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Psychologielexikon

Überarbeitete Ausgabe

Psychologielexikon

Prävention

Autor
Autor:
Klaus-Dieter Zumbeck





Begriffe und Geschichte

Prävention stammt vom lateinischen"praevenire" und bedeutet bedeutet "vorher kommen", "früher ankommen". Der konkurrierende und oftmals gleichsinnig benutzte Begriff Prophylaxe hingegen stammt aus dem Griechischen und bedeutet "vorher kämpfen", "den Erstschlag führen". Nun mag es mehr als nur Geschmackssache sein, ob man den mehr sportlichen oder den eher kriegerischen Aspekt für das hervorheben will, was mit Vorbeugung gemeint ist. In jedem Falle gilt es, schneller sein als andere, der Gefahr und Gefährdung zuvorkommen. In jedem Fall geht es um die Verhinderung von (psychischem) Leid und Störungen.

Die Prävention im modernen Sinn ist keine Erfindung der Psychologie, der Pädagogik oder des Jugendschutzes. Prävention hat sich vielmehr zunächst im Bereich der Medizin durchsetzen können: In der Bekämpfung von Seuchen und Infektionskrankheiten haben im 19. und frühen 20. Jahrhundert die klassischen Instrumentarien der Kontrolle und Absonderung versagt. An ihre Stelle traten – zumindest solange kein wirksames medizinisches Therapeutikum oder kein Impfstoff gefunden war – massive Kampagnen für Verhaltensänderungen. Prominentes Beispiel dieser – erfolgreichen – Strategie ist die Bekämpfung der Tuberkulose durch die Einschränkung des öffentlichen Spuckens (was durch Verhaltensbeeinflussung und u.a. durch die Aufstellung von Spucknäpfen befördert wurde). Ein Beispiel aus der Gegenwart ist die weitgehende Eindämmung der HIV-Epidemie in Nordeuropa durch massive Verhaltensbeeinflussung und -änderung in den am stärksten risikobehafteten Gruppen.

Präventive Maßnahmen können sich dabei sowohl auf körperliche Erkrankungen wie psychische Störungen beziehen. Unterschieden werden primäre, sekundäre und tertiäre Prävention. Eng verbunden mit "Prävention" ist auch das Konzept der Salutogenese. Dabei sind Verwechslungen der Ebenen und Typen von Maßnahmen ausgesprochen häufig; und der Sprachgebrauch, auch in wissenschaftlichen Publikationen, ist nicht immer eindeutig und konsent. Es empfiehlt sich deshalb, die Unterscheidung an einfachen Beispielen zu verdeutlichen .



Präventionsprogramme und psychosoziale Versorgung

Präventive Konzepte wurden im Rahmen der Reform der psychosozialen Versorgung und der Etablierung gemeindepsychologischer Präventionsansätze bereits Anfang der 70er Jahre entwickelt. Im deutschen Gesundheitssystem spielt die Prävention jedoch nach wie vor eine eher untergeordnete Rolle, da der Schwerpunkt der Versorgung auf der kurativen Einzelfallbetreuung liegt. Staatliche Maßnahmen zur Gesundheitsvorsorge sind daher primär regulativer Art (soziale Kontrolle). Aufgrund der stetig anwachsenden Zahl chronisch kranker Patienten und nicht zuletzt durch die damit verbundene starke finanzielle Belastung für das Gesundheitswesen hat jedoch in den letzten Jahren das Interesse zugenommen, Krankheiten vor ihrer Entstehung zu verhindern oder Langzeitfolgen der Erkrankungen zu minimieren. Hohe Kosten entstehen vor allem aufgrund anhaltender Funktionseinschränkung verbunden mit Arbeits- und Erwerbsunfähigkeit, Inanspruchnahme von Gesundheitsversorgungsleistungen (Arztbesuche, anhaltender Medikamentenkonsum). Mit der Etablierung der Gesundheitspsychologie”-Sektionen in psychologischen Instituten und der Einführung des Studienganges ”Public Health” konnte die Präventionsforschung in den letzten Jahren an universitäre Einrichtungen angegliedert werden.

Viele der primären Präventionsprogramme wenden sich an Personengruppen, deren Risiko, eine bestimmte Krankheit auszubilden, erhöht ist. Über die Veränderung individueller Verhaltensweisen oder -möglichkeiten soll die Wahrscheinlichkeit manifester Störungen verringert werden. Eine der Aufgaben der Prävention ist damit, diese Risikogruppen zu definieren und Risikobedingungen zu identifizieren. Unter Verwendung psychologischer und psychophysiologischer Methoden können Risikofaktoren, die kausal mit einer bestimmten Erkrankung in Zusammenhang stehen, und Risikoprädiktoren ausfindig gemacht werden. Anders als bei den Risikofaktoren kann bei den Risikoprädiktoren lediglich ein statistischer, jedoch kein kausaler Zusammenhang beschrieben werden. Studien zu unterschiedlichen Erkrankungen und Störungen machen deutlich, daß monokausale Erklärungsansätze selten ausreichend sind. Vielmehr ist eine Kombination dieser Variablen an der Ausbildung und Aufrechterhaltung von Krankheiten beteiligt. In interaktionistischen Modellen, die biologische, psychologische und soziale Faktoren gleichermaßen berücksichtigen, kann dieses Zusammenwirken beschrieben werden. So werden beispielsweise für das Auftreten einer Phobie eine dispositionelle Komponente, aber auch eine lerngeschichtliche Entwicklung (z.B. Erfahrungen von Hilf- und Kontrollosigkeit) in einem definierten sozialen Umfeld (z.B. ängstliche Modellpersonen) angenommen.



Präventionsplanung und Präventionsmaßnahmen

Bei der Planung präventiver Maßnahmen werden die ermittelten Risikobedingungen in handlungsnahe Empfehlungen überführt. Auf der Ebene der präventiven Verfahren müssen individuumsorientierte Strategien von populationsorientierten unterschieden werden. Im ersten Fall geht es um eine Verhaltensänderung einzelner Personen zur Reduktion ihres individuellen Gesundheitsrisikos; entscheidend sind hier individuelle biologische und lerngeschichtliche Voraussetzungen. Steht die Einzelperson im Vordergrund präventiver Bemühungen, so können Informationen zu gesundheitsbezogenen und sozialen Konsequenzen von Risikofaktoren und die Vermittlung funktionaler Verhaltensweisen z.B. in einem Problemlösetraining sowie die konkrete Einübung des Alternativverhaltens angeboten werden. Zur Prävention essentieller Hypertonie wird beispielsweise die Implementierung von Entspannungs- und Streßbewältigungstechniken im Alltag geplant und umgesetzt und Maßnahmen wie Gewichtsreduktion und Nahrungsumstellung vorbereitet. Für Diabetiker wird dagegen ein Training angeboten, bei dem die Betroffenen lernen können, hypoglykämische Zustände schneller wahrzunehmen und rechtzeitig auf Diabetesfolgeerkrankungen wie Durchblutungsstörungen oder Augenerkrankungen zu reagieren. Im zweiten Fall handelt es sich um öffentlich wirksame Präventionsmaßnahmen, die durch physikalische, kulturelle und ökologische Variablen bestimmt sind und an der Veränderung von Umweltverhältnissen ansetzen. Strategien öffentlicher Prävention umfassen beispielsweise ökonomische Anreize für gesundheitsbewußtes Verhalten (z.B. Bonus für halbjährlichen Zahnarztbesuch) und Sanktionen für gesundheitsgefährdendes Verhalten (z.B. erhöhte Versicherungskosten bei Tabak- und Alkoholmißbrauch) oder passiven Schutz vor Umweltrisiken (z.B. straßenbauliche Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung).

Die größte Schwierigkeit in der Umsetzung präventiver Programme liegt in der mangelnden Compliance (Befolgen der intendierten Maßnahmen). Anders als die populationsbezogenen Überlegungen, die sich auf epidemiologische Daten stützen und entsprechende staatlich kontrollierte präventive Maßnahmen notwendig machen, werden individuelle Entscheidungen einzelner Personen durch eine subjektive Kosten-Nutzen-Analyse bestimmt. So zeigt ein Großteil der Risikogruppen ungeachtet einer Aufklärung über Gesundheitsrisiken krankheitsförderndes Verhalten. Die Gründe hierfür sind in der indivuellen Risikowahrnehmung, den Kontrollüberzeugungen, Selbstkontrollmöglichkeiten, Erwartungen von Handlungsfolgen, Attributionen und Vorstellungen von Selbstwirksamkeit zu suchen. Zusätzlich sind Determinanten des sozialen Umfeldes wie soziale Unterstützung von Bedeutung.

In verschiedenen theoretischen Ansätzen werden Modelle zum Gesundheitsverhalten dargestellt, die eine Vorhersage über die Inanspruchnahme präventiver aber auch therapeutischer Maßnahmen erlauben. So geht das Modell der gesundheitlichen Überzeugung (health belief model) davon aus, daß Menschen dann präventive Maßnahmen ergreifen, wenn sie sich durch eine Krankheit persönlich gefährdet sehen, sie aufgrund dieser Erkrankung für sich ernsthafte Konsequenzen erwarten, sie von der Effektivität der präventiven Maßnahme überzeugt sind und keine oder nur geringe Anstrengungen das Ausführen der Maßnahme behindern. So nehmen beispielsweise Patienten mit essentieller Hypertonie nur relativ selten Präventionsangebote wahr, weil die Symptome ihrer Erkrankung für sie selbst häufig nicht wahrnehmbar sind und der subjektive Leidensdruck gering ist.



Umsetzungsprobleme

In der Umsetzung präventiver Programme wird aufgrund des Problems mangelnder Compliance die Beachtung einiger grundlegender psychologischer, kommunikationstheoretischer und auch wirtschaftstheoretischer Ansätze vorgeschlagen. Gemäß der sozial-kognitiven Theorie von Bandura wird neues Verhalten primär über reale, fiktive und symbolische Modelle erlernt. So bietet sich beispielsweise bei präventiven Programmen zum Mißbrauch von Alkohol und Drogen bei Jugendlichen die Einbeziehung gleichaltriger Tutoren als Modell bei Rollenspielen an, in denen die Jugendlichen den Umgang mit Aufforderungen zum Drogenkonsum üben können. Im Rahmen sekundär- und tertiärpräventiver Maßnahmen erhält oft auch das bewältigende Verhalten von ebenfalls Betroffenen einen Modellcharakter. Therapien in Gruppen und vor allem die Teilnahme an Selbsthilfegruppen erhöhen daher häufig die Akzeptanz präventiver Maßnahmen und folglich auch die Compliance. Banduras Modell fordert darüber hinaus, daß der (die) Lernende die Erwartung haben muß, daß das neue Verhalten zu positiven Konsequenzen führt und er/sie in der Lage ist, das Verhalten auch realisieren zu können (self-efficacy). Die möglichst konkrete Anleitung für das neue Verhalten mit häufiger Verstärkung ist daher ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Etablierung des neuen Verhaltens. In präventiven Programmen zum Risko der Infektion mit dem HIV-Virus etwa wird den Teilnehmern nicht nur der Sinn von ”safer sex”-Praktiken erläutert, sondern auch demonstriert, wie und wann sie eingesetzt werden.

Wirtschaftstheoretische Ansätze dagegen verstehen präventive Maßnahmen als ein Produkt, das ”verkauft” werden muß. Die Gestaltung des Produktes ”Prävention” (z.B. Verfügbarkeit, Aufmachung, Positionierung) kann dabei ähnlich erfolgen wie die eines Konsumgutes. So kann z.B. allein die ansprechende Bezeichnung eines Programmes oder die attraktive Gestaltung des didaktischen Materials die Akzeptanz gegenüber den präventiven Maßnahmen erhöhen.



Evaluation

In der Evaluation präventiver Maßnahmen steht deren Effektivität und Effizienz im Vordergrund. Nur die präventiven Ansätze, die von der Hochrisikogruppe oder betroffenen Personen tatsächlich erreicht und umgesetzt werden, können letztlich einen wirksamen Schutz vor Erkrankung oder Chronifizierung bieten. Im Rahmen einer Qualtitätskontrolle präventiver Maßnahmen werden daher die Struktur (z.B. Personal, didaktisches Material), Prozesse (z.B. wie werden Interventionen durchgeführt?) und die Ergebnisse präventiver Maßnahmen evaluiert. Für die Bewertung der Ergebnisse präventiver Bemühungen stehen verschiedene Modelle zur Verfügung, von denen einige ausschließlich den erzielten Effekt bewerten (z.B. prä-post-Vergleich der durchschnittlichen Schmerzintensität beim Programm zur sekundären Prävention von Rückenschmerzen) andere hingegen eine Kosten-Nutzen- oder Kosten-Wirksamkeitsanalyse heranziehen. Während bei der Kosten-Nutzen-Analyse sowohl die Kosten- wie auch die Nutzenseite als Geldwert angegeben werden, bezieht die Kosten-Wirksamkeitsanalyse auch nichtmonitäre Effekte wie die Verbesserung der Lebensqualität in ihre Überlegungen ein. Mit dem Beginn der Evaluation einzelner präventiver Programme werden demnächst auch umfassendere Aussagen über den Nutzen präventiver Maßnahmen möglich sein.

Literatur

Weitkunat, R., Haisch, J. & Kessler, M. (Hrsg.) (1997). Public Health und Gesundheitspsychologie. Bern: Verlag Hans Huber.

Laaser, U., Sassen, G., Murza, G., Sabo, P. (1987). Prävention und Gesundheitserziehung. Berlin: Springer-Verlag.

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