Psychologielexikon

Binswanger

Binswanger, Ludwig, 1881-1966, international renommierter, vorwiegend in der Forschung tätiger Psychiater aus Kreuzlingen (Schweiz), der in dritter Generation etwa 45 Jahre lang der "Klinik Bellevue" vorstand, die sein Großvater 1857 als "Asyl für Geisteskranke" ins Leben gerufen hatte. Binswanger studierte Medizin in Lausanne, Heidelberg und Zürich. Als Assistent von Bleuler und Jung am Zürcher "Burghölzli" promovierte er 1907 und knüpfte Kontakte zu Freud, bevor er sich in einer einjährigen Assistenz bei seinem Onkel Otto Binswanger, dem Leiter der psychiatrischen Klinik in Jena, mit der neurologischen Untersuchung organischer Psychosen vertraut machte. Binswangers Hauptziel lag in der Erfassung der Wirklichkeit kranker Menschen. Die philosophischen bzw. wissenschaftlichen Strömungen seiner Zeit dienten ihm daher zur Verfeinerung der Empirie (Übertragung geisteswissenschaftlicher Positionen auf die empirische Psychiatrie). Er wandte die von Martin Heidegger und Edmund Husserl geäußerten Prinzipien der existentiellen Phänomenologie auf die Psychiatrie an. Psychische Auffälligkeiten seien eine Folgeerscheinung eines gestörten Selbstbilds des Patienten und seiner inadäquaten Beziehungen zur Umwelt. Die analytisch orientierte Therapie verfolgte demzufolge das Ziel, die Sicht von sich selbst zu korrigieren. Dabei standen Gedanken der Ganzheitlichkeit und Einzigartigkeit der Person im Vordergrund. Binswanger wies die Entstehung jeglicher Dogmen von sich und schloß sich keiner wissenschaftlichen Schule an. Er erhielt Ehrendoktorwürden der Universitäten Basel und Freiburg und war Träger der Internationalen Kraepelin-Medaille. Sein Werk "Grundformen und Erkenntnis menschlichen Daseins" ist besonders bekannt.

Literatur

Binswanger, L. (1993). Ausgewählte Werke. Bd. 1-4 (Hrsg. von M. Herzog & H.-H. Braun). Heidelberg: Asanger.