1) Diagnostik: Das existentielle Leiden dieser Menschen entzieht sich einer üblichen psychiatrischen Klassifikation. Zusätzlich wird die Diagnostik durch die Ethno- und Kulturspezifität erschwert. Während die Täter unbehelligt und "normal" bleiben, werden die Opfer als psychisch krank abgestempelt. Durch die klare Benennung der Störung widerfährt dem Betroffenen aber auch Gerechtigkeit: Sein Leiden wird anerkannt als Ausdruck einer verständlichen (normalen) Reaktion auf unverständlich grausame Gewalttätigkeiten. Eine einheitliche und begründete Diagnostik erleichtert den fachlichen Austausch und erhöht die Glaubwürdigkeit und Akzeptanz (Validität, Reliabilität). Neben akuten Belastungsreaktionen werden am häufigsten posttraumatische Belastungsstörungen (Folterfolgen, Psychotraumatologie) diagnostiziert. Deren Symptome treten im Normalfall in den ersten 6 Monaten nach der Traumatisierung, gelegentlich aber auch nach einer längeren Latenzzeit auf.
2) Therapeutische Grundhaltung: Die während des therapeutischen Prozesses wachsende Beziehung ist gekennzeichnet durch das Bemühen der Therapeuten, die gefolterten Menschen - und ihre Angehörigen - mit ihren Erfahrungen solidarisch zu verstehen und anzunehmen. Die annehmende therapeutische Beziehung ist eine heilende Kontrasterfahrung zu der destruktiven menschlichen Beziehung in der Folter. Dadurch wird dem Opfer ein Teil der Würde und des Respekts zurückgegeben, die durch die Folter gezielt zerstört wurden. Wertschätzung und Verständnis bauen u.a. auf folgenden Punkten auf:
a) Gewährleistung der physischen und emotionalen Sicherheit: Unklarheit und Unberechenbarkeit einer Situation, der sie hilflos ausgeliefert waren, gehören zu den schrecklichen Erfahrungen von Gefolterten. Dies führt oft zu ausgeprägtem Mißtrauen, besonders auch Ärzten gegenüber, sowie Angst vor einer erneuten Traumatisierung durch intrusive Gedanken (Flashbacks). Deshalb muß der Patient die Gewißheit haben, daß ihm in der Behandlung nichts Böses geschieht. b) Achtung der Selbstbestimmung als therapeutischer Grundstein zur aktiven Lebensführung: Folteropfer befanden sich in extremer Form der Abhängigkeit von ihren Folterern. c) Ausdrücken von Solidarität und Bekenntnis zu den Menschenrechten: Bei vielen Folteropfern liegt in der Erinnerung an die politische Arbeit ein Rest von Selbstrespekt.
3) Therapeutische Methoden: Das übergeordnete Therapieziel besteht darin, den gefolterten Menschen zu ermöglichen, sich aus ihrer Opferrolle herauszulösen und sie zu befähigen, Überlebende der Folter mit einer aktiven Lebensgestaltung zu werden. Im Zentrum steht das Bestreben, dem Patienten eine Beziehung anzubieten und ihm Möglichkeiten zu eröffnen, auf dieses Angebot einzugehen. In der Behandlung von Folteropfern ist ein interdisziplinäres (multimodales) sowie flexibles therapeutisches Vorgehen angezeigt. Unter anderen kommen verhaltenstherapeutische, kognitive, psychodynamische, hypnotherapeutische und systemische (familientherapeutische) Methoden zur Anwendung. Körper- und Bewegungstherapie sowie Kunsttherapie sind allein oder in Ergänzung wertvoll. Ritualisierte Ansätze wie beispielsweise die Testimony therapy, die das erlittene Unrecht bezeugen, sind von besonderem Interesse. Eine ergänzende Pharmakotherapie kann vor allem zu Behandlungsbeginn notwendig sein. Im Zentrum steht die Behebung der Schlafstörungen sowie die Dämpfung der Angst und der sympathikotonen Erregung.
Literatur
Frey, C., Kläui, H. & Vogel, H. (1998). Diagnostik und Therapie bei Folteropfern. In G.-H. Burchard (Hrsg.), Erkrankungen bei Immigranten: Diagnostik, Therapie, Begutachtung (S. 325-337). Stuttgart: G. Fischer.
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