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Psychologielexikon

Überarbeitete Ausgabe

Psychologielexikon

Liebesentzug

Autor
Autor:
Anneliese Widmann-Kramer

ein sehr wirksames, aber nicht ungefährliches Mittel der Erziehung. Die Anpassung des Kindes an die Forderungen der Eltern, die zugleich die Forderungen der Gesellschaft vertreten, geschieht ja weitgehend, um sich ihre Liebe zu sichern. Wird nun diese Liebe entzogen, weil das Kind unfolgsam war, fühlt es sich verlassen und schutzlos. Die typischen Formen des Liebesentzuges in der Kinderstube sind Erklärungen wie: »Wir sprechen nicht mehr mit dir« oder Arten der Verbannung: »Stell dich in die Ecke«, »Wir sperren dich ein . . .«. Diese Verstoßung wird oft mehr gefürchtet als das Schimpfen oder sogar als eine körperliche Züchtigung. Denn solche Strafen werden als Buße empfunden, die die Schuld tilgt, und auf die eine Versöhnung folgt, also eine Wiederannahme in Liebe. Der Liebesentzug ohne Buße dagegen zeigt keinen direkten Weg zur Wiederannahme. Er beweist sozusagen, daß die Liebe, die das Kind bis dahin erlebt hat, unzuverlässig ist. Sie scheint nur gewährt worden zu sein, weil und solange das Kind »brav« war, und nicht um seiner selbst willen. Wiederholen sich solche Erfahrungen, dann wird die Liebe an sich fragwürdig. Es entwickelt sich die Vorstellung, man sei nicht liebenswürdig, oder alle anderen seien nicht liebesfähig. Das Muster von Liebeszuwendung und Liebesentzug im Verhältnis des Kindes zu seiner Familie wiederholt sich bei der Einordnung des Einzelnen in irgendeine andere Gemeinschaft. Immer geht es darum, sich den Schutz der anderen zu sichern, indem man ihre Zuneigung gewinnt. Das ist am leichtesten, wenn man deren Beispielen folgt und Leistungen für sie erbringt. Handelt man ihren Vorbildern und Interessen zuwider, riskiert man Nichtachtung oder sogar Ausstoßung. Nur wer stark genug ist, sich gegen die anderen durchzusetzen oder wenigstens ohne ihren Schutz auszukommen, kann die Vereinzelung wagen. Aber das heißt ja zugleich, ohne ihre Liebe auszukommen. In Leiden unter Liebesentzug und Liebesmangel liegt ein wesentlicher Antrieb zu jeglicher Gemeinschaftsbildung. Vor allem jene Menschen, die keine starken und verläßlichen Liebesbindungen zu einzelnen Partnern erfahren haben, neigen dazu, sich in größeren Gemeinschaften einzugliedern, bis hin zum Eingehen in eine Masse, in der individuelle Beziehungen keine Rolle mehr spielen.Entzug von Zuwendung und Aufmerksamkeit, meist als «Mutterberaubung» (englisch maternal de-privation) untersucht, welche bei Heimkindern (Hospitalismus) zu verschiedenen Schäden führt.

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