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Psychologielexikon

Überarbeitete Ausgabe

Psychologielexikon

Gesellschaftsordnung

Autor
Autor:
Sonja Margarethe Amstetter

ein System von Traditionen, Wertvorstellungen, Lebensbedingungen und Herrschaftsformen zur Regelung des Zusammenlebens in einem begrenzbaren Raum. Karl Marx hat die ideologischen und kulturellen Erscheinungen jeder Gesellschaftsordnung als Überbau über der Grundlage der ökonomischen Bedingungen und Herrschaftsinteressen einer bestimmten Klasse verstanden. Die Verhaltenspsychologie (Behaviorismus) sieht die Gesellschaft als das Gegebene an und will den Einzelnen dazu anleiten, sich ihr anzupassen. Die Tiefenpsychologie erkennt auch in der Gesellschaftsordnung die Triebkräfte wieder, die unter dem Einfluß der Erziehung von ihrem eigentlichen Ziel nur mehr oder weniger abgelenkt worden sind. Die Einordnung in die Gesellschaft folgt dem Muster, das durch die Beziehungen des Kindes zu den Eltern und Geschwistern geprägt worden ist. In allen Hochkulturen galt bisher eine patriarchalische Gesellschaftsordnung, die der Rolle des Vaters in der Familie entsprach. Viele Revolutionen strebten nach einer Ordnung, die dem Verhältnis in einer Bruderschaft oder einem Männerbund nachgebildet sein sollte. Dieser Unterschied hat nur wenig mit dem aktuellen Gegensatz zwischen »kapitalistischer« und »kommunistischer« Gesellschaftsordnung zu tun, wie sich etwa an dem Beinamen »Väterchen Stalin« zeigt. Sobald sich nach einer Revolution eine neue Ordnung stabilisiert hat, setzt sich allmählich auch wieder eine Führung wie durch den Vater durch. Erst die moderne Außenlenkung zeigt ein anderes Muster, das auch neue psychische Probleme mit sich bringt. Frühere Gesellschaftsordnungen und moderne Diktaturen waren oder sind offen auf ein einheitliches Ziel ausge richtet; in ihnen gilt nur ein einziges Ideal als verbindlich. Unsere heutige Gesellschaftsordnung nennen wir »pluralistisch«, weil verschiedene Weltanschauungen nebeneinander anerkannt sind, und verschiedene Organisationen (Parteien, Gewerkschaften, Wirtschaftsverbände, Religionsgemeinschaften) Anteil an der Macht haben. Diese Ordnung ist nur möglich, wenn und soweit alle Teile der Gesellschaft ein Interesse daran haben oder doch empfinden, das System aufrechtzuerhalten. Der Konsensus, also das gemeinsame Einverständnis mit den wesentlichen Prinzipien der Gesellschaftsordnung, ist heute weniger in Wertvorstellungen begründet, die auch recht vage geworden sind, oder in einer Anerkennung der Machtverhältnisse, die sich kaum noch durchschauen lassen, als in den Befriedigungen, die unsere Gesellschaft den Einzelnen anbietet. Die Möglichkeiten des Konsums, die Gefühlserlebnisse mithilfe der Massenmedien, die gestiegene Freizeit und Freizügigkeit binden uns stärker als alle Ideale. Das Bewußtsein der Gemeinsamkeit wird gestärkt durch die Betonung der Unterschiede zu konkurrierenden Gesellschaftsordnungen, die weithin als Feindgruppen hingestellt werden.

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