Biographieforschung, umfaßt im weitesten Sinne alle Forschungsansätze, die sich mit biographischem Material beschäftigen. In engerem Sinne bezeichnet Biographieforschung einen Teil der qualitativen Sozialforschung, der sich der interpretativen Analyse autobiographischer Erzählungen widmet. Der Beginn der sozialwissenschaftlichen Biographieforschung wird der Chicago School of Sociology zugerechnet, insbesondere dem ab 1918 von Thomas und Znaniecki vorgelegten Werk "The Polish Peasant in Europe and America". In Deutschland setzte Anfang der 70er Jahre zunächst in der Soziologie ein breiteres Interesse an der Biographieforschung ein, dem sich Psychologie, Erziehungswissenschaften, Geschichtswissenschaften, Ethnologie, Volkskunde und Theologie anschlossen. In der Psychologie hat H. Thomae bereits in den 60er Jahren die Bedeutung biographischer Forschung für die Entwicklungspsychologie hervorgehoben. Er unterschied verschiedene "Daseinstechniken" in der Auseinandersetzung mit alternsspezifischen Belastungssituationen. Ein weiterer wichtiger Bezugspunkt psychologischer Biographieforschung ist die Psychoanalyse.
Die Analyse autobiographischer Erzählungen zielt auf die Rekonstruktion der Eigenperspektive des Erzählenden; dabei interessieren sowohl individuelle Entwicklungsverläufe als auch kultur- und kohortenspezifische kollektive Erfahrungsbereiche. Verschiedene sequenzanalytische Verfahren (z.B. Tiefenhermeneutik, Objektive Hermeneutik (Hermeneutik, objektive) Deutungsmusteranalyse, Metaphernanalyse) ermöglichen es, auch latente Sinngehalte der Erzählungen herauszuarbeiten. Methodologisch bedeutsam ist die Unterscheidung zwischen dem Lebenslauf als tatsächlicher Ereignisabfolge und den reflexiven Deutungen dieser Ereignisse in lebensgeschichtlichen Erzählungen (Dokumentenanalyse, Narrative Psychologie).
Literatur
Jüttemann, G. & Thomae, H. (Hrsg.). (1997). Biographische Methoden in den Humanwissenschaften. Weinheim: Psychologie Verlags Union.
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