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Psychologielexikon

Überarbeitete Ausgabe

Psychologielexikon

Freundschaft

Autor
Autor:
Katharina Weinberger

eine enge zwischenmenschliche Beziehung, die einzig auf Sympathie und gegenseitigem Verständnis beruht. Die Wahl eines Freundes wird nicht durch Verwandtschaft, aber auch nicht durch räumliche Nähe, gemeinsame Arbeit, gemeinsame Ziele oder gar materielle Interessen vorbestimmt. Hierdurch unterscheiden sich Freunde von Kameraden oder Genossen. Obwohl das Wort »Freund« oft in einem sehr weiten, verwachsenen Sinne benutzt wird, bezeichnet es doch eigentlich einen Menschen, zu dem innige Paar-Beziehung besteht. Man will einander ergänzen und sich unverbrüchliche Treue halten. Die Freundschaft wird anders eingeschätzt als die Liebe. Vor allem scheint sie von sexueller Begierde frei zu sein. Deshalb gilt weithin eine Freundschaft nur möglich zwischen Männern oder zwischen Frauen. Vielfach will man miteinander gerade die seelischen Regungen und die Neigungen teilen, für die man beim anderen Geschlecht kein Interesse oder Verständnis erwartet. Man wendet dem Freunde zu, was in der gegengeschlechtlichen Liebe keinen Platz zu haben scheint. Im Grunde sind es die homosexuellen Tendenzen, die hier ausgedrückt werden. Sie sind ja in jedem Menschen angelegt, wenn auch in verschiedener Stärke. Meist begünstigt die Erziehung nur die heterosexuellen Anlagen, und die Homosexualität wird teils verdrängt, teils sublimiert. Ihre wichtigste Sublimierung ist eben die Freundschaft. Bei Männern und Frauen, die ihre Homosexualität bis zur vollen sinnlichen Befriedigung offen ausleben, wird die sexuelle Liebe oft von Freundschaft begleitet. Selbst in der Antike, die eine Verachtung der Homosexualität nicht kannte, galt eine Sublimierung zu begierdeloser, »platonischer« Liebe als ideal. Viele große Männer, von denen wir wissen, daß sie mehr dem eigenen Geschlecht als dem Gegengeschlecht zuneigten, haben sich wahrscheinlich auf eine ideelle Homosexualität beschränkt (z. B. Leonardo da Vinci). Das schließt gegenseitige Zärtlichkeiten nicht aus. Noch heute scheuen sich nur in den germanischen Ländern Europas und in den Vereinigten Staaten die Männer, mit dem Freunde Zärtlichkeiten zu tauschen. Bei den romanischen Völkern kann man sich umarmen und sogar küssen, ohne Verdacht zu erregen. Frauen ist der Austausch von Zärtlichkeiten mit der Freundin allenthalben erlaubt. Auch die offene Homosexualität wird ja bei Männern stärker verurteilt als bei Frauen. Gerade in diesen Unterschieden zeigt sich, wie nahe die Freundschaft der Sexualität steht. Die Libido, die ja auch ein Verlangen nach Liebe ist, regiert beide. Ein anderes Anzeichen für die Nachbarschaft liegt darin, daß Männer so oft auf die Freundinnen ihrer Frauen, Frauen so oft auf die Freunde ihrer Männer eifersüchtig sind und die Beziehung mit Argwohn betrachten. Die Schranken, die eine Freundschaft zwischen Mann und Frau hemmen, sind freilich zu einem guten Teil in den unterschiedlichen Geschlechts-rollen begründet. Die Frauen haben früher eine völlig andere Erziehung genossen als die Männer und konnten schon deshalb deren Interessen nicht teilen. Die Männer galten als die Überlegenen, und eine Freundschaft ist eigentlich nur zwischen Gleichberechtigten möglich. Unter heutigen Umständen ist also der Weg zu zwischengeschlechtlicher Freundschaft leichter zu finden. In ihr könnten sich die »weiblichen« Züge des Mannes mit denen der Frau, die »männlichen« der Frau mit denen des Mannes verknüpfen. In vielen Ehen wird so die Freundschaft neben die Liebe treten und die Dauer wie die Bedeutung der Gemeinschaft vertiefen.

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