heißt in der Tiefenpsychologie der Vorgang, durch den wir vergessen, was wir nicht wahrhaben wollen, weil es unser Selbstgefühl stört. Man erspart sich dadurch die Auseinandersetzung mit Problemen und die Schwierigkeit, sich in einem Dilemma bewußt zu entscheiden. So bleibt der Konflikt ungelöst. Zwar beschäftigt er uns nicht mehr bewußt, aber er schwelt unkontrolliert weiter. Er kann sich dem Wandel der äußeren Umstände nicht anpassen, sondern erhält sich unverändert. In Träumen, in Fehlleistungen, in Neurosen oder psychosomatischen Krankheiten macht er sich mehr oder weniger unerkannt geltend. Immer handelt es sich im Grunde um einen Konflikt zwischen unseren Triebwünschen und den Regeln, die uns die Mitmenschen auferlegen. Wir müssen diese Gebote und Verbote befolgen, wenn wir nicht die Liebe unserer Nächsten und mit ihrer Achtung auch unsere Selbstachtung verlieren wollen. Entscheidend hatten wir in der frühen Kindheit zu lernen, daß man vieles nicht tun darf, was man eigentlich tun möchte. Die Sexualtriebe, die wir auf die Welt mitbringen, werden geformt und eingedämmt. Die Liebe des Kindes zum gegengeschlechtlichen Elternteil wird tabuiert. Auch die Aggression wird gezähmt, abgelenkt und zum Teil gegen das eigene Ich gelenkt. Das Kind fügt sich nicht einfach diesen Geboten, deren Sinn es nicht einsehen kann; es rebelliert immer wieder. Nur sehr allmählich begreift es, daß die Welt nicht so ist, wie sie sich dem Wunschdenken zeigt, und daß man die Realität anerkennen muß, auch wenn das heißt, auf Lustgewinn zu verzichten. Auch diese Einbuße wird niemals ganz akzeptiert. Der Widerstand bleibt in der Verdrängung erhalten. Der Kampf zwischen Trieb und Realitätsgehorsam ist so heftig, daß gewöhnlich der Erwachsene die ganze Periode seiner frühen Kindheit (mit wenigen, merkwürdigen und vereinzelten Ausnahmen) vergessen hat. Die Verdrängung löscht sowohl die Triebrebellion wie auch die Bemühungen um Gehorsam aus dem Gedächtnis. So wirkt das Ergebnis der Erziehung als selbstverständlicher Besitz, der immer schon dagewesen sei. Nur im Unbewußten bleiben die Spuren des Kampfes für immer eingegraben. Daß nichts wirklich vergessen worden ist, zeigen manche Traumelemente und die Möglichkeit, mit Hilfe der freien Assoziation die Erinnerung wieder zu beleben. Freud nahm an, daß alle Verdrängungen in jedem Einzelleben einer »Urverdrängung« folgen, die sich in der Frühzeit der menschlichen Geschichte ereignet hat. Er sah das im Zusammenhang mit der Aufrichtung des Menschen, aus der sich die Scham und die Zurückdrängung der Geruchsreize ergab. Der Mensch sucht seither zu vergessen, daß er von den Tieren abstammt. In einer späteren Phase der kulturellen Entwicklung mag sich zum ersten Mal der Kampf zwischen Vätern und Söhnen abgespielt haben (vgl. Totem), der seitdem zum Muster des Konfliktes geworden ist, den die Psychoanalyse mit den Begriffen »Oedipus-Situation« und »Kastrations-Komplex« umschreibt. Diese Probleme liegen gleichsam bereit und werden in jedem Leben neu aufgerufen. Ihre Wirkungen sind aber ebenfalls aus dem Bewußtsein verdrängt, so wichtig sie auch unbewußt bleiben. Doch die Verdrängung erhält nicht nur die Probleme, statt sie zu lösen, sie kostet auch eine zusätzliche Kraft. Denn das Verdrängte drängt seinerseits ans Bewußtsein; es muß niedergehalten werden, damit es uns nicht erneut verstört. Die Anstrengung, die dieser Widerstand fordert, muß manchmal so groß sein, daß kaum noch Kraft bleibt, um die eigentlichen Lebensaufgaben zu lösen. Die psychoanalytische Therapie hat zum Ziel, die Verdrängungen aufzuheben, die Konflikte dahinter wieder bewußt zu machen und damit die Möglichkeit zu schaffen, sie in vernünftiger Einsicht zu lösen.Der wichtigste Abwehrmechanismus, bei dem ein oder mehrere Vorstellungsinhalte, die einen Triebwunsch, ein seelisches Trauma oder ein angsteinflößendes Schuldgefühl verkörpern, dem Bewußtsein unzugänglich gemacht werden. Entwicklungsgeschichtlich betrachtet, ist die Verdrängung wohl ein Preis, den der Mensch für seine ausgebildeten Fähigkeiten zur Einsicht und zum Denken zahlen muß. Sie ermöglichen es ihm, innerhalb seines Organismus durch die Tätigkeit der Phantasie innere Situationen zu gestalten, die als ähnlich verletzend, angsteinflößend und belastend erlebt werden können wie von außen kommende seelische Traumen (Verlassenwerden durch die Mutter, schockhafte körperliche Verletzungen). Gegen diese Belastungen wirkt die Verdrängung. In den meisten Fällen erspart sie dem Organismus erhebliche Anstrengungen, die eine Auseinandersetzung mit den verdrängten Inhalten mit sich brächte. Das gilt vor allem für die Kindheit, in der das Ich solchen Auseinandersetzungen kaum gewachsen ist und die ungeheure Lernlcistung der Sozialisation den seelischen Apparat bis an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit beansprucht. Für die Entstehung von Neurosen sind Verdrängungen verantwortlich, welche diesen Schutzmechanismus so überfordern, daß sie nicht dauernd ohne Einbußen der Leistungsfähigkeit des Betroffenen aufrechterhalten werden können. In Belastungssituationen der Versuchung oder Versagung, bei einem drohenden Verlust einer wichtigen Person und ähnlichen Anlässen kann die Verdrängung nur dadurch aufrechterhalten werden, daß Symptome entstehen, die zum Beispiel ein erneutes Auftreten der Versuchung verhindern (eine gelähmte Frau ist von der Gefahr befreit, über ihre Heiratsabsichten mit ihrem Schwager nachzudenken).
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