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Psychologielexikon

Überarbeitete Ausgabe

Psychologielexikon

Subjektivität

Autor
Autor:
Werner Eberlein

der Inbegriff dessen, was das Subjekt in seinem Sein ausmacht, seine Erfahrung und Befindlichkeit, sein Denken, Fühlen, Wünschen und Wollen und seine Fähigkeit, sich bewußt handelnd zu sich selbst und zur Welt in Beziehung setzen und Einfluß auf seine Lebensverhältnisse nehmen zu können. Obwohl während der Entstehung der Psychologie als eine eigenständige Wissenschaft an die seit der Aufklärung entfachte Selbstreflexion und Selbstthematisierung des Menschen angeknüpft wurde (etwa Wilhelm Dilthey, Wilhelm Wundt, William Stern), kommt dem Begriff in den Hauptströmungen der Psychologie bis heute keine große Bedeutung zu. Der Grund dafür liegt vor allem im wissenschaftlichen Selbstverständnis der Psychologie und in einer an den Naturwissenschaften orientierten Theoriesprache und Methodologie, in der psychische Phänomene auf einfache Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge reduziert werden und so die Fülle und Vielfalt menschlicher Erfahrung nur sehr begrenzt erfaßt werden kann.

Demgegenüber finden in den alternativen Strömungen der Psychologie systematische Auseinandersetzungen mit menschlicher Subjektivität statt. Die Psychoanalyse entwickelt eine differenzierte Begrifflichkeit menschlicher Selbsterfahrung und eröffnet dabei den Blick auf das Unbewußte und auf die Psychodynamik der Triebe (Freud, 1976). Sozialer Konstruktionismus, Diskursive Psychologie und poststrukturalistische Ansätze gehen von einer sozial-historischen Konstituiertheit individueller Subjektivität aus. Besondere Sensibilität wird dabei auf die Bedeutung diskursiver Praktiken und sozialer Ordnungssysteme gelegt und wie sich Subjekte in ihnen positionieren. Subjektivität wird hier oft als Unterschiedlichkeit der Menschen aufgefaßt, als Differenz, die im Verhältnis zu den sich verändernden sozialen Wissens- und Machtkonstellationen immer wieder neu hervorgebracht wird (Henriques et al., 1998). Die Kritische Psychologie entwirft die Psychologie als eine Subjektwissenschaft und entwickelt dazu eine historisch begründete Theoriesprache menschlicher Subjektivität. Zudem entfaltet sie eine Methodologie, die der intersubjektiven Qualität menschlicher Beziehungen gerecht zu werden versucht und in der der üblichen Objekt- bzw. Außenperspektive psychologischer Forschung ein Denken vom Standpunkt des Subjekts gegenübergestellt wird. Statt im Bedingtheitsdiskurs (Ursache-Wirkungs-Reduktion) wird Psychologie hier im Begründungsdiskurs geführt, wobei menschliches Erleben und Handeln aus dem Kontext seiner Gründe und Hintergründe und deren historischer Genese zu verstehen versucht wird (Holzkamp, 1996).

Gemeinsam ist den subjektpsychologischen Strömungen ihr Bestreben, die herkömmliche unvermittelte Gegenüberstellung von Individuum und Welt zu überwinden, und eine wissenschaftliche Theoriesprache und Methodologie zu entwickeln, mit der individuelle Subjekte mit ihren Problemen aus ihren Lebensverhältnissen heraus begriffen werden können. Dabei wird auch die Wissenschaft Psychologie nicht als eine Kultur außerhalb von Kultur, sondern als ein sozial-historischer und damit auch wandel- und veränderbarer Prozeß aufgefaßt, in den einerseits auch die Subjektivität der Forscherinnen und Forscher einfließt, der andererseits aber auch auf die gesellschaftliche Wirklichkeit und individuelle Existenz zurückwirkt. Subjektorientierte Zugänge entwickeln so neue Formen wissenschaftlicher Vorstellungskraft, in der die Erforschung menschlicher Subjektivität mit wissenschaftlicher Objektivität vereinbar wird und die Selbstthematisierung des Menschen und seiner Handlungsfähigkeit auch in der Wissenschaft Psychologie zur Sprache kommen kann.

Literatur

Freud, S. (1976). Gesammelte Werke. Frankfurt/M.: Fischer.

Henriques, J, Hollway, W., Urwin, C., Venn, C., Walkerdine, V. (1998). Changing the Subject. Psychology, Social Regulation and Subjectivity. London: Routledge & Kegan.

Holzkamp, K. (1996). Psychologie: Verständigung über Handlungsbegründungen alltäglicher Lebensführung. Forum Kritische Psychologie, (36), 7-112.


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