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Psychologielexikon

Überarbeitete Ausgabe

Psychologielexikon

Stereotypengenauigkeit

Autor
Autor:
Anneliese Widmann-Kramer

die Genauigkeit von Stereotypen, eine wichtige Frage, die sich immer dann stellt, wenn man eine Antwort auf die Validität unserer sozialen Wahrnehmung für die soziale Realität sucht. Der sozialpsychologischen Forschung zu Stereotypen und Vorurteilen unterliegt dabei implizit die Annahme, daß diese ungenau und falsch sind. Für die Ursachen dieser ”Fehlfunktionen” werden unterschiedliche Erklärungen herangezogen, so bspw. von seiten psychodynamischer Ansätze eine bestimmte Charakterstruktur, die u.a. durch rigide Denkmuster gekennzeichnet ist (Theorie der autoritären Persönlichkeit) Im Rahmen soziokultureller Ansätze werden Konflikte zwischen den betreffenden Gruppen als wesentliche Ursache betrachtet (Theorie des realistischen Gruppenkonflikts) und seitens kognitiver Ansätze Kategorisierungsprozesse, die zwar einerseits eine ökonomische Informationsverarbeitung gewährleisten, andererseits jedoch unweigerlich zu Beurteilungsfehlern (z.B. Übergeneralisierung) führen. Wie sich in zahlreichen Untersuchungen zeigen ließ, können sich Stereotype in Abhängigkeit von situativen Einflüssen dramatisch verändern, wenn bspw. zwischen den betroffenen Gruppen Konflikte ausbrechen oder aber beigelegt werden (wie z.B. in den europäischen Staaten zur Zeit der beiden Weltkriege oder aber durch den Zusammenschluß der europäischen Staaten in der EU). Stereotype sollten somit nicht von vornherein als falsch, übertrieben und änderungsresistent klassifiziert werden. Andererseits will dieser erneute Annäherungsversuch zur Untersuchung der Validität von Stereotypen auf gar keinen Fall die negativen Konsequenzen von Stereotypen (z.B. Diskriminierung) auch nur im Ansatz legitimieren.

Diesen Ansätzen (Stereotype als Resultat eines fehlerhaften Denkprozesses oder als ungenaue und falsche Generalisierung) steht das von Allport (1954) beschriebene Konzept des wohlverdienten Rufes gegenüber, ausgedrückt in der 1948 von Zawadsky formulierten ”Körnchen-Wahrheit-Hypothese”: Vorurteilsträger werden als an den ihnen entgegengebrachten Stereotypen nicht ganz unschuldig betrachtet. Die Frage nach der Genauigkeit von Stereotypen läßt sich jedoch nicht losgelöst vom jeweiligen Inhalt des Stereotyps sowie von einer Reihe methodischer und theoretischer Aspekte beantworten. Dabei hat sich die Suche nach geeigneten Kriterien für die Genauigkeit der Stereotype als eines der Hauptprobleme herausgestellt. Zudem lassen sich mindestens drei Aspekte von Genauigkeit bzw. Ungenauigkeit unterscheiden:

– die inhaltlich zutreffende oder nicht-zutreffende Charakterisierung,

– die Über- bzw. Unterschätzung der Ausprägung eines Merkmals,

– die Verbreitung oder Verteilung des Stereotyps in der Gruppe.

Die Einschätzung der Genauigkeit eines Stereotyps hängt zudem in entscheidendem Maße von dem verwendeten Verfahren zur Erfassung des Kriteriums ab: Stereotypie-Maße und Persönlichkeitsmaße, Verfahren zur Erfassung von Auto-Stereotyp und Hetero-Stereotyp, objektive Kriterien. Alle drei Untersuchungsansätze sind allerdings nur bedingt verwendbar: Die Erfassung von Persönlichkeitsmerkmalen über Fragebögen wirft die generelle Problematik der Validität von self-report-Daten auf, bei denen i.d.R davon ausgegangen werden kann, daß vor allem eher negative Merkmale in ihrem Ausprägungsgrad ”moderater” dargestellt werden. Die Übereinstimmung von Auto- und Heterostereotyp besagt letztendlich nichts anderes, als daß beide Gruppen über die relevanten Stereotype informiert sind, aber nichts darüber, ob die Befragten auch diesen Attributionen zustimmen.

Literatur

Lee, Y. T., Jussim, L.J. & McCauley, C.R. (1995).(Eds.). Stereotype Accuracy. Washington, DC: APA.


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