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Psychologielexikon

Überarbeitete Ausgabe

Psychologielexikon

Gefangenschaft

Autor
Autor:
Katharina Weinberger

erzwungene Absonderung von den üblichen Lebensverhältnissen, oft als Strafe verhängt und fast immer mit einer Entwürdigung verbunden. In einem Gefangenenlager oder einem Gefängnis bilden sich neue zwischenmenschliche Beziehungen und soziale Strukturen heraus, in die auch die Wächter einbezogen sind. Es gibt Menschen, die ihre Gefangenschaft um keinen Preis akzeptieren können. Sie rebellieren dauernd dagegen, ziehen sich damit Feindschaften zu; indem sie gleichsam an ihren Fesseln zerren, leiden sie daran nur umso mehr. Andere fügen sich unauffällig in das Unvermeidliche, ziehen sich sozusagen in einen Schildkrötenpanzer zurück, und hoffen, so das Unglück zu überstehen. Aber nur sehr starke Naturen können diese Art innerer Freiheit aufrechterhalten. Wieder andere passen sich aktiv der Gefangenschaft an und können dann in deren besonderer Ordnung eine bevorzugte Stellung erreichen. Zu dieser Gruppe gehören die »Kapos«, wie man sie in den Konzentrationslagern nannte: Gefangene, die selbst Funktionen übernehmen, über die Mitgefangenen gesetzt werden und sie in der Reaktion auf die eigene Abhängigkeit oft besonders grausam behandeln. Gelegentlich erwirbt eine Clique aus solchen Gefangenen innerhalb des Gefängnisses soviel Macht, daß sogar die amtlichen Wärter sie respektieren müssen. Je mehr sich jemand den besonderen Bedingungen der Gefangenschaft anpassen muß, desto schwerer wird es ihm werden, sich danach wieder in der Freiheit zurechtzufinden. Der »Lebenslängliche«, der auf die Freiheit kaum hoffen kann, muß sich derart verändern, daß man von einem Persönlichkeitsverfall sprechen kann. Während die Strafjustiz früher davon ausging, daß die Haft den Straftäter (auf mehr oder weniger unerklärte Weise) zu »läutern« vermöge, spricht man heute davon, daß Strafgefangene nach Verbüßung ihrer Haftstrafe mit den Mitteln der Pädagogik und Psychotherapie usw. »resozialisiert« werden müssen (vgl. Rehabilitation). Unter den Entbehrungen der Gefangenschaft hat die Einschränkung des Sexuallebens besonderes Gewicht. Die Ausflucht in die Homosexualität liegt nahe; fast die einzige Alternative ist die Selbstbefriedigung im Zusammenhang mit Phantasien, die sich immer weiter von der Realität entfer nen müssen und den Rückweg zur sexuellen Partnerschaft blockieren können. Nahezu jede Form einer Gefangenen-Gesellschaft ist leichter zu ertragen als die Einzelhaft. Die totale Isolation kommt einem langsamen psychischen Mord gleich.

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