erforscht den Zusammenhang von "inneren und äußeren Verhältnissen" (Parin) und richtet ihren Blick auf das Zusammenspiel von unbewußten Prozessen im Individuum und in der Gesellschaft. In ihrer Herangehensweise greift sie die kulturtheoretische und kulturkritische Seite der Psychoanalyse auf, die bereits von Freud mit seinen Untersuchungen zu gesellschaftlichen und kulturellen Phänomenen begründet wurde. Sie beruht auf der Psychoanalyse und deren theoretischen und methodischen Grundannahmen und bezieht sich zentral auf das psychoanalytische Trieb- und Konfliktmodell.
Einerseits wird der ethnopsychoanalytische Zugang als Erhebungs- und Untersuchungsmethode eingesetzt, um die kulturelle Handlungs- und Bedeutungsstruktur fremder Ethnien zu verstehen. Zu nennen wären hier die Studien von Fritz Morgenthaler, Paul Parin und Goldy Parin Matthèy über die Dogon und die Agni in Westafrika. Methodisch erfolgt eine Auseinandersetzung mit "dem Fremden" und den Verzerrungen durch den eigenen Blick und dem eigenen kulturellen Hintergrund anhand der Analyse der Dynamik von Übertragung, Gegenübertragung und Widerstand. So gelingt sowohl eine Auseinandersetzung mit der eigenen Kultur, aber auch mit der Struktur des Forschungsprozesses sowie der eigenen Rolle darin. Systematisch ist die Perspektive auf die Wissenschaft und die Methodik von Devereux ausgearbeitet worden.
Die ethnopsychoanalytische Methode ist aber auch geeignet, Phänomene der eigenen Kultur auf ihre unbewußten, konflikthaften Anteile zu untersuchen. Hier steht das Zusammenspiel von unbewußten Aggressionen, Macht und Herrschaftsstabilisierung im Zentrum des Interesses, wie z.B. in Mario Erdheims Frage nach der "gesellschaftlichen Produktion von Unbewußtheit" oder in den gesellschaftskritischen Arbeiten von Parin und Parin-Matthèy. Die Forschungsthemen der Ethnopsychoanalyse ranken sich um Themenkomplexe von Institution und Herrschaft, Stigmatiserung, Ausgrenzung und Psychiatrisierung und versuchen, das scheinbar Selbstverständliche der "Normalität" auf seinen Abwehraspekt und die gesellschaftliche Funktion zu untersuchen.
Auch unspektakulärere Bereiche der gesellschaftlichen Ordnung werden in ihrer inneren Struktur aufgeklärt, wie das Verhältnis von Männern und Frauen oder die innere Dynamik der Jugendphase und ihre Bedeutung für die Kultur. Die Ethnospsychoanalyse bietet also ein vielfältiges Inventar, um einen befremdeten Blick auf die Normalität und die eigene Kultur zu werfen.
Literatur
Devereux, G. (1988). Angst und Methode in den Verhaltenswissenschaften. Frankfurt/Main.
Erdheim, M. (1988). Psychoanalyse und Unbewußtheit in der Kultur. Frankfurt/Main.
Parin, P. (1983). Der Widerspruch im Subjekt. Ethnopsychoanalytische Studien. Frankfurt/Main.
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