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Psychologielexikon

Überarbeitete Ausgabe

Psychologielexikon

Kleinkindforschung psychoanalytische

Autor
Autor:
Irene Roubicek-Solms

Integration von Forschungsmethoden und -inhalten aus der empirischen Säuglings- und Kleinkindforschung sowie die psychoanalytischen Forschungen, die sich dem Studium des Säuglings und des Kindes im ersten und zweiten Lebensjahr widmen (wie z.B. Joseph Lichtenberg, Daniel Stern und Robert Emde), in die psychoanalytische Konzeptbildung. Zwar erforschten auch schon René Spitz, Margaret Mahler oder Louis Sander ab den 50er Jahren das kindliche Seelenleben mit systematischen Beobachtungsmethoden, doch der Einsatz neuer Techniken, wie z.B. Bild- für Bild-Mikroanalysen und computerunterstützte Auswertungen der gefilmten Mikro-Interaktionssequenzen, führten zu neuen Aufschlüssen über kindliche Kompetenzen und Verarbeitungsmöglichkeiten. Dies ermöglicht es, den bereits zu Beginn des Lebens stattfindenden Entwicklungsdialog und seine mismatches und Entgleisungen in einer Detailliertheit zu erkennen, wie dies zuvor mit bloßem Auge nicht möglich war. Aus diesem Grund entstand mit zunehmender Rezeption der neuen Befunde zunächst eine starke Kritik an den herkömmlichen entwicklungspsychologischen Annahmen der verschiedenen psychoanalytischen Schulrichtungen, insbesondere gegenüber der Kleinianischen Version der Objektbeziehungen mit der Behauptung bereits früh elaborierter unbewußter Phantasien des Säuglings sowie an der Mahlerschen Konzeption des Zustands einer symbiotischen Phase in den ersten zwei bis drei Lebensmonaten. Psychoanalytiker würden das Baby aus den Analysen von Erwachsenen rekonstruieren, anstatt vom empirisch beobachtbaren Kleinkind auszugehen, sie würden ein adultomorphes Bild vom Kleinkind entwerfen und ihm eine pathomorphe Konstruktion unterschieben; so würden z.B. psychotische Symptome und Denkmodi von Erwachsenen als Merkmal des kindlichen Erlebens und Denkens postuliert werden. Es sei deshalb an der Zeit, den psychoanalytischen Säugling vom Kopf auf die Beine zu stellen. Mit der Metapher eines kompetenten Säuglings werden die erstaunlichen Fähigkeiten beschrieben, über die diese verfügen: So können Neugeborene die Stimme ihrer Mutter von anderen Stimmen unterscheiden, sie können Wahrnehmungen aus verschiedenen Sinnesbereichen koordinieren, ihre Sehschärfe ist mit vier bis sechs Monaten schon fast so gut wie bei einem Erwachsenen u.a.m. Für die herkömmliche Metapsychologie folgt daraus eine Rekonzeptualisierung vor allem der affektiven Sozialisation in den ersten Lebensjahren. Klinisch gesehen thematisieren die Ergebnisse der Kleinkindforschung überwiegend präverbale und prozedurale Regulationsmodi von Beziehungen (Säuglingsforschung, Kinderpsychologie).

Literatur

Dornes, M. (1993). Der kompetente Säugling. Frankfurt/M.: Fischer.


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