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Psychologielexikon

Überarbeitete Ausgabe

Psychologielexikon

Schizophrenie

Autor
Autor:
Manuela Bartheim-Rixen

»Spaltungsirresein«, eine Gruppe von Psychosen, die früher als »Dementia praecox« bezeichnet worden sind. Anders als die manisch-depressiven Psychosen, die ein extremes Schwanken der Gefühlslage mit sich bringen, kommt es in der Schizophrenie zu einer Auflösung der geistigen Zusammenhänge. Die äußere Wirklichkeit wird verkannt, das innere Erleben wird mit ihr verwechselt. Der Kranke flüchtet sich in einen Wahn. Es gibt mehrere unterscheidbare Formen: die Hebephrenie (Jugendirresein), die vor allem nach der Pubertät auftritt; die Katatonie (Spannungsirresein), die sich in Bewegungsstörungen und Erregungszuständen ausdrückt; die Paranoia als Verfolgungs-, Größen und Beziehungswahn. Gemeinhin denkt man bei dem Wort »Schizophrenie« an einen Bewußtseinszustand, in dem ein Teil als fremd, ja als gegnerisch erlebt wird. Das ist die äußerste Form einer Empfindung, die Goethe im »Faust« ausgedrückt hat: »Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust!« Kretschmer hat die Neigung zur Schizophrenie am häufigsten bei Personen mit leptosomem (schlankwüchsigem) Körperbau gefunden. Im normalen Bereich heißt die Neigung zu Grübelei, Verschlossenheit und Gehemmtheit schizothym. Als schizoid bezeichnet man Menschen, bei denen diese Anlage sich so gesteigert hat, daß sie als krank anzusehen sind, ohne jedoch schon einem beherrschenden Wahn verfallen zu sein (Psychopathen). Die eigentliche Schizophrenie bedarf der Behandlung in einer Anstalt (Psychiatrie). Doch kann sie auch dort meist nur gedämpft, nicht eigentlich geheilt werden. Unter den Krankheitsursachen spielen Erbanlagen gewiß eine große Rolle, aber über ihnen dürfen die Erfahrungen und Versagungen als auslösende Faktoren nicht übersehen werden. Wie alle anderen seelischen Krankheiten ist auch die Schizophrenie das Extrem eines Konfliktes, wie er in unzähligen Lebenssituationen entsteht.Spaltungsirresein; der Ausdruck wird in verschiedenen Lehren der Nervenheilkunde sehr unterschiedlich verwendet (so spricht man in den Vereinigten Staaten viel häufiger von Schizophrenie als in Deutschland, wo manche Wissenschaftler diesen Begriff nur auf besonders schwere, zu dauernder Pflegebedürftigkeit führende Fälle anwenden möchten). Die Erkrankungswahrscheinlichkeit beträgt in den Industrieländern etwa 1 Prozent der Bevölkerung; die Gesamtzahl der Schizophrenen schätzt man hier auf 9 bis 15 Millionen. Bei der Erkrankung zeigen sich viele verschiedenartige Symptome. Das wichtigste ist wohl das Erleben, daß die eigenen Gefühle, Gedanken oder Handlungen anderen Menschen bekannt oder von diesen gemacht seien. Dazu kommen (auch als Erklärungsversuch) Wahnvorstellungen, daß äußere Kräfte (Hexerei, Röntgenstrahlen, Mikrochirurgie) verantwortlich dafür seien. Halluzinationen treten auf, oft Stimmen, welche das Denken und Handeln der Patienten erörtern. Das Sprechen und der Gedankenablauf sind oft erheblich gestört; der Patient findet, daß alltägliche Vorgänge wie Fernsehnachrichten eine besondere, auf ihn gemünzte Bedeutung haben. Je nach den vorherrschenden Krankheitszeichen unterscheidet man Unterformen der Schizophrenie: Die paranoide Schizophrenie mit Wahnvorstellungen, meist einem Verfolgungswahn und Halluzinationen, die Hebephrenie (Jugendirresein) mit kindischem Verhalten, Gedankenstörungen, Albernheit, die Katatonie (Spannungsirresein) mit vorwiegenden Störungen der Körperbewegungen und der Aufmerksamkeit (völlige Unansprechbarkeit, Starre oder heftige körperliche Erregung mit fieberhaften Zuständen). Von schizoaffektiven Psychosen spricht man, wenn eine Geisteskrankheit zugleich Zeichen des manisch-depressiven (Manie) und des schizophrenen Geschehens zeigt. Für praktische Zwecke bewährt sich eine grobe Einteilung in eine Kerngruppe der Schizophrenie (mit ungünstigen Heilungsaussichten und typischen Symptomen) von einer (weit größeren) Randgruppe mit untypischen Symptomen und guten Aussichten auf Besserung oder Heilung.

Über die Entstehung der Schizophrenie gibt es verschiedene Vorstellungen. Die Theorie einer Erbkrankheit ist inzwischen aufgegeben worden, obwohl eine ererbte Anlage wohl die Rolle einer Teilursache (Disposition) spielt. Ohne eine solche Anlage wird auch bei sehr großen Belastungen wohl keine Schizophrenie auftreten. Andererseits vermindert sich trotz ihrer geringeren Fortpflanzungsrate der Bevölkerungsanteil an Schizophrenen nicht; es kann sich also nicht um eine einzige Anlage handeln, sondern nur um eine Verbindung (möglicherweise eine ungünstige Kombination) von sonst günstigen Anlagen. Es scheint notwendig, daß zu diesen Erbeinflüs-sen verschiedene Einflüsse in der Kindheit treten. Familien mit einem schizophrenen Mitglied zeigen schwer gestörte Formen des Umgangs miteinander, vor allem in der Kommunikation (Doppelbindung). Sie haben ihre eigenen, häufig sehr unvernünftigen und absonderlichen Werte, die nach außen hin nicht deutlich in Erscheinung treten, jedoch die Wirklichkeitsanpassung des Kindes beeinträchtigen. Die Schizophrenie wird dann offenkundig, wenn das Kind vor der Aufgabe steht, selbständig zu werden und sich von den Eltern unabhängiger zu machen. Es findet sich nicht in der weiteren gesellschaftlichen Wirklichkeit zurecht; es kann die Vorstellungen und Werte der Eltern nicht mehr annehmen, aber auch von den verinner-lichten Idealvorstellungen nicht loskommen. In der Behandlung der Schizophrenie muß häufig eine Nach-Er-ziehung stattfinden. Eine mit Hilfe von Medikamenten oft leicht zu erreichende Ruhigstellung (Psychopharmaka) behebt die Gefahr eines Rückfalls meist nicht. Um eine Wiedereingliederung des Kranken zu erreichen, ist es notwendig, ihn in geschützten Arbeitsplätzen, verbunden mit anhaltender psychotherapeutischer Betreuung, allmählich von seinen (häufig höchst ehrgeizigen) inneren Idealen zu befreien und ihm eine befriedigende selbständige Lebensführung zu ermöglichen. Leider wird diese Rückführung der Schizophrenen in die Gesellschaft trotz der guten Heilungsaussichten durch ungenügende Unterstützung von seiten des Staates und durch verschiedene Vorurteile (an denen die früheren Erbtheorien der Ärzte selbst nicht unschuldig sind) behindert.

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