Aufdeckungsarbeit, eine seit den 80er Jahren bei der Diagnostik sexuellen Mißbrauchs diskutierte Thematik. Insbesondere Kinder - so die Hyopthese - können sich an erlebte sexuelle Mißbrauchshandlungen bewußt oder unbewußt, partiell oder gänzlich, nie mehr oder nur für einen bestimmten Zeitraum nicht erinnern bzw. können entsprechende Gedächtnisinhalte nicht verbalisieren (entsprechend dem von der Psychoanalyse angenommenen Phänomen der Verdrängung traumatischer Erfahrungen als Folge posttraumatischer Amnesien - Psychotraumatologie - oder des sog. "Geheimnisdrucks", den ein Täter auf das Opfer zwecks Geheimhaltung ausübt). Ausgangspunkt der Aufdeckungsarbeit ist die Vermutung eines sexuellen Mißbrauchs, die sich nicht unbedingt auf die konkrete Äußerung eines Kindes, sondern häufig auf ein breites Spektrum kindlicher Verhaltensweisen stützt, denen ein eindeutiger Indikatorwert für sexuelle Mißbrauchserfahrungen zugeschrieben wird. Der Einsatz vielfältiger Aufdeckungstechniken - insbesondere in Form von Verbalisierungs- und Demonstrationshilfen (z.B. "die Geschichte von dem anderen Kind", Konjunktivfragen, Einsatz von Aufklärungsbüchern), soll es dem Kind in Befragungen erleichtern, den sexuellen Mißbrauch mitzuteilen.
Aufdeckungsarbeit wird allerdings in der fachlichen Diskussion mittlerweile für zumindest problematisch, ja methodisch fehlerhaft gehalten. Da psychologische Diagnostik immer eine ergebnisoffene und hypothesengeleitete Vorgehensweise erfordert, genügt bereits der Begriff "Aufdeckungsarbeit" dieser Anforderung nicht. Denn dieser Begriff impliziert als gesicherte Vorgabe, was der diagnostische Prozeß überhaupt erst überprüfen soll, nämlich daß es einen sexuellen Mißbrauch gibt, der aufzudecken ist. Kritisiert wird weiter, daß die theoretischen Voraussetzungen der Aufdeckungsarbeit auf einseitigen Interpretationen, übergeneralisierten Konzepten und vermeintlich spezifischen Symptomen in der Folge eines sexuellen Mißbrauchs beruhen, die mit empirischen Befunden nicht zu vereinbaren sind (z.B. fälschliche Annahme eines wirksamen Geheimnisdrucks auch für Altersklassen, bei denen dies aus entwicklungspsychologischen Gründen kaum anzunehmen ist). Besonders problematisiert wird zudem die potentiell suggestive Wirkung von Aufdeckungsarbeit (suggestive Fragetechniken), die zu schwerwiegenden Fehlurteilen für alle Beteiligten führen kann. Die positive Feststellung des Realitätsgehalts einer Aussage, d.h. ihre Gerichtsverwertbarkeit (Aussagepsychologie, Glaubhaftigkeit), ist nach Aufdeckungsarbeit zudem deutlich erschwert, weil nicht mehr auszuschließen ist, daß die Aussage das (Teil-) Produkt suggestiver Befragungseinflüsse ist.
All dies wirkt sich dann besonders problematisch aus, wenn im konkreten Fall vor Beginn des eigentlichen diagnostischen Prozesses beim Befragenden die Überzeugung besteht, das zu untersuchende Kind sei Opfer eines sexuellen Mißbrauchs geworden. In der Befragungssituation werden dann motivationale Prozesse wirksam, diese Überzeugung durch entsprechende Untersuchungsergebnisse zu belegen. Diese motivationale Komponente wird häufig mit dem Begriff "Aufdeckungseifer" beschrieben.
Literatur
Greuel, L., Offe, S., Fabian, A., Wetzels, P., Fabian, T., Offe, T. & Stadler, M. (1998). Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage. Weinheim: Beltz.
Steller, M. & Volbert, R. (1997). Glaubwürdigkeitsbegutachtung. In M. Steller & R. Volbert (Hrsg.), Psychologie im Strafverfahren. Bern: Huber.
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