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Psychologielexikon

Überarbeitete Ausgabe

Psychologielexikon

Selbstbefriedigung

Autor
Autor:
Sonja Margarethe Amstetter

Sexualhandlungen am eigenen Körper (Onanie oder Masturbation) zur Steigerung von Reizen, oft bis zum Orgasmus. Schon das kleine Kind sucht sich auf solche Weise Lust zu verschaffen. Damit will es sich zugleich von jenen Befriedigungen unabhängig machen, die die Liebeszuwendung eines weiteren Menschen voraussetzen. Den Weg zur genitalen Selbstbefriedigung weist die Erforschung des eigenen Körpers und die Entdeckung der erogenen Zonen, unter denen das Geschlechtsorgan die reizbarste ist. Dabei folgt das kleine Kind zugleich seinem Narzißmus. Doch schafft die Libido so keine Brücke über den eigenen Bereich hinaus, und die Befriedigung bleibt irgendwie unvollkommen. Dazu stößt die Selbstbefriedigung auf die Verbote und Warnungen der Erzieher. Sie wird der Selbstbeschmutzung und der Sünde gleichgesetzt. Der Knabe glaubt das Organ, mit dem er sündigt, bedroht; das wird dann zum ersten Ansatz des Kastrations-Komplexes. Die Periode der frühkindlichen Selbstbefriedigung verfällt wie andere sexuelle Regungen jener Zeit der Verdrängung, dem Vergessen (Amnesie). So galt die Aufmerksamkeit auch der Wissenschaft lange nur der Selbstbefriedigung während der Pubertät und Adoleszenz. In diesem Umbruch melden sich die sexuellen Bedürfnisse so stürmisch, und sexuelle Partnerbeziehungen sind so ausgeschlossen, daß der Ausweg in die Selbstbefriedigung unvermeidlich wird. Sie wird fast immer von Phantasien begleitet, die sich an eine erwünschte Partnerschaft und Partnerhandlung knüpfen. Die monosexuelle Aktion bleibt in der Vorstellung nicht autoerotisch und nähert sich so einer Objekt-Beziehung, ist gleichsam deren Erprobung. In der Phantasie wird das Objekt aber so gemodelt, wie es den eigenen Wünschen entspricht; die Auseinandersetzung mit einem Partner bleibt aus. Es werden Handlungen ersonnen, die nicht dem entsprechen, was in der Realität erreichbar wäre. Es besteht also die Gefahr, daß man sich in Erwartungen steigert, die nur enttäuscht werden könnten, und die zugleich zu ichbezogen sind, um auf Partnerschaft vorbereiten zu können. Auch ist die Selbstbefriedigung zu leicht erreichbar. Ihr Vorbild kann zur Jagd nach flüchtigem, unverbindlichem Genuß verführen. Die Kluft zwischen der Selbstbefriedigung, die so viele Konflikte vermeidet, und den Bedingungen einer realen Sexualpartnerschaft drückte der Wiener Journalist Karl Kraus (t 1936) in dem Paradox aus, der Koitus sei nur ein ungenügender Ersatz für die Onanie. So flüchten viele vollerwachsene Menschen in die Selbstbefriedigung nicht nur, wenn sie von der Möglichkeit zum Geschlechtsverkehr durch äußere Umstände (z. B. Gefangenschaft) abgeschnitten sind, sondern auch, um sich von Partnern unabhängig zu machen. Die Vorstellungen, die ihre Selbstbefriedigung begleiten, sollen von der Realität ungestört bleiben. Das ist recht typisch bei perversen Sexualwünschen, die Partner kaum erfüllen würden, oder deren Befriedigung ein Verge hen einschließen würde, das real doch vermieden werden soll. Doch der Unterschied zwischen Phantasie und Realität schließt ein gewisses Ungenügen an der Selbstbefriedigung ein. Die gewohnheitsmäßige Selbstbefriedigung wird zur Sucht, eben gerade weil sie nie wirklich genügt und so zu immer neuen Versuchen der Erfüllung treibt. Freud hat in der Onanie geradezu die Ursucht gesehen, also das Muster, nach dem jede andere Form der Sucht gebildet ist.Meist in der Bedeutung sexueller Selbstbefriedigung (Masturbation, Onanie) gebraucht. Durch Erregung der Geschlechtsorgane (Glied bei Männern, Kitzler bei Frauen) mit den Fingern, mechanischen (Vibratoren) oder anderen Hilfsmitteln (zum Beispiel Dusche) wird ein Orgasmus erzielt. Meist begleiten sexuelle Phantasien diesen Vorgang. Während bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts die Selbstbefriedigung kaum beachtet wurde, entwickelte sich vor allem im vergangenen Jahrhundert ein (gerade von Ärzten getragener) heftiger Kampf gegen dieses «Laster», der dazu führte, daß bis in den Beginn des 20. Jahrhunderts Mädchen der Kitzler amputiert und Jungen die Eichel mit ätzenden Salben beschmiert wurde, um sie von der Selbstbefriedigung abzuhalten. Schauerliche Gerüchte, daß sie Rückenmarkleiden oder Geisteskrankheit auslöse, wurden in die Welt gesetzt. Inzwischen gilt Selbstbefriedigung als normales Stadium der Jugendsexualität in einer Kultur, in der die Spanne zwischen Pubertät und Heirat sehr lang ist. Selbstbefriedigung ist für eine regelrechte sexuelle Entwicklung sogar wünschenswert, weil in ihr der Heranwachsende seine körperlichen Reaktionen gründlich kennenlernt.

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