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Psychologielexikon

Überarbeitete Ausgabe

Psychologielexikon

Einstellungen

Autor
Autor:
Julia Schneider-Ermer





Forschungsgeschichte

Der erste Forschungshöhepunkt der nunmehr bald 80-jährigen sozialpsychologischen Einstellungsforschung läßt sich auf den Zeitraum zwischen 1920 und 1930 zurückdatieren, in dem vor allem die Entwicklung von Verfahren zur Einstellungsmessung im Mittelpunkt stand. Ein zweiter Höhepunkt ist zwischen 1950 und 1960 nachweisbar, der sich thematisch um Probleme und Ergebnisse der Einstellungsänderung zentrierte und sowohl in der Theorieentwicklung, aber auch in empirischen Untersuchungen zur Entwicklung neuer Strategien und Techniken zu einer Vielzahl von Publikationen führte. Seit Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre gibt es in der Einstellungsforschung eine neuerliche Wende, die sich nicht mehr nur durch ein einziges Schwerpunktthema charakterisieren läßt. Nach Jahrzehnten relativer Bedeutungslosigkeit sind Probleme der Struktur und der Funktionen von Einstellungen, der Einstellungsintensität und der Einstellungs-Verhaltens-Relation wieder in das Zentrum der Forschung gerückt. Darüber hinaus hat das sowohl unter theoretischen wie empirischen und praxeologischen Aspekten gleichermaßen relevante Thema der Einstellungsänderung vor allem durch die stark anwachsende Literatur zum Thema Persuasion erneut an Bedeutung gewonnen.



Definitionen und Funktionen

Bei allen Schwierigkeiten, die angesichts der Fülle von Definitionen entstehen, um zu einer angemessenen Einstellungsdefinition zu kommen, stimmen die meisten Definitionen in der Regel darin überein, daß Einstellungen summarische Bewertungen sozialer Sachverhalte (oder "Objekte", zu denen dann Personen, Institutionen, Probleme, Gegenstände gezählt werden) sind. Den Versuch einer umfassenderen Definition haben Eagly und Chaiken (1993, S. 1) in ihrem voluminösen Standardwerk unternommen: "Eine Einstellung ist eine psychologische Tendenz, die dadurch zum Ausdruck gebracht wird, daß eine bestimmte Entität mit einem bestimmten Ausmaß an Zustimmung oder Ablehnung bewertet wird". Da sich individuelle Einstellungen, entgegen der Annahme älterer eindimensionaler Einstellungsmeßverfahren, nur selten als Punkt auf einem Einstellungskontinuum ansiedeln lassen, sondern einen ganzen Antwortbereich umfassen, entsteht das Problem einer angemessenen Repräsentation. Statt nun aber Einstellungen auf mehreren inhaltlich unterscheidbaren Dimensionen abzubilden, hat man an der Unterscheidung von formalen Komponenten festgehalten. Die traditionsreiche Unterscheidung dreier Einstellungskomponenten (affektiv, kognitiv, konativ) wird zugunsten einer zweidimensionalen Komponentenversion aufgegeben, bei der auf die konative Komponente, die insofern immer schon "Schwierigkeiten" bereitete, da sie sowohl konzeptuell wie empirisch von Verhaltensintentionen nur mit Mühe zu unterscheiden war. Neuere Untersuchungen zeigen, daß es durchaus so etwas wie stabile und gleichzeitig ambivalente Einstellungen gibt, da Einstellungen in der Regel bei Klassifikationen enden, die zu einer Pro- oder Contra- Kategorisierung führen.

Es gibt jedoch viele Einstellungen, bei denen die Entscheidung für eine positive oder negative Bewertung nicht eindeutig gefällt werden kann, da die unterschiedlichen Facetten der Einstellung eine unterschiedliche subjektive Bewertung implizieren. (z.B. die neue Umgehungsstraße, die innerstädtisch Lärm und Abgas- und Stauentwicklung vermeidet, andererseits aber zur Rodung von Waldgebieten und der Vernichtung von Biotopen führt). Einstellungen sind zusätzlich zu ihrer Mehrdimensionalität in ideologische Systeme eingebettet, die nicht nur aus generalisierten Einstellungen, wie Autoritarismus, Konservatismus, Ethnozentrismus oder Dogmatismus bestehen, sondern immer (hierarchisch) strukturiert und mit Werten, Normen und Verhalten verknüpft sind. Verweisen diese Strukturmerkmale von Einstellungen eher auf die soziale Verankerung von Einstellungen, so läßt sich andererseits ein florierender Forschungstrend ausmachen, der sich mit den personinternen Verarbeitungsmechanismen beschäftigt. In diesem Zusammenhang werden das Ausmaß der Zugänglichkeit von Einstellungen (Einstellungszugänglichkeit) oder aber ihre automatische Aktivierung, die sich einer direkten Kontrolle durch den Einzelnen entzieht, untersucht.



Messung

In der Regel kann man bei der Messung von Einstellungen auf bereits publizierte Skalen zurückgreifen, wie sie in entsprechenden Skalenhandbüchern angeboten werden. Für den deutschsprachigen Bereich empfiehlt sich dazu das von ZUMA herausgegebene dreibändige Skalenhandbuch, weitere Einstellungsskalen sind in den Bänden von Robinson, Shaver und Wrightsman (1991) zusammengestellt. Vor allem angesichts der immens anwachsenden Zahl von Umfrageergebnissen kann nicht eindringlich genug darauf hingewiesen werden, daß verbal abgefragte Einstellungen eine ganze Reihe von Fehlermöglichkeiten implizieren: Angefangen von der Stimmungsabhängigkeit der Einstellungsreaktionen über die indirekte Beeinflussung der Antwort durch die Gestaltung der Antwortskala (enthält die Skala z.B. eine neutrale Antwortkategorie, die "weder-noch" oder "weiß-nicht" heißt, oder sind die Antworten mit numerischen Ankern beschrieben, die z.B. von -5 bis +5 oder von 0-10 reichen) bis hin zu der durch die Reihenfolge der Items erzeugten Kontexteffekte (Schwarz, Groves & Schuman. 1998). Alternative Meßverfahren, wie psychophysiologische Verfahren, Beobachtungsverfahren und andere nicht-reaktive Meßverfahren, wie z.B. das Bogus-Pipeline-Verfahren, bleiben in ihrem Einsatz weit hinter der Häufigkeit des Einsatzes von Fragebögen, Skalen und Interviews zurück.



Einstellungsänderung

Schwierig wird die Aufgabe der Einstellungsforschung dann, wenn bestimmte Einstellungen geändert werden sollen. Einstellungsänderungsprogramme beinhalten mindestens zweierlei:

1) als Basis eine Theorie der Einstellung bzw. Einstellungsänderung und

2) eine Strategie, eine Technik oder ein Programm.

Fast sämtliche Einstellungstheorien - von denen es mit sämtlichen Varianten über 200 gibt - sind auch Theorien der Einstellungsänderung. Sie lassen sich in sieben verschiedene Gruppen einteilen, je nachdem welche Einstellungskonzepte oder Veränderungsprozesse sie zur zentralen Voraussetzung haben.

a) Die große Gruppe der Konsistenztheorien, zu der als prominenteste Theorie die Theorie der kognitiven Dissonanz zählt, implizieren ausbalancierte Einstellungsstrukturen als Zielgröße. Einstellungsänderungen sind durch Ungleichgewichte, widersprüchliche Informationen, Unvereinbarkeit von Einstellungen und Verhaltensweisen verursacht bzw. lassen sich induzieren.

b) Lerntheoretische Ansätze werden als die zweitgrößte Theorie-Gruppe sowohl für den Erwerb als auch für die Stabilisierung und Änderung von Einstellungen verwendet, wobei das Verstärkungsprinzip bei diesen Theorien eine entscheidende Rolle spielt. Eine Ausnahme bilden hier jene Ansätze, die den Erwerb und die Veränderung von Einstellungen über Soziales Lernen oder Modell-Lernen erklären, da Verstärkung in diesem Fall nur von untergeordneter Bedeutung ist.

c) Funktionale Ansätze betonen die Relevanz von Einstellungen für unser Alltagshandeln. Sie werden z.B. dazu verwendet, bei anderen einen bestimmten Eindruck zu erzeugen, zur Rechtfertigung unserer Handlungen und zur Aufrechterhaltung eines positiven Selbstbildes. Darüber hinaus wird ihnen aber auch die Funktion von Heuristiken zugeschrieben, d.h. solchen Urteilsstrategien, bei denen auf der Basis minimaler Informationen sehr schnell subjektiv sichere Entscheidungen gefällt werden.

d) Theorien der Informationsverarbeitung verstehen Einstellungen als die subjektive Integration von Informationen, die in mehr oder weniger großem Ausmaß emotional angereichert sind (Informationsverarbeitung).

e) Prozeßmodelle, die vor allem in der neueren Einstellungsforschung eine wichtige Rolle spielen, sind primär darauf ausgerichtet, für unterschiedliche Typen von Einstellungen - entscheidend ist in der Regel das persönliche Interesse und das Ausmaß an Betroffenheit - unterschiedliche Prozesse der Informationsverarbeitung, aber auch der Akzeptanz und Ablehnung von angebotenen Informationen, geltend zu machen.

f) Persuasionsmodelle beziehen sich vor allem auf Bedingungen der Einstellungsänderung in Abhängigkeit von den dargebotenen Kommunikationsinhalten. Sie spezifizieren z.B. die Bedingungen, unter denen es zu maximalen bzw. minimalen Einstellungsänderungen kommen kann, wie z.B. das Ausmaß an Glaubwürdigkeit, die induzierte Angst oder die Relevanz der Inhalte.

g) Theorien des sozialen Einflusses bilden eine Art "Schnittstelle" zwischen Einflußmodellen aus der Sozialpsychologie der Intergruppenbeziehungen und der Einstellungsforschung. Sie machen u.a. Aussagen darüber, durch welchen Argumentationsstil auch Minoritäten die Einstellungen von Majoritäten beeinflussen können oder in welchem Ausmaß durch die Zusammensetzung eines Publikums ein Akteur unter Druck gesetzt werden kann. Unter den neueren Einstellungstheorien ist vor allem das Elaboration Likelihood Model (ELM) zu nennen, ein Prozeßmodell, mit dem sich Einstellungsänderungen je nach Relevanz des Einstellungsinhalts beschreiben und erklären lassen. Eine Einstellungsänderungstechnik, die sich als relativ erfolgreich erwiesen hat, besteht darin, Personen dazu zu bringen, einer kleinen Bitte oder Gefälligkeit zuzustimmen, um dann, nachdem man auf diese Weise "einen Fuß in der Tür hat", die eigentliche, aber wesentlich umfangreiche oder größere Bitte vorzutragen (Fuß-in-der-Tür-Technik). Das bloße Nachdenken über die eigene Einstellung (mere thought) führt in der Regel zu einer Polarisierung der eigenen Einstellung, so daß leicht positive bzw. negative Einstellungen deutlich positiver bzw. negativer werden. Auch die bloße Wiederholung (mere exposure) dargebotener Einstellungsreize führt in der Regel zu einer positiveren Wertschätzung. Verhalten, das Personen unter normalen Umständen freiwillig ausführen, läßt sich in seiner Auftretenswahrscheinlich drastisch reduzieren, wenn es zusätzlich noch belohnt wird (overjustification effect). Versucht man andererseits, den Verhaltensspielraum von Personen einzuengen oder ihnen bestimmte Verhaltensweisen gänzlich untersagt, dann führt dies bei fast allen Personen zu einem motivationalen Zustand, der als Reaktanz bezeichnet wird und der die Personen dazu aktiviert, große Anstrengungen zu unternehmen, um den verlorengegangenen Freiraum wiederzuerlangen (umfassende Darstellung s. Zimbardo & Leippe, 1991).



Einstellung und Verhalten

Nicht zuletzt ist die möglichst präzise Bestimmung der Relation von Einstellung und Verhalten und die Prädiktorfunktion von Einstellungen für Verhaltensintentionen und Verhalten eine wichtige Legitimation für die gesamte Einstellungsforschung, die für eine ganze Reihe von Lebensbereichen, ein breites Spektrum an Untersuchungen vorweisen kann. Inzwischen lassen sich aufgrund von Metaanalysen (Six & Eckes, 1996) fundiertere Einschätzungen über die Einstellungs-Verhaltens-Relationen abgeben. So sind die gemittelten Korrelationen zwischen Einstellungen und Verhalten in neueren Meta-Analysen größer als r = .36 und zwischen Einstellungen und Verhaltensintentionen größer als r = .40. Nicht zuletzt durch die beiden in diesem Bereich dominierenden Theorien, der Theorie des überlegten Handelns und des geplanten Verhaltens, ist dieser Bereich der Einstellungsforschung vom Trauma seiner "skandalös geringen" Übereinstimmung befreit worden. Inzwischen gibt es im Bereich der Einstellungs-Verhaltens-Forschung zwar an die 20 verschiedenen Theorien, dennoch sind diese beiden Modelle mit Abstand am erfolgreichsten, gemessen an ihrer Vorhersageleistung. Besteht die Funktion dieser Modelle primär darin, unter Berücksichtigung der Einstellungsvariable Handlungen und Verhalten vorherzusagen, so gibt es eine Reihe weiterer Modelle und Ansätze, die die Moderatoren der Relation zwischen Einstellung und Verhalten zum Gegenstand ihrer Untersuchung machen. Das von Fazio (1990) vorgeschlagene MODE-Modell ist sowohl in der Lage, Verhalten zu erklären, das spontan auftritt und für das Einstellungen nur von untergeordneter Bedeutung sind, als auch Verhalten zu erklären, das Entscheidungsprozesse voraussetzt, bei denen die Alternativen möglichst rational abgewogen werden. Seit mehreren Jahren befindet sich die Einstellungsforschung in Hochblüte, dennoch wird man bei genauerem Hinsehen bei aller Euphorie auch an solche Themen zu erinnern haben, die nicht auf dem derzeitigen Wellenkamm der Publikationswogen anrollen: die Entstehung und Entwicklung von Einstellungen, ihre über Längsschnittuntersuchungen zu erfassenden Veränderungen und die Verbesserung der Techniken zur Einstellungsmessung stehen derzeit nicht auf der Agenda.

Literatur

Eagly, A.E. & Chaiken, S. (1993) The psychology of attitudes. Fort Worth, TX: Harcourt Brace Jovanovich.

Fazio, R.H. (1990). Multiple processes by which attitudes guide behavior. In M.P. Zanna (Ed.), Advances in experimental social psychology (Vol. 23, pp. 75-109). New York: Academic Press.

Robinson, J.P., Shaver, P.R., & Wrightsman, L.S. (1991). (Eds.), Measures of personality and social psycholopgical attitudes. San Diego, CA: Academic Press.

Schwarz, N. , Groves, R.M., Schuman, H. (1998). Survey Methods. In D.T. Gilbert, S.T. Fiske, G. Lindzey (Eds.), The handbook of social psychology (Vol. I, pp. 143-179). Boston, MA: McGraw-Hill.

Six, B. & Eckes,T. (1996). Metaanalysen in der Einstellungs-Verhaltens-Forschung. Zeitschrift für Sozialpsychologie, 27, 7-17.

Zimbardo, P.G. & Leippe, M. R. (1991).The psychology of attitude change and social influence. New York. McGraw-Hill.


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