Psychologielexikon

Postmoderne

ein 1979 von dem französischen Philosophen Jean-François Lyotard (1924-1998) geprägter Begriff ("La condition post-moderne"). Er bezeichnet keine zeitlich eingrenzbare Epoche, sondern ist ein Sammelbegriff für verschiedene kritische Sichtweisen auf die rationale Moderne, die teilweise bereits lange vor Lyotard formuliert worden sind. Zentraler Angriffspunkt der postmodernen Kritik an der Moderne ist deren Vertrauen auf den allgemeinen Fortschritt, auf wissenschaftlich-technische, politische und ökonomische Großprojekte, auf universalistische Erklärungsmuster und Theorieentwürfe. An deren Stelle hätten die Vielfalt und das Besondere, das Partikulare und das Zeitgebundene in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu treten. In ähnliche Richtung weist die Rede vom Ende der "großen Entwürfe" bzw. der "großen Erzählungen" in Philosophie, Kunst-, Sozial- und Geschichtswissenschaften. In der Psychologie richtet sich die Kritik gegen den Anspruch naturwissenschaftsanaloger Erkenntnisbildung, die zugunsten allgemeiner Aussagen die Geschichtlichkeit und Kulturalität des Psychischen ebenso vernachlässige wie die Vielfalt der Lebensformen und Diskurse, in die der einzelne eingebunden ist und in denen er seine Identität immer wieder neu akzentuiert. Insofern alternative Wissenschaftskonzepte aber selbst mit universalistischen Geltungsansprüchen auftreten, richtet sich die postmoderne Kritik auch gegen diese. Am postmodernen Denken wird vor allem der Relativismus und die Beliebigkeit kritisiert, z.B. hinsichtlich moralischer Geltungsansprüche. Dem stellt Richard Rorty seine liberale Utopie gegenüber, nach der Solidarität nicht durch übergeordnete Prinzipien, sondern durch eine Steigerung der Sensibilität für das Leiden anderer Menschen geschaffen wird.

Literatur

Engelmann, P. (Hrsg.). (1990). Postmoderne und Dekonstruktion. Texte französischer Philosophen der Gegenwart. Stuttgart: Reclam.