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Psychologielexikon

Überarbeitete Ausgabe

Psychologielexikon

Behaviorismus

Autor
Autor:
Klaus-Dieter Zumbeck

Verhaltenslehre (von engl. behavior = Benehmen, Verhalten). Der Behaviorismus geht auf Anregung des amerikanischen Philosophen William James (t 1910) und seine Lehre des »Pragmatismus« zurück. Er wurde entscheidend entwickelt von dem amerikanischen Psychologen John B. Watson (ab 1914). Die Lehre berührt sich mit der Reflexforschung, wie sie vor allem die Russen Iwan P. Pawlow und Bechterew vortrugen. Spätere Entwicklungen wurden stark durch die Tierpsychologie beeinflußt, wie etwa der Amerikaner B. F. Skinner und der Deutsche Konrad Lorenz sie betreiben. In den Vereinigten Staaten herrscht heute eine Auffassung vor, in der sich Vorstellungen des Behaviorismus mit Elementen der Tiefenpsychologie mischen. In seiner ursprünglichen Form läßt der Behaviorismus nur die unmittelbare Beobachtung des meßbaren Verhaltens gelten. Jede Interpretation oder Deutung lehnt er als unwissenschaftlich ab. Damit entfällt auch die Introspektion, die Selbsterforschung, die eine der Grundlagen jeder verstehenden Psychologie ist. Während die Introspektion sowohl die Gefahr, daß man Selbsttäuschungen erliegt, als auch die Versuchung mit sich bringt, daß man andere zu sehr nach seinem eigenen Maß mißt, bietet ihre Ablehnung den Vorteil, daß man den Mühen und Peinlichkeiten des »Erkenne dich selbst« entgeht. Der Behaviorismus handelt sozusagen nach dem Motto: »Was da drinnen ist, geht niemanden was an.« Freud hat ihm vorgeworfen, daß er »sich in seiner Naivität rühmt, das psychologische Problem überhaupt ausgeschaltet zu haben«. Der Behaviorismus faßt das Verhalten als Ergebnis der Wechselwirkung von Reiz (Stimulus) und Reaktion (»response« = Antwort) auf. Die Wirkung etwa eines sexuellen Reizes wird an den körperlichen Reaktionen (Beschleunigung des Pulses, Erwärmung der Haut usw.) gemessen ; seine individuelle Bedeutung, etwa auf Grund früherer Erlebnisse, bleibt außer Betracht. Jede Erkenntnis soll sich durch Wiederholung unter gleichartigen Bedingungen, das heißt durch kontrollierte Experimente immer wieder bestätigen lassen. Die Prägung des Verhaltens wird als Lernvorgang gesehen, dessen Ziel die Anpassung (adjustement) des Einzelnen an seine Umwelt ist. Verhaltensstörungen will man durch ein Umlernen beheben. So setzt man in der behavioristisch orientierten Behandlung seelischer Krankheiten Rollen-Spiele ein, mit denen ein besser angepaßtes Verhalten allmählich eingeübt werden soll. Unangemessene Verhaltensweisen werden »bestraft«, etwa durch eindringliche Schilderung ihrer schrecklichen Folgen oder sogar durch Auslösen von elektrischen Schocks. »Richtiges« Verhalten wird durch Anerkennung und Auslösen von Wohlgefühlen »belohnt«. Die Empfindungen, die mit dem einen oder anderen Verhalten verbunden sein mögen, werden durch diese Art Drill überdeckt. In Wahrheit arbeitet die Verhaltens therapie mit einem durchaus psychologischen Vorgang: sie droht mit der Isolation, dem Liebesentzug, und lockt mit der Aufnahme in die Gemeinschaft, dem Liebeserweis. Diese Therapie führt in vielen Fällen schneller zur Heilung als die psychoanalytische Kur; aber sie geht eigentlich nur die Symptome an. Die behavioristische Forschung hat viele allgemeine Erscheinungen im menschlichen Leben unserer Zeit eindringlicher bewußt gemacht, als dies die verstehende Psychologie konnte, die ja immer von Einzelerfahrungen ausgehen muß und erst aus ihrer Summe übergreifende Theorien entwickelt. Als ein Ergebnis der Verhaltensforschung kann man die Kinsey-Reports ansehen, die das Sexualverhalten statistisch überschaubar machten. Über das Sexualempfinden konnten sie nichts aussagen. Auch hierin sind sie ein Musterbeispiel für den Behaviorismus und seine Grenzen.Von J.B. Watson 1913 begründete Schule der Psychologie, die vor allem in den Vereinigten Staaten großen Einfluß gewann. Sie fordert, die Introspektion (Beschreibung und Analyse nur innerseelisch beobachtbarer Vorgänge) als unwissenschaftlich aufzugeben und sich ausschließlich mit der Messung des Verhaltens (vor allem im Tierexperiment) zu befassen. Während der Beitrag des Behaviorismus zur wissenschaftlichen Psychologie hoch einzuschätzen ist, sind andere Gesichtspunkte des Behaviorismus inzwischen aufgegeben worden. Innerseelische Vorgänge lassen sich durch Aufzeichnen beispielsweise des sprachlichen Verhaltens und des Ausdrucks auch mit genügender Objektivität festhalten. Watsons Forderungen nach einem extremen «Molekularismus» (nur bedingte Reflexe werden als Bausteine des Verhaltens anerkannt) sind bereits im «molaren», zweckmäßiges Verhalten einbeziehenden Behaviorismus von E. C. Tolman verlassen worden. Die gegenwärtig erfolgreichste Schule des Behaviorismus ist die von B. F. Skinner, der eine einfache Theorie (Verhalten wird durch positive und negative Reize gesteuert und kann durch deren planmäßige Veränderung ebenfalls verändert werden) und eine sehr erfolgreiche Experimentiertechnik mit verblüffenden Dressurerfolgen an den verschiedensten Tierarten und zahlreichen Anwendungsmöglichkeiten in Erziehung und Psychotherapie verknüpft hat. Wissenschaftliche Gegner des Behaviorismus sind neben anderen die Gestaltpsychologie, die sich gegen den Molekularismus wendet, und die Psychoanalyse, die eine Untersuchung des menschlichen Verhaltens ohne Rücksicht auf Träume, Phantasien und unbewußte Prozesse für unvollständig hält.

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