereich der verhaltensgenetischen Persönlichkeitsforschung (Verhaltensgenetik) entwickelt wurden, folgende drei Varianten von Person-Umwelt-Transaktionen unterschieden werden können:

a) Reaktive Person-Umwelt-Transaktionen. Hierbei handelt es sich um das Phänomen, daß unterschiedliche Personen, wenn sie mit derselben Umwelt konfrontiert werden, diese in unterschiedlicher Weise wahrnehmen, interpretieren und entsprechend reagieren. Beispiel hierfür ist etwa, daß aggressive im Gegensatz zu nicht-aggressiven Kindern und Jugendlichen uneindeutige soziale Situationen tendentiell als Ausdruck einer aggressiven Haltung ihres Gegenübers interpretieren und sich daraufhin selbst häufiger aggressiv verhalten, wobei sie zugleich eine aggressive Verhaltensstrategie als vorteilhafter einschätzen als eine nicht-aggressive Strategie.

b) Evokative Person-Umwelt-Transaktionen. Diese sind dadurch gekennzeichnet, daß spezifische Persönlichkeitsmerkmale einer Person bei anderen bestimmte Reaktionen evozieren. Dies gilt etwa für Kinder mit einem schwierigen Temperament, deren Verhalten von ihren Eltern oder von anderen Bezugspersonen als aversiv erlebt wird, was mit negativen Emotionen einhergeht und vermehrt kontrollierende Reaktionen hervorruft. Auf Dauer führt dies zu einer Verfestigung stark konflikthafter und einschränkender Transaktionszyklen zwischen den Beteiligten.

c) Proaktive Person-Umwelt-Transaktionen. Diese treten dann auf, wenn Personen ihre Umwelten selbst auswählen bzw. selbst schaffen. Beispiele für die Selektion von Umwelten sind Freundschaftswahlen, Berufswahl oder die Wahl von Freizeitaktivitäten, wodurch persönliche Kompetenzen und Interessen- bzw. Werthaltungen entwickelt und stabilisiert werden. Ähnlich wie bei der Auswahl von Umwelten läßt sich die Kreation von Umwelten im materiellen, sozialen und symbolischen Bereich nachweisen. Beispiele hierfür sind etwa die Schaffung neuer Lernumwelten zur Optimierung von Lernprozessen, die Zeugung, Geburt und Aufzucht eigener Kinder oder eigene schriftliche bzw. künstlerische Vergegenständlichungen.

Bei einer Betrachtung der Persönlichkeitsentwicklung über die gesamte Lebensspanne lassen sich unterschiedliche Entwicklungsphasen und zugehörige Entwicklungsaufgaben unterscheiden. Auf der individuellen Ebene manifestieren sich Entwicklungsaufgaben im Zusammenspiel des jeweiligen psychophysischen Reifungszustands des Persönlichkeitssystems und altersgradierten gesellschaftlichen Erwartungen. Dabei können in normativer Abfolge neun Entwicklungsphasen nebst exemplarischen Entwicklungsaufgaben unterschieden werden: 1) frühe Kindheit (Anhänglichkeit, Objektpermanenz, sensumotorische Intelligenz), 2) Kindheit (Selbstkontrolle, Sprachentwicklung, Phantasie und Spiel), 3) frühes Schulalter (Geschlechtsrollenidentifikation, einfache moralische Urteile, konkrete Intelligenzoperationen), 4) mittleres Schulalter (soziale Kooperation, Selbstbewußtsein, Erwerb der Kulturtechniken), 5) frühe Adoleszenz (körperliche Reifung, formale Intelligenzoperationen, Aufnahme sexueller Beziehungen), 6) späte Adoleszenz (Autonomie von den Eltern, internalisiertes moralisches Bewußtsein, Berufswahl), 7) frühes Erwachsenenalter (Heirat und Geburt von Kindern, Arbeit/Beruf, Entwicklung eines eigenen Lebensstils), 8) mittleres Erwachsenenalter (Heim/Haushalt führen, Kinder in die Eigenständigkeit entlassen, berufliche Karriere), 9) spätes Erwachsenenalter (Integration neuer Lebensrollen, rückschauende Akzeptanz des eigenen Lebens, Auseinandersetzung mit Sterben und Tod). Diese normative Entwicklungssequenz erfährt in aller Regel je nach den personspezifischen externen Umwelteinflüssen bzw. biographischen Ereignissen eine Veränderung und gibt somit der Entwicklung des individuellen Persönlichkeitssystems seine besondere und einzigartige Gestalt.

Literatur

Amelang, M. & Bartussek, D. (1997). Differentielle Psychologie und Persönlichkeitsforschung (4. Aufl.). Stuttgart: Kohlhammer.

Asendorpf, J. (1996). Psychologie der Persönlichkeit. Berlin: Springer.

Fisseni, H-J. (1998). Persönlichkeitspsychologie (4. Aufl.). Göttingen: Hogrefe.

Pervin, L.A. (1996). The science of personality. New York: Wiley.

Schneewind, K.A. (1996). Persönlichkeitstheorien I und II (2 Bände, 2. Aufl.). Darmstadt: Primus.

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