der ungesellige Mensch, der sich als »Sonderling« nicht nach dem üblichen Verhalten richtet. Man bewundert zwar die Selbstherrlichkeit von Helden und Führern, die Unbeirrbarkeit von großen Forschern und Künstlern, aber erst ihr Erfolg und ihr Ruhm sichert sie gegen Mißtrauen und Feindschaft ab. Es hat Zeiten gegeben, in denen man dem Einzelgänger eine mit Mitleid gemischte Sympathie entgegenbrachte und sich über ihre Kuriosität amüsierte. Davon zeugen Bilder aus der Biedermeier-Zeit, etwa die Darstellung des »armen Poeten« oder des »Kakteenfreundes« durch Karl Spitzweg. Heute hat man vergessen, daß ein Genie wie Immanuel Kant auf seine Umwelt als ausgesprochener Sonderling gewirkt haben muß, und daß er vielleicht nur in dieser Lebensform, als Einsamer, sein Werk hat leisten können. Gewiß bedeutet das Einzelgängertum eine Abkapselung, Einschränkung und Verkrustung und kann als Krankheit aufgefaßt werden. Die Grenze zwischen dem Sonderling und dem Psychopathen verschwimmt. Der Einzelgänger ist in gewissem Sinne ein »Soziopath«, das heißt, er ist in seiner Beziehung zur Gemeinschaft erkrankt. Seine Haltung geht wohl immer auf Erfahrungen der Lieblosigkeit und Verständnislosigkeit nächster Mitmenschen in der Kindheit zurück. Der Einzelgänger sichert sich durch den Verzicht auf Gemeinschaft gegen den Verrat und die Feindschaft anderer ab. Doch daß man heute nahezu nur diese negativen Aspekte sieht und nicht mehr den Anteil an Mut und Freiheit, den Einzelgänger nach dem Vorbild des Diogenes in der Tonne ausdrücken, zeigt den Druck zur Anpassung in der modernen Gesellschaft.
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