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Psychologielexikon

Überarbeitete Ausgabe

Psychologielexikon

Pubertät

Autor
Autor:
Irene Roubicek-Solms

die Periode der Geschlechtsreifung zwischen Kindheit und Adoleszenz. Die Keimdrüsen beginnen zu funktionieren, die Geschlechtshormone bewirken die Ausprägung der sekundären Geschlechtsmerkmale. Körperlich steht am Ende dieser Entwicklung beim Knaben die erste (unwillkürliche) Samenausstoßung (Ejakulation, als Pollution), beim Mädchen die erste Menstruation (Menarche). Beim Knaben erstreckt sich die Pubertät zwischen dem 8. und 14., beim Mädchen zwischen dem 10. und 16. Lebensjahr. Ihr Beginn hat sich unter modernen Lebensverhältnissen merklich verfrüht (Akzeleration). Früher meinte man, daß die Sexualität überhaupt erst mit der Pubertät entstehe, als werde der Mensch um diese Zeit gleichsam auseinandergenommen, um ihm die Geschlechtlichkeit nachträglich einzupflanzen. In Wahrheit wird der Sexualtrieb mit dem Menschen geboren, macht mithilfe der Erziehung in den Phasen der frühen Kindheit eine bestimmte Entwicklung durch, wird im Zusammenhang mit der Oedipus-Situation zurückgedrängt und erwacht dann in der Pubertät erneut, mit einem »zweiten Ansatz«. Wie sich die Übergangskrise der Pubertät seelisch auswirkt, hängt wesentlich von den bisherigen Erfahrungen des Kindes und seiner Situation im Bereich der Familie ab. War es bis dahin zu sehr von der Außenwelt, besonders vom anderen Geschlecht abgekapselt, dann fällt ihm die Umstellung besonders schwer. Findet es nicht genug Liebeszuwendung und Verständnis, dann fehlen ihm Führung und Rückhalt. Zu den Aufgaben, die der junge Mensch während der Pubertät leisten muß, gehört die Orientierung des Knaben als »Mann«, des Mädchens als »Weib«. Beide Geschlechter müssen sich mit dem Verhalten auseinandersetzen, das ihnen als Geschlechtsrolle vorgeschrieben zu sein scheint. Das schließt ihre Beziehung zum jeweils anderen Geschlecht ein. In der Unsicherheit des Überganges besteht oft eine Scheu zwischen den Geschlechtern. So hält sich der Jugendliche dann an das eigene Geschlecht. Die Pubertät ist eine Zeit schwärmerischer gleichgeschlechtlicher Freundschaften, sei es zwischen Altersgenossen, sei es zu Älteren, die als »Lehrer« oder »Lehrerinnen« angesehen werden. Auch in der Bildung gleichgeschlechtlicher Gruppen nach Art der Männerbünde bzw. Schwesternschaften äußern sich unverkennbar die homosexuellen Tendenzen. In der Pubertät fällt die Entscheidung zwischen Heterosexualität und Homosexualität als vorherrschender Ausrichtung. Im Verhältnis zum anderen Ge schlecht schwankt der Jugendliche zwischen idealer Liebe, die rein imaginär bleiben mag, und sinnlicher Begierde. Die Anforderungen, die der Sexualtrieb jetzt plötzlich so stürmisch stellt, werden gemäß der bisher gelehrten Moral weitgehend abgewehrt, wohl auch, weil sie die freie Selbstbestimmung zu überschwemmen drohen. Aber der Trieb ist stärker als die Abwehr, er drängt zur Selbstbefriedigung als beinahe einzigem Ausweg. Der Kampf gegen die Verlockung zur Masturbation wird immer wieder verloren; diese Niederlagen hinterlassen Schuldgefühle und schwächen das Selbstbewußtsein. Mit der Selbstbefriedigung geht ein Einspinnen in Phantasien einher, die die Auseinandersetzung mit der realen Außenwelt erschweren. Das gilt ganz besonders für die Erprobung einer Partnerschaft zu Personen des anderen Geschlechtes außerhalb der Familie. Überhaupt fühlt sich der Jugendliche während der Pubertät der Familie nicht mehr ganz zugehörig und der Auseinandersetzung mit Fremden noch nicht gewachsen. Er leidet unter einer Einsamkeit, über die dann wieder die Selbstbefriedigung im Verein mit Liebesphantasien hinweghelfen soll. Der Prozeß der Ablösung von der Familie drückt sich oft als offene Rebellion aus, beim Knaben meist gegen den Vater, beim Mädchen eher gegen die Mutter. Die Aggression, die der Knabe äußert, muß sich nach dem Vorbild richten, das zu seiner Ge schlechtsrolle gehört; sie muß aber zugleich nach dem Maß des Erlaubten eingedämmt werden. Das Mädchen muß einen Ausgleich zwischen den aggressiven, »männlichen« Tendenzen und der Anpassung an die erwartete Weiblichkeit finden. Typische Ausflüchte aus den Konflikten, die sich während der Pubertät so scharf stellen, sind Isolation, Wachträume, Schwärmerei und utopischer Idealismus, aber auch Wanderlust bis zur kopflosen Flucht aus der vertrauten Umgebung, Bindung an rebellische Gruppen, oder eine seelische Krankheit. Die Krisis drückt sich auch körperlich aus, etwa in Ungeschicklichkeiten der Haltung und Bewegung oder in Pickeln und Pusteln als typisch psychosomatischer Erscheinung. Die seelischen Schwierigkeiten dehnen sich bis weit in die Adoleszenz aus. Das hängt auch damit zusammen, daß die Geschlechtsreife ja noch keine soziale Reife einschließt, daß es z. B. meist noch lange dauert, bis eine auch persönlich bedeutsame und langfristige Geschlechtspartnerschaft oder gar Ehe eingegangen werden kann, und daß der Jugendliche durch eine lange Schul-, Hochschul und Berufsausbildung oft bis weit ins dritte Lebensjahrzehnt von den Eltern materiell abhängig bleibt. Zur Aufgabe der Eltern gehört es, das Kind rechtzeitig auf die Pubertät vorzubereiten, ihm bis dahin und erst recht während der Krise Liebe zu gewähren und damit den Weg zur Liebe zu zeigen, während der Entwick lungsjahre wachsende Freiheit zu ermöglichen und doch auch Geborgenheit zu bieten. Das Bild vom Menschen, das die Eltern durch Lehren und Vorbild ihrem Kinde vermitteln, darf nicht nur Pflichten und Forderungen enthalten, es muß auch die Geschlechtlichkeit als Wesenszug und Aufgabe, als Lust wie als Liebe einbeziehen.Im Lateinischen heißt puber-tas Mannbarkeit. Die Pubertät ist die Zeit, in der aus dem heranwachsenden Kind in einer Umbruchperiode ein Erwachsener wird, der - lange ehe ihm die westliche Gesellschaft dies im Verhalten zubilligt - ein voll entwickeltes Sexualleben führen könnte (und das in manchen primitiven Kulturen auch tut). Die Dauer der Pubertät ist ebenso wie ihr Beginn bei verschiedenen Menschen sehr unterschiedlich. Sie setzt bei Mädchen meist etwas früher ein und ist durch ein klares Zeichen erkennbar: die erste Regelblutung. Bei Jungen gibt es kein vergleichbares Zeichen, da die Selbstbefriedigung oft schon vor einer Pollution einsetzt. Verglichen mit der ihr vorangehenden, späten Kindheit (Latenzperiode) ist die Pubertät eine Zeit starker Gefühlsschwankungen und heftiger innerer wie äußerer Gegensätze. Zum erstenmal werden Konflikte eindringlich wahrgenommen und starke Stimmungsschwankungen bewußt durchlebt. Schroffe Gegensätze zwischen Idealvorstellungen (Ich-Ideal) und Wirklichkeit, zwischen hohen moralischen Ansprüchen und Empfindungen der eigenen Wertlosigkeit und Schlechtigkeit, oft tiefe Lebens- und Entwicklungsängste sind einige der Grundprobleme der Pubertät in unserer Gesellschaft. Der Jugendliche findet keine verbindlichen Vorbilder mehr, mit denen er sich identifizieren kann (Identifizierung); er übernimmt allenfalls einzelne, oft äußerliche Verhaltensweisen bestimmter Gruppen (Fanclub, Rockergruppe). Hinter der gelegentlich geäußerten radikalen Ablehnung der im Eiterhaus übermittelten Werte steht oft eine fortdauernde Abhängigkeit von den Eltern, verbunden mit der Angst, nie von ihnen loszukommen, nie eine befriedigende Beziehung zum anderen Geschlecht aufbauen zu können, keinen Beruf zu finden, der sinnvoll ist (Identität). Die Rolle des Erwachsenen erscheint oft als so große Belastung, daß sie mit allen Mitteln verweigert wird (Magersucht). Das Verhalten eines Pubertierenden ist oft die Quittung für Erziehungsfehler der frühen Kindheit. Einsicht auf beiden Seiten (auch für die Eltern bedeuten die Umwandlungen der Pubertät einen Schritt ihrer Entwicklung zum Akzeptieren des eigenen Älterwerdens) kann die Gefahr zerstörerischer Folgen (Selbstmord, Jugendkriminalität, Neurose) vermindern.

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