eine Unlust-Empfindung, die anders als die anerzogenen Abwehr-Reaktionen von Scham und Ekel von Natur angelegt ist. Sie dient dazu, auf Krankheiten und andere Gefährdungen des Körpers aufmerksam zu machen. Allerdings lösen nicht alle Krankheiten Schmerz aus, und der Schmerz zeigt nicht ohne weiteres seine Ursache an. Oft dauert er länger und ist heftiger, als er sein müßte, um als Signal zu wirken. Wie stark man ihn empfindet, hängt auch nicht nur von der Schädigung ab, die er meldet. Andere starke Interessen können ihn völlig vergessen lassen. Auf dem Höhepunkt der sexuellen Erregung zum Beispiel werden Schmerzen nahezu nicht mehr wahrgenommen. Andererseits wird der Schmerz manchmal erst bewußt, wenn die Schädigung mit Hilfe der Sinnesorgane erkannt wird, etwa wenn man aus einer Wunde das Blut treten sieht, seine Wärme auf der Haut spürt oder den erhöhten Herzschlag hört. Auch ist der körperliche Schmerz seelisch mitbedingt. So sind die Gebärschmerzen der Frau gewiß größer in der Kultur, deren Religion die Sexualität abwehrt und als göttliches Gebot den Satz formuliert hat: »Mit Schmerzen sollst du gebären !« Ähnliches gilt für den begleitenden Schmerz bei der Defloration (vgl. Virginität). Hier wird Schmerz zu einem Opfer, das man unbewußt bringt, um eine vermeintliche Schuld zu sühnen. Soweit der erotische Masochismus eine »Schmerzwollust« ist, läßt er sich weitgehend als Sehnsucht nach Opferhandlungen verstehen, die als Preis für die verbotene Lust gelten können.
Weit über dieses Beispiel aus dem Bereich der Perversion hinaus grenzt der Schmerz als Reiz recht oft an die Erwartungslust. Wie jeder Reiz steht er im Gegensatz zu der totalen Befriedigung als Reizlosigkeit. Wenn ein Kranker nach einer Operation aus der Narkose erwacht und Schmerzen zu spüren beginnt, wenn ein Erschöpfter den Zustand der Apathie überwunden hat und seiner Schmerzen bewußt wird, kann er dies als Zeichen von Leben durchaus begrüßen. Seelische Schmerzen, wie sie in Liebeskonflikten zugefügt werden, sind immer noch leichter zu ertragen als Gefühlslosigkeit. Andererseits kann die höchste Lust von dem Eindruck begleitet sein, daß sie die Seele unter Schmerzen auseinanderreißt. Keine Leidenschaft ist ohne Leiden. Die Extreme werden nahezu austauschbar.Schädigende Reize auf den Organismus müssen frühzeitig erkannt werden. Diese Aufgabe erfüllt die Schmerzempfindung; sie führt zu einem Vermeidungsvcrhalten für Gefahren und dient daher dem Überleben. Allerdings kann sie diese Aufgabe nicht ohne die vom erlebenden Organismus als übertrieben empfundene Stärke und Dauer erfüllen. Ein einmaliger, kurzer Schmerzreiz würde genügen, um uns vor den körperlichen Belastungen zu warnen, die einen Knochenbruch bewirken können. Statt dessen schmerzt der Knochen viel länger, der Schmerz raubt den Schlaf; er wird - wie im Fall einer fortgeschrittenen Krebsgeschwulst - so unerträglich, daß nur noch der Selbstmord eine Erlösung zu bieten scheint.
Der Schmerz zeigt uns sehr deutlich, daß unser Organismus nicht nach dem Prinzip unseres möglichen Wohlempfindens gebaut ist, sondern nach dem Prinzip des Überlebens. In der menschlichen Schmerzreaktion kann man zwei Bestandteile mehr oder weniger deutlich voneinander unterscheiden : Die Schmerzempfindung als solche, die verschiedene Stärke haben kann, und die durch diese Empfindung ausgelöste seelische Verarbeitung eines Schmerzes. Für die Lust-Unlust-Bilanz ist die Verarbeitung wichtiger als die Empfindung. Bei Kindern beobachtet man zum Beispiel, daß sie den Schmerz einer leichten Rißwunde erst dann spüren, wenn sie die blutende Wunde sehen. Die Schmerzreaktion Erwachsener ist ganz unterschiedlich, wenn sie genau wissen, welche Ursachen die Schmerzempfindungen in einem Organ hat und wann sie wieder aufhören wird, oder wenn sie fürchten müssen, daß der Schmerz überhaupt nicht mehr aufhört. Die seelische Unterdrückung der Schmerzwahrnehmung bezeugt die Hypnose: Der Schmerz wird noch empfunden, aber er tut nicht mehr weh. Andererseits kann ein Schmerz durch bewußte oder unbewußte Aufmerksamkeit sehr gesteigert werden. Ob man über Schmerzen spricht oder sie begleitende Ausdruckserscheinungen (Stöhnen, Schreien, Weinen, Schmerzmimik) kontrolliert werden, ist eine Frage der Erziehung, die in verschiedenen Kulturen, aber auch bei Männern und Frauen unterschiedlich gehandhabt wird.
Stand der Forschung
In der Entwicklung der Schmerzforschung zeigte sich spätestens seit der Formulierung der Gate-Control-Theorie des Schmerzes Mitte der 60er Jahre eine Abkehr von einer rein organmedizinischen Sichtweise von Schmerzen. Diese werden seither nicht mehr als eindimensionales Sinnesphänomen, sondern als komplexes multifaktorielles Geschehen konzipiert, bei deren Entstehung und vor allem Aufrechterhaltung heutzutage neben nozizeptiven Prozessen auch emotionalen, kognitiven, behavioralen und physiologischen Faktoren eine wesentliche Rolle zugeschrieben wird. Als zentralnervöser Mechanismus konzentriert sich die Grundlagenforschung beim chronischen Schmerz zunehmend auf die zentralnervöse Neuroplastizität (Neuronale Plastizität), den physiologischen und biochemischen Reaktionen von persistierenden Schmerzen im Zentralnervensystem. Die Fortschritte in der Schmerzforschung und -behandlung in den letzten Jahrzehnten lassen sich vor allem auf die interdisziplinären Konzepte des verhaltensmedizinischen Ansatzes (Verhaltensmedizin) zurückführen. Die Subjektivität von Schmerzen kommt in der WHO-Definition, die von der Internationalen Vereinigung zum Studium des Schmerzes International Association for the Study of Pain (IASP) erarbeitet wurde, zum Ausdruck: "Schmerz ist ein unangenehmes Sinnes- und Gefühlserlebnis, das mit aktueller oder potentieller Gewebsschädigung verknüpft ist oder mit Begriffen einer solchen Schädigung beschrieben wird." Nur der Betroffene selbst kann über das eigene Schmerzerleben umfassend Auskunft geben. Die sehr vereinfachte 1:1 Kausalverknüpfung von Gewebsschädigung und Schmerzreaktion wird aufgegeben, und es wird anerkannt, daß Schmerzen auch ohne bislang nachweisbares organisches Korrelat real erlebt werden und damit echt sind.
Epidemiologische Aspekte
Die meisten epidemiologischen Schmerzstudien stammen aus den USA und Skandinavien. Die Lebenszeitprävalenz von Schmerzen liegt, insbesondere von Kopfschmerzen und Rückenschmerzen, allgemein bei annähernd 90%, d.h., nahezu jeder Mensch hat irgendwann in seinem Leben Schmerzen erfahren. Die Einjahresprävalenz von Schmerzen unabhängig von ihrem Schweregrad beträgt 60-80%, die Einjahresprävalenz chronisch-persistierender oder chronisch-rekurrierender Schmerzen 30-40%. Die Prävalenz chronisch-dysfunktionaler Schmerzen, die mit erheblichen psychosozialen Beeinträchtigungen und ökonomischen Kosten einhergehen, liegt etwa zwischen 5-10%. Bei vielen Schmerzarten zeigt die Altersverteilung einen Anstieg bei den 45- bis 64-jährigen. Insgesamt sind Frauen häufiger betroffen als Männer. Das Ausmaß sozialmedizinischer Folgen von Schmerzen dokumentieren vor allem Daten des Nuprin-Pain Reports. Hiernach leiden 12,8% der US-Bevölkerung an chronischen Schmerzen, und durchschnittlich an 23 Tagen im Jahr kann ein erwachsener US-Bürger wegen der Schmerzen seiner Arbeit nicht nachkommen. Dies entspricht einem Verlust von etwa 500 Millionen Vollzeit-Arbeitstagen jährlich. Von den Patienten, die länger als sechs Monate wegen Rückenschmerzen krankgeschrieben sind, kehren 60% -70% nicht wieder an ihren Arbeitsplatz zurück. Diese Zahl erhöht sich auf 85%, wenn über ein Jahr Arbeitsunfähigkeit besteht. Insbesondere chronische Rückenschmerzen sind als eines der kostenintensivsten Gesundheitsprobleme der industrialisierten Länder anzusehen: Diese Patienten stellen weniger als 10% aller an Rückenschmerzen leidenden Patienten dar, verursachen aber 50-85% aller Kosten.
Akuter vs. chronischer Schmerz
Die Unterscheidung zwischen akuten und chronischen Schmerzen ist unter klinischen Gesichtspunkten erforderlich und erfolgt in der Regel nach klinischen Kriterien. Ein akuter Schmerz dauert Sekunden bis maximal Wochen an und ist in der Regel an erkennbare Auslöser (akute organpathologische Prozesse oder Noxen, z.B. Verletzungen, Entzündungen) gekoppelt, mit deren Beseitigung er im allgemeinen auch endet. Sie sind meist klar lokalisierbar, gehen einher mit vegetativen Aktivierungs- und Streßreaktionen (z.B. Herzfrequenz- u. Blutdruckerhöhung, Pupillendilatation, Atemfrequenzerhöhung, akute Erhöhung des Muskeltonus). Eine starke Beeinträchtigung der psychischen Befindlichkeit steht zumeist nicht im Vordergrund, es können aber z.B. Unbehagen, Unruhe, auch kurzfristige Ängste auftreten, die durch den vorübergehenden Charakter der Schmerzen in der Regel erträglich sind. Ein wesentliches Unterscheidungskriterium zwischen akutem und chronischem Schmerz liegt in dessen Funktion für den Organismus. Der akute Schmerz hat eine wichtige lebenserhaltende und organismusschützende Funktion, er zeigt schwere Erkrankungen oder Verletzungen an, die es zu heilen gilt. Dauert der Schmerz sechs Monate oder länger an oder tritt er wiederkehrend mindestens sechs Monate auf, handelt es sich um einen chronischen Schmerz. Die Ursachen sind meistens zunächst unklar, oder sie sind diagnostiziert aber nicht behebbar (z.B. bei bestimmten rheumatischen Erkrankungen). Die Lokalisation ist oft wenig klar umschreibbar, vielfach wechselnd, betroffen sind in der Regel größere Körperareale, vegetative Aktivierungs- und Streßreaktionen sind (mit Ausnahme muskulärer Verspannungen) nur selten zu beobachten. Das psychische Befinden ist häufig stark beeinträchtigt, einhergehend beispielsweise mit erhöhter Depressivität, Ängstlichkeit, Gereiztheit, Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit oder Resignation. Von einer lebenserhaltenden Warnfunktion des Schmerzes kann bei chronischen Schmerzen nicht mehr gesprochen werden. Vielmehr hat der Schmerz seinen Anlaß überdauert und wird durch multiple bio-psychosoziale Faktoren (biopsychosoziales Krankheitsmodell) aufrechterhalten.
Modelle der Entstehung und Aufrechterhaltung
Bei der Frage nach ätiologischen und aufrechterhaltenden Variablen akuter und chronischer Schmerzen reicht das klassische medizinische Krankheitsmodell mit seiner dichotomen Denkweise, in der chronische Schmerzen entweder als somatogen oder als psychogen angesehen werden, nicht aus. Um die Multidimensionalität chronischer Schmerzen angemessen abzubilden, bietet sich ein biopsychosoziales Krankheitsverständnis an, das die am Schmerz beteiligten psychischen, biologischen, sozialen und verhaltensbezogenen Anteile angemessen und integrativ berücksichtigt. Als eine der einflußreichsten Modellvorstellungen chronischer Schmerzen in diesem Sinne galt lange Zeit die Gate-Control-Theorie des Schmerzes. Eine weitere wesentliche Modellvorstellung zeigte sich in der Übertragung der lerntheoretischen Ansätze (Lernen) auf den Bereich chronischer Schmerzen von Fordyce, der die Mechanismen der operanten Konditionierung als aufrechterhaltende Komponente von Schmerzverhalten (der offene Ausdruck von Schmerz und Leiden) betrachtete. Dabei spielen nicht nur positive Verstärkung (z.B. Zuwendung vom Partner, Rentenzahlungen) und negative Verstärkung (z.B. Entlastung von unangenehmen Pflichten, Krankschreibung) von Schmerzverhalten, sondern auch die Bestrafung oder Nicht-Verstärkung von gesunden Verhaltensweisen eine Rolle. Gegenwärtig gibt es einige sehr komplexe und empirisch gut belegte Modelle zur Entstehung und Aufrechterhaltung von Schmerzen, in die zahlreiche empirische Befunde aus der Schmerzforschung Eingang fanden. Hervorzuheben ist das Psychobiologische Modell chronischer Schmerzsyndrome der Skelettmuskulatur.
Diagnostik und Klassifikation
Die bio-psychosoziale Sichtweise muß sich auch in der Diagnostik und Klassifikation chronischer Schmerzen widerspiegeln. Eine Voraussetzung für den klinischen Alltag ist deshalb die Durchführung einer gründlichen somatischen und psychologischen Untersuchung und die Zusammenfassung der Befunde in einer interdisziplinären Diagnose. Dieses zumeist aufwendige Vorgehen kann gegenwärtig nur in entsprechend organisierten Einrichtungen, den sogenannten "inter- bzw. multidisziplinären Schmerzkliniken/-ambulanzen" durchgeführt werden. Für die Frage der differentiellen Indikation schmerzbezogener Interventionen ist eine genaue Erfassung der Schmerzempfindung und damit assoziierter Erlebens- und Verhaltensindikatoren erforderlich. Hierzu zählen im einzelnen folgende Bereiche: 1) Schmerzintensitätsangaben (subjektive Algesimetrie, z.B. über numerische, verbale, visuelle Ratingskalen); 2) subjektives Schmerzerlebens; 3) schmerzbedingte und allgemeine psychische Beeinträchtigungen (z.B. Depressivität, Ängstlichkeit, Ärger); 4) körperliche Behinderung/Beeinträchtigung bzw. Funktionseinschränkung durch die Schmerzen; 5) Schmerzbewältigungskompetenzen; 6) psychosoziale Angaben (z.B. Arbeitsplatzsituation, Arbeitsfähigkeit, Partnerschaft). Zur Erfassung dieser Bereiche existiert mittlerweile eine Fülle von Fragebögen. Zu unterscheiden sind solche Verfahren, die spezifisch für Erhebungen bei chronischem Schmerz entwickelt wurden und deren Items direkt schmerzbezogen sind, und solche, die auch bei anderen Störungsbildern eingesetzt werden (z.B. Depressionsfragebögen). Zudem ist eine psychologische Anamneseerhebung zur Überprüfung, in welchem Ausmaß psychosoziale Einflußfaktoren in einem funktionalen Zusammenhang mit dem Schmerzproblem stehen, erforderlich. Von der klinischen Schmerzdiagnostik ist die Schmerzmessung im Labor, die experimentelle Algesimetrie, zu unterscheiden, die sich auf die Erfassung der Schmerzintensität zu einem bestimmten Zeitpunkt, ausgelöst durch einen definierten Reiz (z.B. elektrischer, mechanischer, Hitze-, Kälte-, chemischer Reiz) bezieht. Ziel ist hier die Gewinnung biologischer Meßwerte, die möglichst gut mit der subjektiven Empfindung der Schmerzintensität korrelieren. Als Methoden werden hierfür die Ableitung der Aktivität afferenter Nervenfasern in der Mikroneurographie, motorische und vegetative Reflexuntersuchungen sowie evozierte kortikale Potentiale eingesetzt (Anton, 1993). Die Zuordnung verschiedener chronischer Schmerzbilder in gegenwärtig international gebräuchliche Klassifikationssyteme bereitet bis heute erhebliche Probleme. Sie ergeben sich hauptsächlich daraus, daß die Diagnosen nur somatisch oder nur psychiatrisch/psychopathologisch orientiert sind und das Schmerzproblem entweder nur als somatogen oder als psychogen eingeordnet werden kann. Ein neuerer Ansatz ist die Multiaxiale Schmerzklassifikation (MASK).
Psychologische Behandlungsansätze und ihre Effektivität
Heute gilt die psychologische Schmerztherapie innerhalb einer umfassenden Schmerzdiagnostik und -therapie chronischer und oft auch akuter Schmerzen als unerläßlich. Sie stellt einen integrativen Bestandteil der sogenannten multimodalen und interdisziplinären Schmerztherapie dar, bei der viele Fachdisziplinen zusammenarbeiten, u.a. Psychologen, Anästhesisten, Orthopäden, Physiotherapeuten, Krankenpflegepersonal, Sozialarbeiter. In diesem Rahmen ist die Anwendung psychologischer, schmerzbewältigungsorientierter Maßnahmen unabhängig vom organpathologischen Befund für viele Schmerzprobleme indiziert. Dabei geht es nicht darum, diese anstelle somatischer Verfahren anzuwenden. Psychologische Ansätze werden parallel zu somatischen eingesetzt. Die Therapie richtet sich in der Regel auf die Frage, wie diese aufeinander abgestimmt werden. Innerhalb der psychologischen Verfahren zur Schmerzbehandlung läßt sich das "Schmerzbewältigungstraining" von der "Psychotherapie bei Schmerz" unterscheiden (Geissner & Jungnitsch, 1992). Unter dem Begriff Schmerzbewältigungstraining werden Methoden bzw. Einzeltechniken zusammengefaßt, mit denen Strategien für einen besseren Umgang mit Schmerz vermittelt werden sollen. Hierzu gehören eine Informationsvermittlung über die Zusammenhänge der am Schmerz beteiligten psychischen und somatischen Faktoren, Entspannungstrainings (vor allem das Jacobson-Entspannungstraining), Biofeedbacktrainings (z.B. EMG-, EEG-, Vasokonstriktions-/Vasodilatationstraining), Aufbau körperlicher Aktivierung, operante Verfahren, kognitive Umstrukturierung (z.B. Schmerzimpfungstraining), mentale Schmerzbewältigungsübungen (z.B. Ablenkungsstrategien, kognitive Umbewertung). Sie sind (kognitiv-) verhaltenstherapeutisch orientiert und werden sowohl in Gruppen- als auch in Einzelbehandlung, ambulant oder stationär durchgeführt. Schmerzbewältigungstrainings werden häufig als standardisierte Programme angeboten. Ziel ist stärker die direkte Beeinflussung des Schmerzerlebens als die Bearbeitung der Bedingungen bzw. Funktionalität der Schmerzen. Die Psychotherapie bei Schmerz umfaßt ein eingehendes, in der Regel verhaltenstherapeutisches Vorgehen, mit dem solche Schmerzen bearbeitet werden, die in einem funktionalen Zusammenhang oder im Zusammenhang mit möglicherweise entstandenen psychischen Reaktionen (z.B. Depression, Angst, Selbstwertminderung) stehen. Hier geht es sowohl um die Bearbeitung der Bedingungen und Funktionalität als auch um die direkte Veränderung des Schmerzerlebens. Eine solche Verhaltenstherapie bei Schmerz wird gewöhnlich durch Verfahren aus Schmerzbewältigungstrainings ergänzt.
Multidisziplinäre Therapiekonzepte nehmen in der Schmerztherapie einen besonderen Stellenwert ein. Besonders in den USA wurde eine Anzahl derartiger Programme entwickelt und evaluiert. Sie integrieren neben dem verhaltenstherapeutisch orientierten Schmerzbewältigungstraining medizinische, sport- und physiotherapeutische Maßnahmen sowie meist auch ein arbeitsbezogenes Training. Der psychologische Teil umfaßt die üblichen Elemente eines Schmerzbewältigungstrainings. Das primäre Ziel dieser Trainings wird oft weniger in einer direkten Schmerzreduktion als vielmehr in der Reduktion der Beeinträchtigungen gesehen. Sowohl die Ergebnisse ambulanter als auch stationärer Programme (Klinger, 1995) zeigen, daß die Patienten nach der Behandlung verbesserte Werte im Aktivitätsniveau, einen verminderten Medikamentenkonsum und auch eine mäßige Reduktion der subjektiv eingestuften Schmerzintensität aufweisen. Ebenso resultieren positive Veränderungen der Stimmung, eine erhöhte Selbstkontrollüberzeugung sowie eine Veränderung in der subjektiven Bewertung der Symptome. Die Häufigkeit der Rückkehr an den Arbeitsplatz ist nach Schmerzprogrammen mit psychologischer Behandlung rund zweimal höher als nach Schmerzprogrammen ohne psychologische Behandlung (68% vs. 36%). Die Follow-up-Ergebnisse zeigen, daß die Effekte langfristig stabil sind.
Literatur
Anton, F. (1993). Schmerzmessung. In M. Zenz & I. Jurna (Hrsg.), Lehrbuch der Schmerztherapie. Grundlagen, Theorie und Praxis für Aus- und Weiterbildung. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart.
Basler, H.-D., Franz, C., Kröner-Herwig, B., Rehfisch, H.P. & Seemann, H. (Hrsg.). (1999). Psychologische Schmerztherapie: Grundlagen, Diagnostik, Krankheitsbilder, Behandlung (3. Aufl.). Berlin: Springer.
Geissner, E. & Jungnitsch, G. (Hrsg.). (1992). Psychologie des Schmerzes: Diagnose und Therapie. Weinheim: Psychologie Verlags Union.
Klinger, R. (1995). Evaluation eines stationären Trainings zur Krankheitsbewältigung bei chronischen Rückenschmerzen. Regensburg: S. Roderer Verlag.
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