Stammesgeschichte des Verhaltens, Verhaltensphylogenese. Das menschliche Verhalten basiert neben ontogenetischen Einflüssen auf Leistungen und Merkmalen, die das Produkt der Stammesgeschichte sind. In der Humanethologie sind kulturunabhängige Universalien aus dem Kulturenvergleich und Ähnlichkeiten beim Mensch-Tier-Vergleich Hinweise auf die Möglichkeit einer phylogenetischen Erwerbung. Der Mensch besteht, wie jeder andere Organismus auch, aus verschieden alten Merkmalen, da viele Merkmale und ihre stammesgeschichtlichen Vorstufen und Vorbedingungen im Verlauf der Evolution bestehen bleiben. Dies gilt für die (Neuro-) Anatomie und für Leistungen des Verhaltens gleichermaßen (psychogenetische Grundregel). Bei der Untersuchung stammesgeschichtlicher Zusammenhänge kann durch die Rekonstruktion der Vorstufen das "So-und-nicht-anders-Sein" eines Verhaltensmerkmals Aussagen zu seinem Alter gemacht werden. Ein Beispiel: Die Brutpflege und das Mutter-Kind-Band waren bei unseren frühen Säugetiervorfahren stammesgeschichtliche Vorbedingungen für die Evolution sozialer Bindungen bei unseren Primatenvorfahren. Elemente des Brutpflegeverhaltens (z.B. Mund-zu-Mund-Füttern, Lausen) fanden im Rahmen dieser evolutionären Entwicklung eine zusätzliche Verwendung als sozial freundliches Verhalten zwischen Erwachsenen (z.B. das Küssen und die soziale Haar- und Hautpflege). Die Frage etwa, ob "kindliche Sexualität" (z.B. Herzen, Schmusen, Kuß) in das Brutpflegeverhalten mit den Eltern einfließt (wie Freud für den Menschen annahm), oder Brutpflege in die Erwachsenensexualität und in das Sozialverhalten, konnte zugunsten letzterer durch die Rekonstruktion der Stammesgeschichte entschieden werden.
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