jede freiwillig durchgeführte Tat, die das Ziel hat, eine andere Person zu unterstützen. Hilfeverhalten ist ein Beispiel des weiter gefaßten Begriffes sozialen Verhaltens. Der Großteil an empirischer Forschung zum Hilfeverhalten entstand erst seit Beginn der 60er Jahren. Im anglo-amerikanischen Raum gab es einen Schub durch den Fall Kitty Genovese, bei dem eine Frau mitten in New York überfallen und getötet wurde. Obwohl der Überfall 45 Minuten andauerte, kam niemand zur Hilfe, nicht einer von 38 Zeugen rief zumindest die Polizei. In der Folgezeit kam es zu einer Vielzahl an experimentellen Studien. Latané und Darley beispielsweise fanden heraus, daß je mehr Personen Zeuge eines Notfall sind, desto unwahrscheinlicher ist es, daß zumindest einer von ihnen helfen wird (bystander effect). Das folgende 5-Stufen Modell beschreibt, ob und wann ein Beobachter einer Person in einer Notsituation hilft. Dies hängt von sequentiellen Entscheidungen ab: Der Beobachter muß
1) die Situation zunächst überhaupt wahrnehmen. Dabei zeigte sich, daß Personen in Eile anderen Menschen in der Not seltener helfen. Die Person in Not wird zum Teil nicht einmal zur Kenntnis genommen. Dieser Sachverhalt wird als Erklärung für das geringe Hilfeverhalten von Bewohnern von Millionenstädten herangezogen. In kleineren Städten wird einem aufgrund des geringer vorherrschenden Zeitdrucks eher geholfen. Jedoch zeigte sich, daß in Städten mittlerer Größe die Hilfsbereitschaft insgesamt am höchsten ist.
Der Beobachter muß 2) die Situation als Notlage interpretieren. Gerade in uneindeutigen Situationen entsteht häufig pluralistische Ignoranz. Diese kann auftreten, falls mehrere Personen eine Notsituation beobachten. Jeder einzelne Beobachter nimmt dann an, es bestünde kein Problem, da kein anderer Beobachter betroffen wirkt oder Anzeichen von Panik zeigt.
Der Beobachter muß 3) eigene Verantwortlichkeit übernehmen. Falls viele Personen Zeuge einer Notsituation sind, wird von der einzelnen Person davon ausgegangen, eine andere Person wird schon helfen. Daher ist es nicht notwendig, selber einzugreifen. Dies wird als Diffusion von Verantwortlichkeit bezeichnet.
Der Beobachter muß 4) entscheiden, wie zu helfen ist und 5) die Hilfeaktion durchführen.
Nur wenn alle fünf Schritte erfolgreich durchlaufen werden, zeigt der Beobachter einer Notsituation Hilfeverhalten. Das Modell erhielt durch die Forschung größtenteils empirische Stützung. Insbesondere zu den ersten drei Stufen liegen zahlreiche Studien vor.
Andere Forscher betonten vor allem die Bedeutung von Kosten-Nutzen Analysen beim Hilfeverhalten. Danach sind Personen motiviert, die eigenen Kosten möglichst gering zu halten, dabei aber einen maximalen Nutzen zu erzielen. Hilfeverhalten kommt nach den Austauschtheorien nur zustande, falls der wahrgenommene Nutzen die wahrgenommenen Kosten übersteigt. Dabei müssen sowohl Kosten als auch Nutzen für Hilfeverhalten als auch für unterlassenes Hilfeverhalten miteinander verglichen werden.
In einem attributionstheoretischen Rahmen wird die Rolle der wahrgenommenen Verantwortlichkeit des Notleidenden betont. Personen wird dann eher geholfen, falls diese vom Beobachter für ihre Notlage nicht selbst verantwortlich gemacht werden. Die Attribution einer unkontrollierbaren Ursache führt zu Mitleid, was sich in Hilfeverhalten auswirkt. Kontrollierbare Ursachen dagegen führen zu Ärger beim Beobachter, was die Wahrscheinlichkeit eines Hilfeverhaltens reduziert.
Verschiedene Theorien wurden postuliert, welches die Motive sind, warum Personen helfen. Lerntheoretiker betonen die Rolle von Verstärkungsmechanismen in der Vergangenheit und die Rolle des Modellernens. Danach helfen Personen eher, wenn sie für früheres Hilfeverhalten belohnt wurden oder wenn sie andere Personen beobachtet haben, die für ihr hilfreiches Verhalten verstärkt wurden. Ein weiterer Ansatz unterstreicht die sozialen und persönlichen Normen. Demnach helfen Personen aus dem Glauben heraus, Hilfeverhalten sei die in der Situation einzig angemessene Verhaltensweise. Es können dabei eine soziale Verantwortlichkeitsnorm (Personen glauben, abhängigen Personen helfen zu müssen) und die Gefühle von Fairneß und Gegenseitigkeit (man hilft denen, die einem selbst geholfen haben) zum Tragen kommen.
Geschlechtsunterschiede beim Hilfeverhalten hängen im starkem Maße von der jeweiligen Situation ab: Männer helfen eher in Situationen, die ritterliches, heroisches Verhalten erfordern, Frauen helfen dagegen eher bei langandauernden Beziehungen, bei denen weniger Gefahren für die eigene Person auftreten, aber ein stärkeres Commitment erforderlich ist. Schließlich ist noch die Person des Hilfesuchenden bedeutsam. Einer Person wird eher von jemandem geholfen, der ihr hinsichtlich eines salienten Merkmals ähnelt als von einer Person, die keine Ähnlichkeiten zu der Person in Not aufweist. Zudem zeigt sich, daß physisch attraktiven Personen eher geholfen wird als Personen, die der Beobachter als unattraktiv beurteilt.
Literatur
Latané, B., & Darley, J. M. (1970). The unresponsive bystander: Why doesnt he help? New York: Appleton-Century-Crofts.
Weiner, B. (1995). Judgements of responsibility: A foundation for a theory of social conduct. New York: The Guilford Press.
Das freie Lexikon der Psychologie. Fundierte Informationen zu allen Fachgebieten der Psychologie, für Wissenschaftler, Studenten, Praktiker & alle Interessierten. Professionell dargeboten und kostenlos zugängig.
PsychologielexikonModernes Studium der Psychologie sollte allen zugängig gemacht werden.