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Psychologielexikon

Überarbeitete Ausgabe

Psychologielexikon

Bürger

Autor
Autor:
Werner Eberlein

zunächst die Bewohner einer Stadt, im Schutz einer Burg, zum Unterschied von der Landbevölkerung, den Bauern. Zugleich bildeten die Bürger eine besondere Klasse, die gegen die Vormacht des Adels aufbegehrte und sich doch auch der Schicht der Besitzlosen (Proletariat) überlegen fühlte. Mit dem Anwachsen von Handwerk, Handel und Industrie wuchs die Bedeutung des Bürgertums, das schließlich im 19. Jahrhun fiert den Ton angab. Es gliederte sich in die Großbourgeoisie, die durch den Besitz der Fabriken usw. zur herrschenden Klasse wurde, und das Kleinbürgertum der Handwerker, Beamten, Angestellten. Zwischen beiden entwickelte sich die Schicht der selbständigen Berufe, Anwälte, Ärzte, mittleren Unternehmer. Durch das Bürgertum insgesamt galten etwa die gleichen Sitten und Normen. Heute prägt die Mittelschicht im weitesten Sinne so sehr das Bild der Gesellschaft, daß sich zu ihr die weitaus meisten Menschen rechnen, auch die, die eigentlich darüber oder darunter stehen. Das Bürgertum grenzte sich ebenso gegen die feudalen Normen des Adels wie gegen die »Libertinage« der Boheme, vor allem aber gegen die Unterschicht ab. Zugleich bildete es einen kultivierten und freieren Lebensstil aus, als er der Landbevölkerung möglich war. Nur durch Leistung als Arbeit und Disziplin konnten die Bürger ihre Stellung verbessern und behaupten. Die städtische Umwelt brachte eine Trennung der Männer, die in Werkstätten, Büros und Fabriken für den Lebensunterhalt der Familie arbeiten mußten, von ihren Frauen und Kindern. Beides bedeutete eine Entfernung von der Natur. Das Streben nach Geltung, das auch in »seriöser« Kleidung, einer besonderen Wohnkultur, in allerlei Status-Symbolen und im Drängen nach besserer Schulbildung der Kinder ihren Ausdruck fand, führte zu einer Einschränkung des Gefühlslebens und neuer Abhängigkeit. Leistung schien unmöglich ohne gewisse Verzichte. So gehörten Sparsamkeit bis zur Askese zu den Bürgertugenden. Das schloß sexuelle Triebunterdrückung ein, die man offenbar nur dann für durchsetzbar hielt, wenn man die Tatsachen der Sexualität selbst so weit als möglich verdrängte. Die sexuelle Liberalisierung der Gegenwart hängt unter anderem damit zusammen, daß im Zeichen der Konsumgesinnung auch die Sparsamkeit, der Verzicht, kein Wert mehr sein soll. Nach Ansicht mancher Soziologen befinden wir uns seit Jahrzehnten im Übergang von einer bürgerlichen zu einer Massen-Gesellschaft, in der beinahe alle Schichten an ein übergreifendes Einverständnis gebunden werden. Das Wort »Bürger« soll nun nicht mehr eine »Klasse«, sondern alle Angehörigen des Staates bezeichnen. Man soll sich nicht mehr mit seiner Schicht, sondern gleichsam mit jedermann identifizieren. Charakter, eigentlich: »das Geprägte«, die Summe der Eigenschaften, Fähigkeiten und Verhaltensmuster eines einzelnen Menschen. Tatsächlich entsteht die Wesensart auf Grund von Anlagen, die im Laufe des Lebens durch Erziehung und Vorbild geformt oder durch bestimmte Herausforderungen aufgerufen worden sind. Die Anlage hängt auf gewisse Weise mit dem Körperbau zusammen, aber sie stellt doch nur die Möglichkeiten bereit. Manche von ihnen werden hoch entwickelt, andere bleiben ungenutzt oder sogar unentdeckt, wieder andere werden geradezu unterdrückt. So wird der Charakter nicht nur durch jene Züge bestimmt, die an ihm auffallen, sondern auch durch die Hemmungen und Verdrängungen, denen seine Entwicklung ausgesetzt war. Entscheidend geprägt wird der Charakter in den ersten vier Lebensjahren. Eine merkliche Nachformung erfährt er gegen Ende der Pubertät und während der Adoleszenz. Alle späteren Einflüsse, etwa unter dem Eindruck ungewöhnlicher Erlebnisse und Anforderungen, können ihn nur modifizieren, nicht aber umstülpen. Vielfach verbindet man das Wort »Charakter« mit einem Werturteil. Dann versteht man darunter ein einheitliches Persönlichkeits-Bild. Nicht nur sollen dann alle Eigenschaften irgendwie zueinander passen, sondern man erwartet von ihnen auch, daß sie beständig sind. Ein »integrer Charakter« soll von Drohung und Verführung gleich unbeeinflußbar sein; er soll sogar Schicksalsschläge unbeschadet überstehen. Mit diesem Ideal wird verkannt, daß der Charakter von den Kräften einer Psyche gespeist wird, die sich aus verschiedenen Schichten aufbaut. Was in ihr gehemmt und verdrängt worden ist, also sich im Charakter nicht mehr offen abzeichnet, kann unter Umständen wieder an die Oberfläche gelangen, so daß der Anschein einer Wesensänderung entsteht. Es gibt krankhafte Verbiegungen des Charakters, die sogenannten Charakter-Neurosen, und es gibt Persönlichkeits-Spaltungen, in denen der Widerstreit gegensätzlicher Wesensanteile offenkundig wird (Schizophrenie). Den Rang einer Persönlichkeit wird man wohl nur Menschen zubilligen, die irgendwie Zugang zu allen ihren Wesenszügen haben und sie beherrschen können. Zum Charakter in diesem Sinne gehört es, daß sich ein Mensch nicht ohne weiteres den Konventionen seiner Umwelt fügt, sondern eine unverwechselbare Individualität entfaltet hat. Die »Charakterologie« ist ein Zweig oder ein Hilfsmittel der Psychologie. Sie beruht auf der Ähnlichkeit von Eigenschafts-Kombinationen bei gewissen Menschengruppen, in denen sich ein Typ ausgebildet hat.

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