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Psychologielexikon

Überarbeitete Ausgabe

Psychologielexikon

Rehabilitation

Autor
Autor:
Manuela Bartheim-Rixen

Wiedereingliederung eines Kranken nach seiner Genesung in das berufliche und soziale Leben. Es müssen vorübergehend Bedingungen geschaffen werden, die den Narben der Krankheit, der Schwächung, der zeitweisen Isolation entsprechen und den Genesenen vor neuer Schädigung schützen. Oft ist durch die Zeit der Krankheit und der Behandlung, auch durch den Schock der Verletzung, das Verhältnis zur normalen Umwelt so sehr verloren gegangen, daß zur Rehabilitation auch eine Führung des Genesenen gehört. Das gilt geradeso für psychische und psychosomatische Krankheiten. Die Psychotherapie muß mit einer Phase der Ablösung enden, in der die Abhängigkeit des Patienten vom Arzt ebenso wie der Schutz, den er gewährt hat, nur allmählich gelockert werden können, bis die Fähigkeit zur selbständigen Bewältigung des Lebens hergestellt ist. Als Krankheit läßt sich weitgehend auch das Fehlverhalten von Gesetzesbrechern verstehen; sie sind gleichsam an ihrem Verhältnis zur Gesellschaft erkrankt. Es hilft wenig, wenn man sie dafür nur bestraft. Man muß sie auch befähigen, sich nach der Strafe besser in die Gesellschaft einzugliedern, und dies trotz der Belastung durch die Strafe. Bereits im Gefängnis müßte die Rehabilitation einsetzen, die in diesem Bereich »Resozialisierung« heißt.

Der Begriff Rehabilitation wird in verschiedenen Disziplinen verwendet. So verstehen Behinderten- und Sonderpädagogen darunter die spezifische Förderung (mehrfach) beeinträchtigter Kinder; Berufspädagogen die berufliche Förderung und Integration benachteiligter Jugendlicher und Erwachsener und Jugendrichter unter sozialer Rehabilitation die Wiedereingliederung dissozialer Jugendlicher (Mühlum & Oppl, 1992); Mediziner, Klinische Psychologen und Sporttherapeuten verwenden den Begriff im Kontext der Linderung einer chronischen Erkrankung, und Pflegewissenschaftler sehen in der geriatrischen Rehabilitation eine Möglichkeit, bei älteren Menschen die Pflegebedürftigkeit zu vermeiden oder hinauszuschieben (Görres, 1992). Innerhalb der letzten 20 Jahre entwickelte sich die Rehabilitationspsychologie als neues Anwendungsgebiet im Grenzbereich der Klinischen Psychologie sowie der Arbeits- und Berufspsychologie. Um die vielfältigen Anwendungsfelder der Rehabilitationspsychologie überschaubar zu halten, sollen die weiteren Ausführungen sich vorwiegend auf die medizinische Rehabilitation beziehen, die jedoch sehr eng mit der beruflichen Rehabilitation verknüpft ist (Petermann, 1997a). In der medizinischen Rehabilitation wird von einem biopsychosozialen Modell von Krankheit und Behinderung ausgegangen; demzufolge werden körperliche, psychische und soziale Auswirkungen einer Erkrankung und ihrer Folgen behandelt. Die Zustände von “krank” und “gesund” werden als ein Ineinandergreifen körperlicher, psychischer und sozialer Vorgänge beschrieben. Die Rehabilitation möchte dabei die Folgen einer Erkrankung reduzieren und nicht primär auf die Ursachen der Grunderkrankung einwirken. Der interdisziplinär orientierte Bereich der Rehabilitation körperlich chronisch Kranker wird stark von der Klinischen und Rehabilitationspsychologie sowie der lernpsychologisch geprägten Verhaltensmedizin bestimmt (Petermann, 1997a).

Die Sozialgesetzgebung regelt in Deutschland die Voraussetzungen und Ziele der Rehabilitation. Die Zuständigkeit für die Erbringung solcher Leistungen liegen bei unterschiedlichen Sozialleistungs- und Rehabilitationsstrategien. Hier sind vor allem die Kranken-, Unfall- und Rentenversicherungen, die Bundesanstalt für Arbeit und die Sozialhilfe zu nennen. Diese Kostenträger sorgen dafür, daß jeder, der körperlich, geistig oder psychisch behindert ist oder von einer Behinderung bedroht ist, Hilfestellung erhält, um die Behinderung abzuwenden, zu beseitigen, zu bessern, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu lindern. Rehabilitation dient damit der Reintegration in das Erwerbsleben oder allgemein in die Gemeinschaft. Das Spektrum rehabilitativer Hilfen umfaßt berufsfördernde und medizinische Leistungen, Leistungen zur allgemeinen sozialen Eingliederung und ergänzende Leistungen (Tab. 1).

Ziele

Die medizinische Rehabilitation möchte eine Wiedereingliederung in Beruf und Alltag nach einem akuten Krankheitsereignis (z. B. einem Herzinfarkt), nach Unfällen oder einer sich allmählich verschlimmernden chronischen Krankheit ermöglichen. Hierbei treten Krankheitsfolgen auf drei Ebenen auf: So kommt es organisch zu einer Schädigung (= impairment), einem Verlust oder einer Abweichung; die Schädigung schränkt die Fähigkeiten des Patienten ein (= disability), wodurch negative Auswirkungen (Schädigungen) im sozialen Kontext (z. B. Familie, Freundeskreis) zu erwarten sind (= handicap). Vor diesem Hintergrund müssen sowohl die körperliche Erkrankung als auch ihre psychosozialen Folgen bei der Rehabilitation berücksichtigt werden. So dient die medizinischen Rehabilitation der:

– Minderung von Leistungseinschränkungen und der Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit,

– Prävention von Sekundärprozessen (=psychosozialen Folgen) und einer verbesserten Langzeitprognose,

– Reintegration in Beruf (Ausbildung), Familie und Gesellschaft sowie

– Verbesserung der Lebensqualität.

Gerade der Aspekt der Lebensqualität – also ein ganzheitliches Kriterium – bildet ein zentrales psychologisches Ziel der Rehabilitation. Unter dem Begriff Sekundärprozesse werden die psychosozialen Folgen einer körperlichen Krankheit verstanden. Darunter fallen vor allem krankheits- und behandlungsbezogene Ängste wie die Angst des Asthmatikers vor Atemnot, dem Ersticken oder den Nebenwirkungen der Cortisonbehandlung. Psychosoziale Folgen beziehen sich jedoch auch auf grundlegende Probleme der Krankheitsakzeptanz und Krankheitsverarbeitung (Krankheitsbewältigung, Krankheitsmanagement). Viele Patienten können auch prognostisch günstig verlaufende Krankheiten wegen der Sichtbarkeit der Krankheitssymptome oder der damit verbundenen Stigmatisierung diese nicht akzeptieren; zu solchen Erkrankungen gehören zum Beispiel die Neurodermitis oder die Schuppenflechte. Unter psychologischen Gesichtspunkten verfolgt die Rehabilitation vor allem Ziele im Kontext der Krankheitsverarbeitung (= coping). Patienten erfahren in der Rehabilitationsmaßnahme Hilfestellungen in folgenden Bereichen: Beratung in beruflichen und sozialen Belangen, Verbesserung der medizinischen Behandlung, Vermittlung von krankheitsbezogenem Wissen und Fertigkeiten zum optimierten Krankheitsmanagement sowie Verbesserung der körperlichen Funktionstüchtigkeit. Psychologen leisten dabei wichtige Beiträge zum Krankheitsmanagement, indem sie verhaltensorientierte Patientenschulungsprogramme (= health education) mit den Rehabilitanden durchführen.

Krankheitsmanagement durch Patientenschulung

Die meisten Maßnahmen zur medizinischen Rehabilitation werden stationär durchgeführt, wobei sich die Hauptkrankheitsbilder auf fünf Bereiche konzentrieren (Tab. 2).

Von den 1,8 Millionen stationären Maßnahmen (Petermann, 1997a) beziehen sich ungefähr 40 % auf orthopädische und rheumatologische Erkrankungen; für die Krankheitsbewältigung bedeutet dies vor allem ein zu optimierendes Schmerzmanagement (Schmerz). Unter die psychischen Erkrankungen fällt ein hoher Prozentsatz von Suchterkrankungen, die eine intensive psycho- und sozialtherapeutische Betreuung benötigen (Sucht). Alle körperlich-chronisch Kranken erhalten seit einigen Jahren im Rahmen ambulanter oder stationärer Rehabilitationsmaßnahmen eine sogenannte Patientenschulung, mit der eine angemessene Einstellung zur Erkrankung beziehungsweise ein angemessener Umgang mit ihr gefördert werden soll. Maßnahmen zur Patientenschulung verfolgen sechs Ziele (Petermann, 1997b):

– Aufklärung des Patienten über die Krankheit und die Behandlung;

– Steigerung der Therapiemitarbeitsbereitschaft (Compliance) durch eine erhöhte Eigenverantwortung im Krankheitsmanagement;

– Sensibilisierung der Körperwahrnehmung, um frühzeitig eine Verschlimmerung des Krankheitszustandes zu erkennen;

– Vermittlung gezielter Fertigkeiten im Krankheitsmanagement (z. B. Entspannungstechniken, Inhalations- oder Injektionstechniken, angemessener Umgang mit Hilfsmitteln;

– Maßnahmen zur Anfallprophylaxe und Sekundärprävention, zum Beispiel Vermeidung von Streß und spezifischen Auslösern (z. B. eines Asthmaanfalls) sowie Erfahrungen im Rahmen der Notfallprophylaxe (= Verhalten in Krisensituationen; Notfallpsychologie);

– Erwerb sozialer Fertigkeiten und Aktivierung sozialer Unterstützung; hierunter fallen Kommunikationsfertigkeiten, die der Patient benötigt, um professionelle Helfer, Angehörige oder Arbeitskollegen angemessen zu informieren und im Prozeß der Krankheitsbewältigung einbeziehen zu können (Kommunikation, Interaktion).

Psychologische Interventionen

In der medizinische Rehabilitation werden gesundheits- und verhaltenspsychologische Interventionsmethoden eingesetzt. Sehr bekannt sind sogenannte Gesundheitstrainings (“Gesundheit selber machen”). In solchen Trainings soll über Vorträge und Gruppenarbeit eine Lebensstiländerung herbeigeführt werden. Die klassischen Themen beziehen sich hierbei auf die Aspekte Ernährung, Rauchen, Streß und Bewegung. Von großer Bedeutung sind auch Entspannungstrainings (Progressive Muskelentspannung, Autogenes Training, Imaginationsverfahren) und Streßbewältigungsprogramme. Mit solchen Ansätzen lernt der Patient eigenständig, übermäßige Belastungen zu vermeiden oder besser zu regulieren. Für viele Patienten ist es hilfreich, durch psychologische Beratung neue Lebensperspektiven zu eröffnen. Solche Gespräche können als Einzel- oder Gruppengespräche realisiert werden, wobei durch den zeitlichen enggesteckten Rahmen einer stationären Rehabilitation (ca. drei Wochen) sicherlich keine psychotherapeutische Behandlung möglich ist. Diese könnte jedoch als sinnvolle Nachsorge vorbereitet werden. Einige enger umgrenzte Angebote sind jedoch auch im Kontext der stationären Rehabilitation möglich (Petermann, 1997a): Vermittlung krankheitsbezogener sozialer Fertigkeiten (Selbstsicherheitstraining) und Teilnahme an Problemlösegruppen zu Themen wie krankheitsbezogene Ängste, Schlafstörungen, Schmerzbewältigung u. ä. Aber auch hier wird man bei komplexeren Problemlagen auf eine ambulante psychotherapeutische Nachsorge angewiesen sein.

Zukünftige Entwicklungen

Der Bedarf an Maßnahmen zur medizinischen Rehabilitation wird zukünftig steigen, da durch die Fortschritte in der medizinischen Versorgung immer mehr Menschen über lange Zeiträume chronisch krank sein werden; zudem wird durch den demographischen Wandel der Bevölkerung die Anzahl alter und älterer Menschen stark zunehmen (= vgl. Bedarf an geriatrischer Rehabilitation). Bei geriatrischen Patienten besitzen psychologische Ansätze zur Förderung der Selbständigkeit eine besondere Bedeutung. Darüber hinaus wird sich jedoch auch der Bereich der Frühförderung und Frührehabilitation zukünftig profilieren. Sozialpädiatrische Zentren bieten ambulant und stationär für Kinder mit angeborenen Behinderungen, neuropsychologischen und Entwicklungsstörungen ambulante und stationäre Fördermöglichkeiten an (Petermann & Warschburger, 1998). Je früher eine Störung erkannt wird, desto größer sind in der Regel die Rehabilitationserfolge. Diese “Frührehabilitation” trifft jedoch nicht nur für Säuglinge oder Kleinkinder zu, sondern auch für erworbene Krankheiten wie kardiologische oder neurologische Patienten. Für einen Patienten mit einem Herzinfarkt oder Hirnschlag ist die sofortige Rehabilitation nach den lebensrettenden Maßnahmen der Akutmedizin erforderlich. Hier ist eine noch engere Nutzung von Akutmedizin und Rehabilitation zukünftig erforderlich.

Literatur

Görres, S. (1992). Geriatrische Rehabilitation. Weinheim: Juventa.

Mühlum, A. & Oppl, H. (Hrsg.) (1992). Handbuch der Rehabilitation. Neuwied: Luchterhand.

Petermann, F. (Hrsg.) (1997a). Rehabilitation. Ein Lehrbuch zur Verhaltensmedizin (2. erweit. Auflage). Göttingen: Hogrefe.

Petermann, F. (Hrsg.) (1997b). Patientenschulung und Patientenberatung. (2. erweit. Auflage).Göttingen: Hogrefe.

Petermann, F. & Warschburger, P. (Hrsg.) (1998). Kinderrehabilitation. Göttingen: Hogrefe.

Übersicht über rehabilitative Hilfen

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