soviel wie »Pflege«, die Gesamtheit der Leistungen, mit denen sich der Mensch die Natur unterworfen, sie verändert und eine neue, künstliche Umwelt geschaffen hat. Manchmal unterscheidet man die mehr technisch-organisatorischen Einrichtungen als »Zivilisation« von den »höheren« Schöpfungen wie Religion, Philosophie, Wissenschaft und Kunst, auf die dann der Name »Kultur« beschränkt wird. Aber eines hängt von dem anderen ab, wie sich vor allem an der Beziehung zwischen Wissenschaft und Technik erweist, oder in dem Bereich zwischen Handwerk und Kunst. Zur Kultur gehört darüber hinaus eine Regelung der zwischenmenschlichen Beziehungen durch Sitte, Moral, Recht und Gesellschaftsordnung. Die schriftlich überlieferte Kultur reicht etwa nur fünftausend Jahre zurück, aber die Kulturgeschichte begann mit der Entfernung des Menschen von seinen tierischen Ahnen und Vettern. Streng genommen gibt es keine »Naturvölker« ; sie alle hatten und haben eine Kultur, die sich nur der Entwicklungsstufe nach von der unseren unterscheidet. In den verschiedenen Lebensräumen haben sich je nach Klima, Landschaft und Volk unterschiedliche Kulturen entwickelt. Jede von ihnen hat eine etwas andere Wertordnung, so daß jeweils auf manchen Gebieten Höchstleistungen entstanden, während andere Bereiche vernachlässigt wurden. So steht unsere moderne Kultur in der Gefahr der organisatorisch-technischen Einseitigkeit, und die Bedeutung der psychischen Bedürfnisse wird weitgehend verkannt. Mit der Entwicklung des Verkehrs kommt es zum Austausch zwischen verschiedenen Kulturen oder zum beherrschenden Einfluß einer höher entwickelten auf die einfacheren. In dem neuen Raum verändert sich die importierte Kultur, verliert mindestens vorübergehend an Niveau, kann sich dann aber von der Vermischung aus erneut steigern und dann sogar auf alte Kulturräume überfließen. So ist in Amerika aus dem europäischen Erbe eine Kultur entstanden, die nun nach Europa zurückwirkt. Wie die asiatischen und afrikanischen Völker auf den Zwang reagieren werden, die technisch-wissenschaftliche Kultur der Gegenwart des Abendlandes zu übernehmen, wie sie sie aus ihren eigenen Bedingungen heraus verwandeln werden, und wie das dann auf Europa und Amerika zurückstrahlen wird, läßt sich heute noch nicht übersehen. Gewiß ist nur, daß sich alle Kulturen ständig ändern werden. Und keine Änderung wird auf die äußeren Bedingungen beschränkt bleiben, die sich vielmehr alle auf die Seelenlage der Menschen auswirken müssen, die in ihnen leben. Trotz aller Unterschiede lassen sich einige Grundzüge jeder Kultur erkennen. Es entsteht eine Entfremdung von der Natur, ein Verlust sichernder Instinkte. Hierin liegt die Vergeblichkeit aller Versuche begründet, aus der Beobachtung des Verhaltens der Tiere wesentliche Einsichten in die menschliche Psyche zu gewinnen. Die Kulturleistung hängt von der Einordnung in größere Gemeinschaften ab. Das bedingt eine teilweise Beherrschung der Triebe. Die ursprüngliche Sexualität wird eingedämmt, indem ein Teil ihrer Kraft, der Libido, in die Gruppenbildung abgelenkt, ein anderer zu Sublimierungen (zum Beispiel als Gefühlsinteresse an der Arbeit) verwandt wird. Ihre Wildheit wird durch Sitten und Institutionen wie die Ehe gezähmt. Das geht manchmal soweit, daß die sexuelle Bereitschaft ernstlich gefährdet wird (vgl. Potenz, Frigidität). Die Gemeinschaftsbindungen werden so bedeutend, daß innige Beziehun gen, etwa als Paar, aber auch schon als Familie, sich immer schwieriger herstellen und aufrechterhalten lassen. Erst recht muß die Aggression gezügelt werden. Der Einzelne muß auf sein Faustrecht verzichten und sich dem Recht der Gemeinschaft unterordnen. Trotz aller Mittel, den Aggressionstrieb etwa in die Arbeit oder den Sport abzuleiten, oder ihn auf eine Feindgruppe abzulenken, bleibt ein Aggressionspotential erhalten, das sich nicht nach außen wenden kann. Es wird nach innen gerichtet, verstärkt die Kraft des Über-Ich. Selbst die unterdrückten Aggressionswünsche erzeugen ein Schuldgefühl, das nach Strafe als Erlösung verlangt. Je mehr ein Mensch seine Aggressionen nach außen unterdrückt, umso mehr wirkt dieser Druck nach innen. Die Destruktion wird zur Selbstzerstörung, zum Todestrieb. In diesem doppelten Triebverzicht sah Freud »das Unbehagen in der Kultur« begründet. Einen Triebverzicht leistet der Mensch darüber hinaus, weil er einsehen mußte, daß sich die Realität nicht nach seinen Wünschen richtet und er die Umwelt nicht unter die Allmacht der Gedanken zwingen kann. So protestieren die Menschen immer wieder gegen die Bürden der Kultur, sehnen sich in die Idylle eines »einfachen Lebens« zurück oder versuchen sogar, gewisse kulturelle Errungenschaften beiseite zu fegen, wie das zuletzt in Deutschland unter dem Zeichen des Haken kreuzes geschah. Es bleibt die Aufgabe des Menschen, die Kultur, ohne die er kein Mensch wäre, so zu gestalten, daß sie ihm neben dem äußeren Fortschritt noch die Befriedigung seiner lebenswichtigen Gefühlsbedürfnisse bietet.
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