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Psychologielexikon

Überarbeitete Ausgabe

Psychologielexikon

politischer Skandal

Autor
Autor:
Werner Eberlein

liegt – ausgehend von einer öffentlich gewordenen Wertkrise – dann vor, wenn 1) die Akteure des politisch-administrativen Systems unmittelbar und auslösend involviert sind, 2) die moralischen Grundlagen der Politik und die politische Kultur negativ berührt werden und die Auseinandersetzung darüber die Form eines Konflikts annimmt, 3) ein faktischer oder vermuteter Mißbrauch eines öffentlichen Amtes oder Mandats zu privaten oder parteilichen Zwecken sichtbar wird. Politiker und politische Prozesse werden in einer entwickelten politischen Kultur an moralischen Maßstäben gemessen – ganz im Kontrast zur Redeweise vom “schmutzigen Geschäft” der Politik. Öffentlich verarbeitete Skandale können deshalb auch als Seismografen einer moral-orientierten Skandalkultur gelten. Der von Richard Nixon und seiner Administration verursachte Watergate-Skandal (1972–1974) wurde intensiv und interdisziplinär empirisch analysiert; über andere Skandale liegen meist nur deskriptive Fallstudien vor. Die wichtigsten Befunde lassen sich wie folgt zusammenfassen: 1) Medien transformieren latente skandalöse Zustände in manifeste Skandale und schaffen ein politisches Skandalbewußtsein. 2) Medien dienen auch als Transportvehikel für “inszenierte” Skandale, für Diffamierungskampagnen und Desinformationen. 3) Medien unterscheiden sich hinsichtlich der Berichterstattung und der Wirkung auf die Rezipienten. 4) Mediennutzer präferieren unterschiedliche Medien – je nach ihrer politischen Voreinstellung. 5) Medien leisten eine Starthilfe; längerfristige Skandalwirkungen basieren jedoch auf intensiven Verarbeitungsprozessen der Nutzer. 6) Skandale haben einen hohen, meist aber kurzlebigen Aufmerksamkeitswert in der Öffentlichkeit. 7) Skandale werden vom Publikum einzelnen Personen angelastet (“Personalisierung”), das politische Umfeld wird dagegen vernachlässigt. 8) Politische Skandale werden als verabscheuungswürdig angesehen; dennoch gibt es Gewöhnungs- und Abstumpfungsprozesse. 9) Skandale fördern generalisiertes Mißtrauen, zunächst gegen einzelne Politiker, aber auch gegen die aufdeckenden Medien und gegen das politische System insgesamt (Politikverdrossenheit). 10) Aufgrund des Strebens nach Konsistenz und kognitiver Konsonanz sorgen Informationsabwehr und Selektionsprozesse dafür, daß Skandale nur begrenzte Veränderungen des politischen Einstellungssystems bewirken. 11) Langfristige Sozialisationswirkungen gravierender Skandale auf die Jugend wurden nicht nachgewiesen. 12) Neben Abstumpfung und Politikverdrossenheit sind auch eine Zunahme kritischer Skepsis und eine Sensibilisierung der Bevölkerung für moralische Probleme in der Politik möglich.

Literatur

Preiser, S. (1989). Ganz normale menschliche Reaktionen. Skandalverarbeitung im Spannungsfeld politischer Erfahrungen, Werte und Einstellungen. In H. Moser (Hrsg.), L’ Éclat c’est moi. Zur Faszination unserer Skandale (S. 98-117). Weinheim: Deutscher Studien Verlag.


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