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Psychologielexikon

Überarbeitete Ausgabe

Psychologielexikon

Führung

Autor
Autor:
Klaus-Dieter Zumbeck





Definition

Häufig wird bei"Führung" an das Handeln von betrieblichen Vorgesetzten gedacht, die sich bemühen, die Arbeit der ihnen unterstellten Personen zielgerichtet zu aktivieren. Tatsächlich aber ist der Begriff der Führung so weit, daß er sich für eine interdisziplinär-vergleichende Analyse eignet und selbst als "Einfluß in Organisationen" ganz verschiedene Aspekte aufweist. Betrachtet man die Organisation als ein ihrer Umwelt gegenüber offenes System, das zeitlich überdauernd existiert, spezifische Ziele verfolgt, sich aus Individuen bzw. Gruppen zusammensetzt, also ein soziales Gebilde ist und eine bestimmte Struktur aufweist, die meist durch Arbeitsteilung und eine Hierarchie von Verantwortung gekennzeichnet ist, so stellt sich die Frage der Koordination. Es gilt, die arbeitsteilig tätigen Personen oder sozialen Einheiten auf das Zielsystem der Gesamtorganisation hin auszurichten. Dabei lassen sich bei grober Klassifikation zwei verschiedene Aspekte unterscheiden: Unternehmensführung und Mitarbeiterführung, d.h. die Führung von Menschen durch Menschen - personale Führung, die sich als eine unmittelbare, absichtliche und zielbezogene Einflußnahme von bestimmten Personen - in der Regel Vorgesetzte - auf andere Personen - in der Regel Untergebene - in Organisationen verstehen läßt. Soziale Einflußprozesse werden selbstverständlich nicht nur in der Organisationspsychologie untersucht, sondern in vielen anderen Teildisziplinen der Psychologie. Als Schwierigkeit vergleichender Analysen stellt sich heraus, daß dieser Einfluß keineswegs in allen Teildisziplinen als "Führung" bezeichnet wird, sondern als Macht, Kommunikation, Sozialisation, Erziehung usw. Als Gemeinsamkeiten lassen sich mit Weinert (1989, S. 555) drei Punkte finden: "1) Führung ist ein Gruppenphänomen (das die Interaktion zwischen zwei oder mehreren Personen einschließt); 2) Führung ist intensionale soziale Einflußnahme (wobei es wiederum Differenzen darüber gibt, wer in einer Gruppe auf wen Einfluß ausübt und wie dieser ausgeübt wird, u.a.m.); 3) Führung zielt darauf ab, durch Kommunikationsprozesse Ziele zu erreichen." In der Organisationspsychologie wird von einer starken Asymmetrie dieser sozialen Einflußnahme ausgegangen. Es erscheint in nahezu allen organisationspsychologischen Theorien, empirischen Untersuchungen und daraus abgeleiteten Handlungsempfehlungen als weitgehend selbstverständlich, daß als Beeinflussender ein Vorgesetzter gilt, als Beeinflußter dagegen ein diesem Unterstellter.



Ein Modell der Führung

Für die organisationspsychologische Führungsforschung ist natürlich vor allem der Führungserfolg als abhängige Variable von höchstem Interesse. Allzu einfache Versuche, diesen zu erklären sind allerdings gescheitert. Weder konnten sog. "Führungseigenschaften" in generalisierender Weise einen befriedigenden Varianzanteil des Erfolgs erklären, noch gelang dies mit dem Konstrukt der Führungsstile. Psychologische Erklärungsversuche, die in einer monokausalen Betrachtungsweise den Führungserfolg ausschließlich zur Funktion überdauernder Persönlichkeitseigenschaften oder stabiler Verhaltensstile zu machen suchten (personalistische Führungstheorien), sind vor allem deshalb gescheitert, weil sie die Führungssituation nicht berücksichtigten. Dies hat dazu geführt, daß heute in nahezu allen wissenschaftlich fundierten Darstellungen der Führung die Situation thematisiert wird (Situationstheorien der Führung) .

Es wird erkennbar, daß das konkrete Führungsverhalten - wie anderes Verhalten auch - eine Funktion der Person und der jeweiligen Situation ist. Konkret bedeutet dies, daß ein Führungsstil bzw. spezifische Führungsverhaltensweisen nicht als Korrelat überdauernder Persönlichkeitsmerkmale interpretiert werden dürfen, die über unterschiedliche Situationen hinweg gleich sind, sondern daß dieselbe Führungskraft in verschiedenen Situationen auch verschiedene Verhaltensweisen zeigt und ein gleiches Verhalten keineswegs in allen Situationen zu einem gleichen Erfolg bzw. Mißerfolg führt.



Führungseigenschaften

Fragt man einen Laien, warum Führungskräfte erfolgreich sind, so wird in den meisten Fällen die Antwort im Hinweis auf überdauernde Persönlichkeitsmerkmale bestehen. Die Führungsforschung nahm derartige monokausale Erklärungsansätze zur Basis entsprechend simpler Forschungshypothesen und prüfte sie in der Regel auf eine der folgenden Weisen: a) Man untersuchte Inhaber von Führungspositionen und stellt fest, was sie von Mitarbeitern (vor allem den Geführten) unterscheidet. b) Man prüfte, ob und wie sich Inhaber von Führungspositionen voneinander unterscheiden: ob es also systematische Persönlichkeitsunterschiede zwischen "guten" (erfolgreichen) und "schlechten" (erfolglosen) Führern gibt. c) Man analysiert die Personen, die den Aufstieg aus eigenen Kräften schaffen oder als Führer anerkannt werden (Neuberger, 1990). Die Ergebnisse sehen meist so aus, daß eine Vielzahl von Eigenschaften mit dem Führungserfolg korrelieren, die gemeinsame Varianzaufklärung aber gering ist und die Streuung der Befunde von Studie zu Studie sehr viel größer ist als es auf Grund der Zufallsstreuung zu erwarten gewesen wäre. Diese Ergebnisse wurden meist dahingehend interpretiert, daß eine hohe Korrelation zwischen einem Persönlichkeitsmerkmal und dem Führungserfolg ja gar nicht zu erwarten sei, da der Führungserfolg auch von anderen Persönlichkeitsmerkmalen und von der Situation abhängig sei. Entsprechend bemühte sich die Führungsforschung um die Analysen einer Vielzahl relevanter Situationsmerkmale, die dann auch in sog. Situationstheorien der Führung ihren Niederschlag fanden. Dies führte im Extremfall dazu, den Führungserfolg ausschließlich aus der Situation oder bestenfalls noch aus dem durch die Situation stimulierten Rollenverhalten des Führenden erklären zu wollen. Das aber läßt sich angesichts aktueller Befunde oder Metanalysen nicht rechtfertigen.



Führungsverhalten

Überdauernde Persönlichkeitsmerkmale lassen sich als Dispositionen interpretieren, die in bestimmten Anregungssituationen zu einem für die Person kennzeichnenden beobachtbaren Verhalten führen. Dies hat in der Forschung dazu geführt, Vorgesetzte danach zu differenzieren, wie sich ihr Führungsverhalten voneinander unterscheidet, ob sie z.B. zu einem autoritären oder kooperativen Führungsstil neigen. Initiiert wurden derartige Untersuchungen durch das klassische Experiment von Lewin, Lippitt und White (1939) an amerikanischen Kindern. Besonders einflußreich waren dabei die Untersuchungen zu den Auswirkungen eines sog. "autoritären" im Vergleich zu einem "demokratischen" Führungsstil, was im Experiment durch eine geringe bzw. eine hohe Möglichkeit der "Geführten" zur Partizipation operationalisiert wurde. Dabei muß kritisch festgehalten werden, daß empirisch nicht überprüft wurde, ob es derart definierte Führungsstile, die hier im Rollenspiel gezeigt werden sollten, in der Praxis überhaupt gibt. Das Ergebnis des Experiments jedoch, daß nämlich der demokratische Führungsstil zu höherer Zufriedenheit und positiveren Einstellungen als der autoritäre führt, während die Auswirkungen auf die Leistung nicht so eindeutig zu sein scheinen, wurde vielfach rezipiert und das Experiment selbst in vielerlei Variationen wiederholt. Dabei zeigte sich, daß der kooperative Führungsstil (die Bezeichnung demokratisch hat sich nicht durchgesetzt, weil sie Gedanken an die Wahl des Führenden nahelegt) zwar in der Regel zu einer höheren Zufriedenheit, nicht aber zu besseren Leistungen führt.

Verwandt mit den Führungsstilexperimenten bzw. -untersuchungen sind jene Studien zum Führungsverhalten und dessen Auswirkungen, die von der Staatsuniversität von Ohio initiiert wurden (Ohio-Studien).



Die Führungssituation

Die für das Führungsverhalten wichtigen Theorien zeigen, daß gleiches Führungsverhalten keineswegs immer zu gleichen Effekten führt. Es kommt auch auf die Situation an. Dieses "Es kommt darauf an" ist ein in der Praxis bekannter und häufig gehörter Satz. In der Wissenschaft gibt es nun vielfältige Bemühungen darum, zu klären, auf was es ankommt. Daraus ist eine Vielzahl sog. Situationstheorien der Führung entstanden. Als Pionier darf Fiedler (1967) mit seiner Kontingenztheorie gelten, in deren Kernpunkt es darum geht, einen optimalen Fit zwischen dem Führenden und seiner Situation zu sichern, um hohe Leistung der geführten Gruppe wahrscheinlich zu machen. Fiedler empfiehlt für günstige oder ungünstige Situationen einen aufgabenorientierten, für mittlere Situationen einen mitarbeiterorientierten Vorgesetzten. Da diese motivationale Orientierung, als Persönlichkeitsmerkmal verstanden, nur schwer zu verändern sei, könne man das Ziel durch adäquate Personalselektion erreichen oder dadurch, daß man die Situation den Besonderheiten des Führenden angleicht. Die Kontingenztheorie ist vielfach kritisiert worden. Dennoch bleibt Fiedler das historische Verdienst, die Wissenschaft auf die Suche nach Moderatoren der Beziehung zwischen dem Führungsverhalten und dem Führungserfolg gebracht zu haben.



Führungspraxis

Die Organisationspsychologie muß sich auch daran messen lassen, ob ihre Forschungsbefunde den Organisationen und den in ihnen arbeitenden Menschen nützen. Angesichts der nahezu unbegrenzten Vielfalt unterschiedlicher Situationen in Organisationen und ihrer Unvergleichbarkeit und Komplexität können freilich keine Forschungsbefunde vorliegen, die in jeweils spezifischen Konstellationen wissenschaftlich begründete Handlungsempfehlungen geben können. Forschung generalisiert und geht stets von vereinfachten Situationsbedingungen aus. Dennoch kann die Organisationspsychologie ein inzwischen umfangreiches Hintergrundwissen liefern und wissenschaftlich begründete Sozialtechnologien anbieten, wie z.B. in den Bereichen Personalauswahl und Berufseignungsdiagnostik, Personalentwicklung und Organisationsentwicklung sowie bei der Präzisierung von Erfolgskriterien für Führungserfolg: Vielfach ist Führungskräften nicht deutlich, an welchen Kriterien ihr Verhalten und ihr Erfolg gemessen werden. Sie haben häufig Zweifel, ob die im Unternehmen kommunizierten Kriterien auch jene sind, die bei späteren Personalentscheidungen den Ausschlag geben. Dennoch erscheinen solche Indikatoren bedeutsam, da sie den Führenden über das informieren, was von ihm erwartet wird, von ihnen auch Motivationswirkung ausgeht und sie die Basis für Erfolgserlebnisse darstellen. Vernünftige Kriterien für die Bestimmung des Führungserfolges ließen sich aus der Zielsetzungstheorie, Kriterien für ein angemessenes Verhalten auf dem Weg zu den Zielen aus adäquaten Verfahren der Personalbeurteilung und der Aufwärtsbeurteilung gewinnen.



Führungsforschung und Führung in der Veränderung

Veränderungen hängen auf diesem Feld einmal damit zusammen, daß die Maschine als Metapher für die Organisation an Attraktivität bei den Forschern verliert und zum anderen damit, daß der bisher von der Führungsforschung allein auf den Führenden und sein Verhalten gerichtete Blick sich vermehrt den Geführten und der von Führenden und Geführten gemeinsam wahrgenommenen und gedeuteten Situation zuwendet. Diese Analyse der gemeinsamen Deutungen bestimmt nicht nur die Diskussion um die Unternehmenskultur, sondern auch die um die Wirkungen der Führung (symbolische Führung). Führung muß, will sie wirken, den Glauben der Geführten an die Bedeutung der Führung stabilisieren. Durch diesen Glauben wird erreicht, daß die Geführten der Führung vertrauen und deren Funktion legitimiert wird. Die jeweiligen Anforderungssituationen sind faktisch so komplex, daß rationale Entscheidungen in vielen Fällen gar nicht möglich sind. Innerhalb der mehrdeutigen und komplexen Welt sorgt der Führende für Gewißheit und Orientierung, obwohl es sich dabei nicht selten um Pseudogewißheit und Pseudoorientierung handelt. Der Führung kommt somit vermehrt die Aufgabe zu, trotz objektiver Widersprüche Akzeptanz für Führungsentscheidungen bei den Geführten zu sichern. In den traditionellen Modellen der Führung steht die führende Person im Mittelpunkt; die Geführten werden zu Objekten des Führungshandelns. Führung aber ist ein sozialer Interaktionsprozeß, der seine Wirkung in der Regel nur dann bei den Geführten entfalten kann, wenn diese aktiv mitwirken, z.B. durch Deutungen des Führungshandelns. Die Bedeutung der Geführten wird aber auch innerhalb der Konzepte transaktionaler und transformationaler Führung deutlich, innerhalb derer thematisiert wird, welche Austauschprozesse zwischen Führenden und Geführten ablaufen und wie diese sich wechselseitig verpflichten. Der Gegenstand der Führungsforschung ist zum einen fließend, verändert sich mit der Perspektive der Wahrnehmung und unterliegt allein schon deshalb, selbst wenn das Phänomen "objektiv" unverändert bliebe, einer potentiell hohen Veränderungsdynamik. Es ist aber zum anderen davon auszugehen, daß auch der Sachverhalt sich verändert. Man denke etwa daran, daß im Zuge der Globalisierung zunehmend mehr Führungskräfte ins Ausland entsandt werden oder mit Kollegen und Mitarbeitern aus anderen Kulturen kooperieren müssen, daß angesichts einer steigenden Erwerbsbeteiligung der Frauen im qualifizierten Bereich immer mehr von ihnen in Führungspositionen aufsteigen und männliche Führungskräfte zunehmend häufiger mit einer berufstätigen Partnerin verheiratet sind oder zusammen leben. Schließlich werden Führungskräfte aufgrund der wachsenden gesellschaftlichen Verantwortung der Unternehmen in den politische Diskurs involviert und haben dabei die Position des Unternehmens in den Medien zu vertreten. Angesichts einer von Menschen gemachten Welt, in der sich die Veränderungsprozesse immer rascher vollziehen, sind die Führenden in Organisationen zugleich Täter und Opfer dieser Dynamik. Für die Führungserforschung ergeben sich daraus stets neue Fragen. Das hat zur Folge, daß selbst methodisch gut gesicherte Befunde rasch veralten und von den Führungsforschern eine Flexibilität zu fordern ist, die in vielen Unternehmen auch den Führungskräften abverlangt wird.

Literatur

Gebert, D. & Rosenstiel, L. v. (1996). Organisationspsychologie. Stuttgart: Kohlhammer.

Graen, G. & Scandura, T. (1987). Theorie der Führungsdyaden. In A. Kieser, G. Reber & R. Wunderer (Hrsg.), Handwörterbuch der Führung (S. 377-389). Stuttgart: Poeschel.

Lewin, K., Lippitt, R. & White, R. K. (1939). Patterns of aggressive behavior in experimentally created social climates. Journal of Social Psychology, 10, 271-299.

Weinert, A. B. (1989). Führung und soziale Steuerung. In E. Roth (Hg.), Organisationspsychologie (Enzyklopädie der Psychologie; Bd. 3) (S. 552-577). Göttingen: Hogrefe.

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