»Auslese«, eine Führungsschicht. Freud mahnte: »Man müßte mehr Sorge als bisher aufwenden, um eine Oberschicht selbständig denkender, der Einschüchterung unzugänglicher, nach Wahrheit ringender Menschen zu erziehen, denen die Lenkung der unselbständigen Massen zufallen würde.« Tatsächlich ist die Elite meist von den Mitgliedern des erblichen Adels oder von Vasallen eines Mächtigen oder von den Abkömmlingen wohlhabender Familien gestellt worden. Für gewisse Führungspositionen war ein Bildungsstand erforderlich, der den Volksmassen vorenthalten wurde. Da die Elite nur wenig aus anderen Schichten ergänzt wurde, entfernte sie sich von denen, die sie hätte führen müssen. Sie stand in der Gefahr des Verfalls, und die Selbstverständlichkeit im Besitz der Macht verführte zum Mißbrauch. Eine interessante Ausnahme ist die Ergänzung der Führungsschicht in der katholischen Kirche. Durch das Gebot der Ehelosigkeit konnte es kaum zu familiären Macht-Cliquen kommen, und man konnte oder mußte immer wieder »aus dem Volk schöpfen«. Auf diese Weise konnte die Kirche die verschiedensten Talente in ihren Dienst stellen. Viele Führungspositionen sind nur von Menschen zu erreichen, die Macht zu erlangen und auszuüben wissen. Dazu gehört eine gewisse Skrupellosigkeit, die das moralische Recht zur Führung infrage stellt. Wo die Macht über Massen wichtig wird, versucht man sie meist durch Verfügung oder Demagogie zu erlangen. Mit der wachsenden Bedeutung von Handel und Industrie steigt auch die Bedeutung der Wirtschaftsführer, die vor allem in der kapitalistischen Gesellschaftsordnung ohne viel Aufsehen mehr Macht ausüben als die Politiker, die im Rampenlicht stehen. Ihr Leitmotiv ist der Profit, der in der offiziellen Moral kaum als Wert gilt. Den eigentlich Mächtigen steht die Elite der Wissenschaftler gegenüber, deren Spezialwissen sie ebenfalls von den Interessen und dem Verständnis der Gemeinschaft entfernt. Sie können meist ihre Kenntnisse nur verwerten, indem sie zu Funktionären der Herrschenden werden. In allen Führungspositionen müssen Interessen der jeweiligen Elite verfochten werden, die eine Unabhängigkeit des Handelns und sogar des Denkens erheblich einschränken. Platon träumte von einem Staat der Philosophen; aber es fragt sich, ob Denker zum Handeln als Führer taugen. Wenn sie zu Führern werden, würden wohl auch sie dem Interesse an ihrer Macht erliegen und dem Dünkel ausgesetzt sein, durch den jede etablierte Elite gefährdet ist. Die Herrschaft einer idealen Elite, wie Platon und Freud sie sich vorstellten, ist auf absehbare Zeit ebensowenig zu realisieren wie das Gegenbild einer »direkten Demokratie«, in der Herrschaft schließlich von selbst überflüssig wird.
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