Stand der Ernährungspsychologie
Schon bevor es die Ernährungspsychologie gab, befaßte sich die Psychologie vereinzelt auf dem Hintergrund unterschiedlicher Theorien mit psychologischen Fragestellungen, die mit Ernährung und Verzehr zusammenhingen. Ernährungspsychologie ist ein junger Zweig der Angewandten Psychologie. In den 70er Jahren entwickelten Pudel und Diehl die ersten empirischen und theoretischen Ansätze einer Psychologie des Essens und Trinkens. Diehl gab 1978 einen Überblick über den Stand der sozialwissenschaftlich orientierten Forschung zum menschlichen Ernährungsverhalten. 1990 veröffentlichte Diedrichsen das erste deutschsprachige Lehrbuch der Ernährungspsychologie. Eine Einführung in die Ernährungspsychologie erschien 1991 von Pudel und Westenhöfer. Ernährungspsychologie wird bisher nur vereinzelt an deutschen Universitäten angeboten. In Hohenheim wurde zum Wintersemester 1994/95 die erste planmäßige Professur für Ernährungspsychologie (ohne Ausstattung) eingerichtet. Die ernährungspsychologische Literatur ist in den deutschsprachigen Ländern im Gegensatz zum englischsprachigen Raum noch nicht sehr umfangreich und außerdem ziemlich verstreut. Zur Zeit gibt es weder eine deutsche Zeitschrift für das Fachgebiet Ernährungspsychologie noch eine "Fachgruppe Ernährungspsychologie" bei der Deutschen Gesellschaft für Psychologie.
Gegenstand der Ernährungspsychologie
Ernährungspsychologie befaßt sich mit der Untersuchung und Beeinflussung erwünschten und gestörten ernährungsbezogenen Verhaltens von Individuen, Gruppen oder der gesamten Bevölkerung. Im Mittelpunkt steht die Analyse von Beweggründen für das Essen und Trinken, wie z.B. Gewohnheiten, Einstellungen und Werthaltungen. Ernährungspsychologie versucht, Menschen durch Ernährungserziehung möglichst frühzeitig gesunde Ernährungs- und Eßgewohnheiten zu vermitteln, um Wohlbefinden, Leistungsfähigkeit und Lebensfreude durch einen ernährungsbewußten Lebensstil zu fördern und zu erhalten sowie ernährungsabhängige Krankheiten zu verhüten.
Schwerpunktmäßig untersucht die Ernährungswissenschaft biologische und die Ernährungspsychologie psychosoziale Determinanten der Nahrung und Ernährung. Ernährungswissenschaft und Ernährungsmedizin, die eng miteinander verbunden sind, formulieren gesichertes Wissen über Ernährung für gesunde und kranke Menschen. Die Beratungspraxis muß die komplexen Bedingungen des menschlichen Erlebens und Verhaltens berücksichtigen und ist deshalb auf Ernährungspsychologie angewiesen. Zur Zeit werden die Möglichkeiten der Ernährungspsychologie besonders in der Ernährungsberatung nur unzureichend genutzt.
Ernährung und Fehlernährung
Vertreter gesundheitspolitisch wichtiger Bereiche, wie "Public Health" sowie Präventiv- und Sozialmedizin, appellieren an Einzelpersonen und Bevölkerungsgruppen, sich gesund zu ernähren. Die Ernährungsweise eines Menschen, der in 70 Jahren ungefähr 1400 mal sein Gewicht ißt, ist Ausdruck seines Lebensstils und beeinflußt die Gesundheit in hohem Maße. Naturwissenschaftlich gesehen ist Ernährung die Zufuhr und Aufnahme der zum Aufbau und zur Erhaltung des Organismus notwendigen Flüssigkeit und festen Nährstoffe (Eiweiß, Fett, Kohlenhydrate, Salze, Vitamine, Spurenstoffe) aus Lebensmitteln pflanzlicher und tierischer Herkunft. Die Ernährung des Menschen erfüllt jedoch nicht nur biologische, sondern auch psychosoziale Funktionen.
Die vollwertige Ernährung (Ernährung, vollwertige) hat für die Entwicklung des Menschen eine grundlegende Bedeutung, weil sie sich positiv auf die Befindlichkeit und Leistungsfähigkeit auswirkt. Chronische Fehlernährung (in Form von Über-, Unter- oder Mangelernährung) führt zu körperlichen und seelisch-geistigen Beeinträchtigungen. Fehlernährung ist das größte Gesundheitsrisiko beim Essen und eine wesentliche Ursache für die Entstehung von ernährungsabhängigen Krankheiten (Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs, Schlaganfall, Diabetes mellitus, Arteriosklerose), die in Deutschland Kosten von über 100 Milliarden DM pro Jahr verursachen.
Herz-Kreislauf-Erkrankungen stehen an erster Stelle der Todesursachen. Damit hängen folgende Risikofaktoren zusammen: Rauchen (Nikotin), Bluthochdruck (Hypertonie, essentielle), erhöhte Cholesterinwerte, schlechte Eßgewohnheiten, mangelnde körperliche Betätigung und Streß. In westlichen Industrieländern sind aufgrund des Überflusses Übergewicht und Adipositas die zentralen Ernährungsprobleme. Die Ernährung entspricht im allgemeinen weder dem individuellen Bedarf noch den Umwelterfordernissen.
Ernährungsverhalten und Ernährungsstil
Unter Ernährung ist nicht nur ein auf die Nahrungsaufnahme gerichtetes Verhalten zu verstehen, das den physiologischen Bedarf optimal decken soll. Die Erforschung des Ernährungsverhaltens gestaltet sich komplexer, weil auch eine Vielzahl von nichtbiologischen Merkmalen die Nahrungsaufnahme beeinflußt. So wirken z.B. psychosoziale, soziokulturelle und ökonomische Faktoren ebenfalls auf ernährungsbezogenes Verhalten ein. Menschliche Aktivitäten im Hinblick auf Nahrung und Ernähren sowie Essen und Trinken sind tradiert und hängen von religiösen, familiären und kulturellen Einflüssen ab. Deshalb kann das individuelle Ernährungsverhalten nicht analysiert werden, ohne die Gesamtsituation des Menschen in seiner sozialen Umwelt zu berücksichtigen.
Der Nährwert der Nahrung läßt sich nicht von ihrer psychologischen Genußkomponente trennen. Denn das Nahrungsbedürfnis zielt nicht nur auf Befriedigung von Hunger und Durst, sondern in unserer Erlebnisgesellschaft auch auf die Befriedigung von Appetit und Genuß. Die Genußfähigkeit des Menschen ist neben Wohlbefinden, Lebenszugewandtheit, Selbstverwirklichung, Lebensfreude und Spaß ein wesentliches Kriterium für Gesundheit.
Das Bedürfnis nach Nahrung ist primär eine biologische Notwendigkeit, die der Lebenserhaltung und dem Wachstum dient. Daneben entstehen psychosoziale Antriebe, die im Sozialisierungsprozeß (Sozialisation) erlernt werden. Das Eß- und Trinkverhalten ist kulturspezifisch und wird durch soziales Lernen geprägt. Aufgrund von Lernprozessen erwirbt der Mensch viele Erfahrungen zu seiner ursprünglich biologischen Ausstattung hinzu, die ebenfalls das menschliche Eß- und Trinkverhalten bestimmen.
Bei Verbrauchern ist Essen und Trinken vorwiegend mit Emotionen, Ernähren hingegen mit Wissen assoziiert. Die Deutschen verzehren heute vor allem genußorientiert und stellen hohe Qualitätsansprüche an Lebensmittel, besonders was den Geschmack angeht. Unter den fitneß- und leistungsbewußten Menschen verbreitet sich immer stärker die Fit & Fun-Ernährung. Nach Aussagen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung lassen sich die aktuellen Eßtrends mit folgenden Schlagwörtern charakterisieren: vollwertig - Convenience - Gourmet. Der Ernährungsstil der "Ernährung 2000" wird gesundheitsbewußt, genußorientiert und unkompliziert sein und die gesundheitsorientierte Ernährung zum Lebensstil werden.
Wenn Menschen wiederholt versuchen, aufgrund des aktuellen Schönheitsideals (junger, sportlicher und schlanker Körper) ihr Körpergewicht durch extreme Diät zu kontrollieren, können daraus Eßstörungen (Anorexia nervosa, Bulimia nervosa) resultieren, deren Häufigkeit besonders in Industrieländern in den letzten 20 Jahren zugenommen hat.
Ernährungstheorien und Verhaltensmodifikation
Die Ernährungspsychologie strebt langfristig gesehen danach, psychologische Theorien über das Ernährungsverhalten bzw. das Essen und Trinken zu entwickeln. So interessieren z.B. besonders die psychologischen Faktoren, die den Beginn, die Aufrechterhaltung und die Beendigung der Nahrungsaufnahme lenken. Wenn die Steuerungsmechanismen des Essens und Trinkens hinreichend bekannt sind, kann unerwünschtes Eß- und Trinkverhalten gezielter geändert werden. Schwerpunktmäßig ist die Ernährungspsychologie auf primärePrävention ausgerichtet, denn Gesundheit soll möglichst mit Hilfe präventiver Strategien erhalten und nicht nur durch kurative Maßnahmen wiederhergestellt werden (Gesundheitspsychologie). Das Hauptgewicht der deutschen ernährungspsychologischen Forschung liegt seit Jahren auf dem Gebiet der Eßstörungen. Hauptanliegen der Ernährungspsychologie sollte es jedoch zunächst sein, das normale Essen und Trinken genauer zu untersuchen.
Die Komplexität der Zusammenhänge auf dem Gebiet der Ernährung ermöglicht es zur Zeit noch nicht, detaillierte Aussagen darüber zu machen, wie Nahrung auf Erleben und Verhalten wirkt. Auch über spezifische Auswirkungen alternativer Ernährungsformen gibt es kaum Untersuchungen. Erst ein erheblicher Forschungsaufwand und Wissenszuwachs werden dazu führen, fundierte Theorien über das Essen und Trinken zu entwerfen. Nur die genaue Analyse des menschlichen Essens und Trinkens erlaubt verläßliche Vorhersagen des Ernährungsverhaltens und damit dauerhafte Verhaltensmodifikationen.
Das Wissen um gesunde Ernährung allein löst noch keine Ernährungsprobleme. Dazu gehört das Befolgen von Ernährungsempfehlungen (compliance). Zusätzlich zum Ernährungswissen sind besonders Motivationsvariablen und Situationsbedingungen des Ernährungsverhaltens zu erforschen. Dazu bedarf es der Entwicklung interdisziplinärer Kooperationsformen zwischen Ernährungsfachleuten. Vorerst bleibt die grundsätzliche Schwierigkeit bestehen, Menschen zu motivieren, vorhandenes Ernährungswissen im Alltag umzusetzen und einen gesunden Lebensstil zu verwirklichen .
Literatur
Diedrichsen, I. (1990). Ernährungspsychologie. Berlin: Springer.
Diedrichsen, I. (1993). Ernährungsberatung. Göttingen: Hogrefe/Verlag für Angewandte Psychologie.
Diedrichsen, I. (1995). (Hrsg.). Humanernährung. Darmstadt: Steinkopff.
Diehl, J.M. (1986). Ernährungspsychologie (3. Aufl.). Eschborn: Fachbuchhandlung für Psychologie.
Logue, A.W. (1995). Die Psychologie des Essens und Trinkens. Heidelberg: Spektrum.
Pudel, V. & Westenhöfer, J. (1998). Ernährungspsychologie (2. Aufl.). Göttingen: Hogrefe.
1. Vielseitig - aber nicht zu viel
2. Weniger Fett und fettreiche Lebensmittel
3. Würzig - aber nicht salzig
4. Wenig Süßes
5. Mehr Vollkornprodukte
6. Reichlich Gemüse, Kartoffeln und Obst
7. Weniger tierisches Eiweiß
8. Trinken mit Verstand
9. Öfter kleinere Mahlzeiten
10. Schmackhaft und nährstoffschonend zubereiten
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